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Die "Villa" von Deufringen

Quelle: Denkmale in der Nachbarschaft - gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag Sindelfingen 1990

Autor: Hans Mozer

Foto: Die Villa Schuster am Deufringer Ortseingang

Wenn man in Deufringen von der "Villa" spricht, so ist nicht eines der modernen Häuser in den Neubaugebieten gemeint, sondern die Villa Schuster am Ortseingang - ein Gebäude, das aus heimat- und architekturgeschichtlichen Gründen als Kulturdenkmal ausgewiesen ist.

Der Sägereibesitzer Georg Schuster ließ die Villa nach den Plänen von Architekt Bürkle aus Böblingen im Jahr 1903 erbauen. Der Bauplatz lag damals außerhalb des Etters (Dorfgrenze), etwa 200 Meter vom Dorf entfernt. In unmittelbarer Nähe lag die Sägerei, die von der Wasserkraft der Aid betrieben wurde. Wirtschaftsgebäude und Rossstall befanden sich schon auf dem Grundstück. Pferdefuhrwerke holten das Holz aus dem Wald und brachten das gesägte Bauholz zu den Bauherren in die Stadt, oft bis Stuttgart.

Weder der Gemeinderat noch das Oberamt Böblingen als Baubehörde hatten Einwendungen gegen den Bau außerhalb des Orts. Lediglich die Zufahrt zu benachbarten Grundstücken musste der Bauherr sicherstellen.

Typisch Jugendstil
Was sind die Besonderheiten, die es rechtfertigen, dass das Gebäude als Kulturdenkmal eingetragen ist? Es sind die charakteristischen Stilelemente einer Villa um die Jahrhundertwende, die vom Historismus und vom Jugendstil geprägt sind. Auffällig im Erscheinungsbild des zweigeschossigen Baues sind die formale Vielfalt und die kunsthandwerklich reich und sorgfältig ausgearbeiteten Einzelheiten.

Die westliche Hälfte des Hauses ist unterkellert, wobei die 60 Zentimeter dicken Mauern ein gutes Fundament für den darüber liegenden Souterrain ergeben. Auf dem mit Bossenquadern aus Sandstein errichteten Souterrain ist der Grundriss für die zwei Wohngeschosse schon angelegt. Auf einer Länge von 14 Meter und einer Breite von 11 Meter sind die Waschküche, ein geräumiges Bügelzimmer und zwei Räume für die Lagerung von Brennholz gebaut.

In der Waschküche war ursprünglich auch die eigene Wasserversorgung mittels Brunnen untergebracht. Dies war notwendig, weil die örtliche Wasserleitung mit Hausanschlüssen erst 1907 erfolgte. Die damalige Versorgung mit Wasser erklärt auch die Tatsache, dass im Plan der Villa mit Küche und sieben Zimmern kein Bad vorgesehen war.

Arbeit der Steinmetze
Hervorzuheben ist die kunstvolle Arbeit des Steinmetzen an Tür- und Fenstergewänden, vor allem aber an dem vierseitig vorspringenden zweigeschossigen Erker. Dort sind Stilelemente des Historismus, vor allem neugotische Bogenformen, sichtbar.

Foto: Neugotische Stilelemente am zweigeschossigen Erker - Ausschnitt

Nicht minder bedeutsam ist die Fachwerkgestaltung des Zimmermanns in den Obergeschossen, wo herkömmliche Motive mit Formen und Linien des Jugendstils verarbeitet sind. Besonders charakteristisch zeigt sich dies bei der zweigeschossig verglasten Eckveranda zum Garten hin, ein typisches Merkmal für eine Villa um die Jahrhundertwende. Entsprechend für das frühe 20. Jahrhundert ist auch die Einteilung der Fenstersprossen. Die Dachformen greifen die heimatliche Tradition auf.

Noch viel erhalten
Von der originalen Ausstattung des Hauses ist noch viel vorhanden, so die Eingangstür, über der in einer Parabolform Blattwerk und die Initialen des Erbauers (Georg Schuster) geschnitzt sind. Auch die Stuckzier und die Deckenbemalung mit Pflanzenschmuck sind teilweise noch vorhanden. Das großflächige Fenster im Treppenhaus ist mit einer Glasmalerei versehen. Schuster hat sie aus einer Konkursmasse in Stuttgart erhalten und in sein Haus eingefügt. Sie zeigt ein Dorf mit Kirche, eingebettet in eine Tallandschaft mit Brücke. Reizvoll sind die Farbwirkung und die Linienführung. Die Glasmalerei zählt zu den recht seltenen qualitätsvollen Zeugnissen dieser Kunstgattung aus der kurzen Periode des Jugendstils.

Der Jugendstil war Ausdruck eines Lebensgefühls dieser Zeit. Man hatte den Wunsch, ein Gegengewicht zu schaffen gegen die seelenlose Mechanisierung und Industrialisierung, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die ganz Welt zu erobern begonnen hatte. Man wollte diese Entwicklung nicht aufhalten, sondern ihre Möglichkeiten nutzen. Aber man wollte zugleich auch verhindern, dass durch den technischen Fortschritt der Mensch vergessen wurde. Die Kunst dieser Epoche wollte das Seelenleben im Menschen betonen und es mit der neuen Technik in einer Lebensgemeinschaft verschmelzen. Ein Wunsch, der heute seine Aktualität nicht verloren hat.

Die Familie Schuster ist seit 1670 in Deufringen ansässig. Der erste Vertreter dieses Namens, ein Landfuhrmann und Biersieder, wanderte aus Altheim an der Zusam im bayrischen Schwaben ein. Seine Nachkommen in Deufringen besaßen eine Brauerei. Ab 1795 waren sie Besitzer der unteren Mühle. Später kam die Sägerei dazu, deren Besitzer Georg Schuster war. Er starb kinderlos. Im Jahre 1939 erwarb Bürgermeister Gustav Kuttruf die Villa. Seine Witwe bewohnte das Haus bis zu ihrem Tode 1988.
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung und des Autors

Gemeinde Aidlingen

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