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Von Hinrichtungen, Scharfrichtern und Kleemeistern in Böblingen

Quelle: „Aus Schönbuch und Gäu. Beilage Böblinger Boten“, 7/1960

Autor: Karl Heß

Bild: Zeitgenössische Darstellung (Holzschnitt) der Hinrichtung des Mörders August Hahn in Böblingen 1819. (StadtA Böblingen) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Sind schon Ansichten unserer Stadt Böblingen aus der Zeit vor dem Aufkommen der Photographie verhältnismäßig selten, so sind Darstellungen historischer Vorgänge aus der Stadtgeschichte so gut wie nicht vorhanden. Eine der wenigen konnte die Stadt erwerben. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Holzschnitt, der aus einem Buch herausgeschnitten wurde; vielleicht ist es aber auch ein Flugblatt in Form eines Einblatt-Druckes. Der Gegenstand ist schauerlich genug: Das Bild zeigt eine Hinrichtung aus dem Jahr 1819, wahrscheinlich die letzte oder doch eine der letzten, die in Böblingen stattgefunden hat. Die Unterschrift lautet: „Darstellung des in Böblingen den 12. Aug. 1819 mit dem Rade hingerichteten Vater-Mörders August Hahn’s 20 Jahr alt, dessen Kopf, nachdem Friedr. Waldenmaier dessen Schwager im 26ten Jahre, zuvor mit dem Schwerde hingerichtet, gleichfalls auf den Spies gestekt, und des Ersteren Leichnam auf das Rad geflochten wurde“. ...

Scharfrichter und Kleemeister
Die Scharfrichter, welche die noch verhältnismäßig seltenen Hinrichtungen auszuführen hatten, kamen von auswärts; zu einer gewissen Zeit scheint je einer in Stuttgart (für das Land unter der Steig) und in Tübingen (ob der Steig) ansässig gewesen zu sein. Die Vertreter dieses hochnotpeinlichen Strafamts wurden aber in der Regel aus den Reihen der Klee- oder Wasenmeister genommen, die wie jene durch ihre Beschäftigung von der übrigen Bevölkerung mehr oder weniger abgeschlossen waren und im Mittelalter als unehrlich galten. Daher haben sie, wie wir noch sehen werden, auch immer unter sich geheiratet.

Bild: Das Anwesen des Böblinger Kleemeisters (Abdecker), hier als „freyhaus“ bezeichnet, auf der Kieser`schen Forstkarte von 1680/88. (Bild: Landesmedienzentrum BW/Stuttgart) – für eine Gesamtansicht klicken Sie bitte hier

Die Kleemeisterei war ein herzogliches Bannrecht. Nur wem es verliehen war, durfte die entsprechenden Geschäfte ausüben; er hatte nämlich das gefallene Vieh in seinem Bezirk abzuholen (ähnlich wie heute die Tierkörperbeseitigungsanstalten) und zu vergraben. In Böblingen lag die Kleemeisterei außerhalb des Städtleins auf dem Spielberg. ...

Wer in Böblingen vor dem Dreißigjährigen Krieg das Amt des Schinders oder Abdeckers versah, ist mir bisher nicht bekannt. Reipchius berichtet in seiner Chronik zum Jahr 1564, dass „der Rot Wasenmeister zu Böblingen“, weil er Vieh und Schweine vergiftet habe, zu Tübingen „mit glühenden Zangen dreimal geklemmt, gehenkt und verbrannt“ wurde. Schon wenige Tage später hat „der alte Zeberl“ (wohl der Vater des Darmsheimer Pfarrers) „die Wasenmeisterin zum Weib genommen“ und drei Wochen später mit ihr Hochzeit gehalten. Diese Notizen zeigen deutlich die Sonderstellung der genannten Personen; es ist etwas ganz Ungewöhnliches, dass ein angesehener Bürger, der seinen Sohn Pfarrer werden lässt, die Wasenmeisterin heiratet, noch dazu unmittelbar nach der so schmählichen Hinrichtung ihres Mannes.

Familientradition: Die Böblinger Kleemeisterfamilie Bayer/Bauernfeind
Von 1640 ab können wir in den Kirchenbüchern den Personenkreis deutlich verfolgen, der die Kleemeisterei in Böblingen inne hatte. In diesem Jahr stirbt der Kleemeister Albrecht Bauer, und seine Witwe heiratet bald darauf den Johann Bauernfeind (offenbar ein richtiger Scharfrichtername!) aus Nördlingen, der bis 1684 als Kleemeister genannt wird; nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet er 1677 die Witwe des Kleemeisters Hans Deubel (Teufel!) aus der nordbadischen Stadt Eppingen. Auch bei den zahlreichen Kindern Bauernfeind können wir, soweit dies hier verzeichnet ist, wieder „standesgemäße“ Eheschließungen feststellen: Hans Georg heiratet 1662 die Tochter des verstorbenen Scharfrichters Hans Knapp in Wiesensteig, Anna Barbara wird 1669 die Frau des Wildberger Wasenmeisters Hans Jakob Deigendäsch, Hans Peter heiratet 1668 die Witwe Katharina des Balinger Kleemeisters Jacob Deigendäsch und wird selber als Kleemeister bezeichnet. In Wirklichkeit und auf die Dauer scheint aber sein Bruder Conrad Bauernfeind (1658 - 1739) dieses Amt ausgeübt zu haben; seine zweite Frau ist die Tochter des Kleemeisters aus Reichertshausen in der Kurpfalz. Dorther kommt auch ihr Schwiegersohn Joh. Georg Bayer (1702 - 68), der dann die Kleemeisterei weiterbetreibt, während eine Schwester seiner Frau den verwitweten Kleemeister Joh. Christof Günther in Alfdorf zum Mann nimmt. ... Der ledige Sohn Johannes Bayer (1735 - 61) ist „adjungierter Scharfrichter“.

Bild: Die Böblinger Kleemeister lag außerhalb der Stadt auf dem Spielberg. Früher kannten Alteingesessene das Haus an der Brunnenstraße noch unter dem Namen der dort lange sesshaften Familie als „Baier-Haus“. Es wurde nach dem Krieg abgerissen. (Foto aus Erich Kläger: Tatort Böblingen – anno dazumal, Böblingen 2003, S. 77)

Von den sechs zur Eheschließung kommenden Kindern der Ehe Bayer/Bauernfeind heiratet Maria Tabitha (1742 - 1805) den Böblinger Metzger Joh. Philipp Knoll, während alle ihre Schwestern und ihr Bruder innerhalb ihres Standes bleiben: Christina Katharina (geb. 1725) wird 1743 die Frau des Grötzinger Kleemeisters Joh. Michael Gentner (seine Familie hatte schon 1536 die Kleemeisterei dort inne und bis zu deren Abgang im 19. Jahrhundert), Kunigunde heiratet 1751 den Kleemeister Joh. Graser in Stein bei Pforzheim, Sophie im Jahr 1751 den Nagolder Kleemeister Johann Bechthold und schließlich Regina im Jahr 1756 den Kleemeister von Neckarrems Peter Carle. Joh. Gottfried Bayer aber, der in Böblingen nachfolgende Sohn, hatte mit 18 Jahren die Tochter des Reutlinger Scharfrichters Johannes Vollmar geheiratet. ... Nach ihrem Tod mit 40 Jahren holte er sich eine Herrenberger Bürgerstochter Ruthardt zur Frau. Nun nähern wir uns aber auch schon dem Ende der Einrichtung der Kleemeisterei. Zwei seiner Töchter heiraten wieder Böblinger Handwerker, und nur der Sohn Wilhelm Gottlieb Baier (1786 - 1844), mit einer Kurz aus Böblingen kinderlos verheiratet, wird noch als Kleemeister geführt. Dagegen ist sein Bruder Ludwig Karl Bauer (1797 - 1841) „Spinner“, also offenbar Fabrikarbeiter; er ist der Vater des Schuhmachers Gottlieb Ludwig Baier (1834 - 1920), der von seiner Frau Gottliebin Mathilde Reinhardt (1836 – 96) sieben erwachsene Kinder hatte, wovon aber mehrere ledig waren. So ist mit dem Schuster Gustav Adolf Baier (1863 – 1941), ..., und mit seinen Geschwistern Robert (1876 – 1943) und Mathilde (1869 – 1945) dieses Geschlecht und sein Name in Böblingen ausgestorben, nachdem es über 200 Jahre hier geblüht hatte. ...

Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung der Familie Heß und des Heimatgesichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.

Der Autor, Karl Heß (1911-1997), war Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des „Heimatgeschichtsverein für Schönbuch und Gäu“. Sein besonderes Augenmerk galt der Familienforschung. Von 1952-1972 war Karl Heß Landrat des Kreises Böblingen.

Literaturhinweise:
Erich Kläger: Tatort Böblingen – anno dazumal. Aus der Böblinger Kriminalgeschichte. Ameles Verlag, Böblingen 2003
Erwin Funk: Der Galgenberg in Böblingen. Eine Richtstätte des Mittelalters. In: „Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten“, 11+12/1969
Dr. Walter Steinle: Vom Raubmord des Jacob Völkle und seiner Hinrichtung in Böblingen. In: „Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten“, 3+4/1984

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