Böblingen>>Wohnhochhaus „Orplid“

Woher das „Orplid“ seinen Namen hat

Quelle: Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 28. August 2004

Autor: Erich Kläger

Als das Baugesuch im Böblinger Gemeinderat einst für das Hochhaus behandelt wurde, wusste noch einer, woher der Name dafür genommen worden war; der heute hochbetagte Leiter des Planungsamtes, Gustav Zürn, gab das Stichwort: Mörike!

Es ist aber bis heute nicht einfach, der Spur nachzugehen, die den bedeutenden Berliner Architekten Hans Scharoun zu dieser Namensgebung inspiriert hat. Es gibt drei Möglichkeiten: "Orplid" findet sich in zwei Strophen unter den Gedichten und in dem "phantasmagorischen Zwischenspiel" des Romans "Maler Nolten" mit dem Titel "Der letzte König von Orplid" und drittens in einem Gedicht von Gottfried Benn, einem Begründer und wichtigen Vertreter der lyrischen Moderne.

So oder so, Scharoun muss ein literarisch hochgebildeter Mann gewesen sein, denn so beiläufig am Wege stößt man nicht auf "Orplid". Doch für was steht dieser Name und welche Bedeutung hat er, dass er für ein Hochhaus sinnvoll eingesetzt werden kann?

Auf kurzem und direktem Wege ist darauf keine Antwort möglich. "Orplid" haben die einundzwanzigjährigen Tübinger Theologiestudenten Eduard Mörike und Ludwig Bauer im Jahre 1825 die Insel genannt, die sie erfunden und mit einer Geschichte und Mythologie versehen haben. "Ihre Lage dachte man sich in dem Stillen Ozean zwischen Neuseeland und Südamerika." In der weiteren Ausgestaltung liest sich dies dann so: "Orplid hieß vorzugsweise die Stadt des bedeutenden Königreiches; sie soll von göttlicher Gründung gewesen sein und die Göttin Weyla... war ihre besondere Beschützerin... Unsere Göttelehre streift hie und da die griechische, behielt aber im Ganzen ihr Eigentümliches; auch die untergeordnete Welt von Elfen, Feen und Kobolden war nicht ausgeschlossen". So Mörike im Roman "Maler Nolten" als Einleitung zu dem Zwischenspiel, dem man nur mit Mühe einen sinnvollen Platz in seinem Roman zuweisen kann; auch gehört das folgende Zwischenspiel zu einem Stück, an dem sich die Geister scheiden. Darin lässt sich jedenfalls nichts ermitteln, durch das sich ein wie immer gearteter Bezug zu einer Namensgebung für ein Hochhaus herstellen ließe. Folgen als nächstes die beiden Strophen des Gedichts:

Gesang Weylas/Du bist Orplid, mein Land!/Das ferne leuchtet/Vom Meere dampfet dein
besonnter Strand/Den Nebel, so der Götter Wange feuchtet./Uralte Wasser
steigen/Verjüngt um deine Hüften, Kind!/Vor deiner Gottheit beugen/Sich Könige, die deine
Wärter sind. Damit sind wir näher dran, ohne schon am Ziel zu sein. In zauberhafter Unbestimmtheit zieht dies Wunder der Poesie alle Sehnsüchte auf sich; in der Vagheit mythischer Frühe verspricht es jene Entlastung, nach der sich zivilisationsmüde Seelen bis heute strecken. Wir haben es hier zu tun mit der sehnsüchtigen Projektion einer durch Erinnerung und regressiven Tendenz erschauten Ideallandschaft. Lässt sich von hier aus ein Bezug zu einem Hochhaus herstellen, das gewisse Städtebaukritiker gewöhnlich als "Wohnmaschine" ablehnen?

Wir müssen wohl zur dritten Station fortschreiten, zu der Bedeutung, die "Orplid" bei Gottfried Benn erhalten hat; hier wurde das Wort zur Chiffre für eine Gegenwelt. In einem zivilationskritischen und -müden Gedicht setzte er es ein:

"Nur noch flüchtig alles, / kein Orplid, keine Bleibe.“ Hier erscheint "Orplid" unter Bezug auf Weylas Gesang als "Inbegriff von Dauer, Wohnrecht und ewiger Leuchtkraft", also Verheißung und Erfüllung in eins. So muss es auch der Architekt Hans Scharoun verstanden haben, der sich mit großer Wahrscheinlichkeit von dieser Bedeutung "Orplids" in den Versen Gottfried Benns hat inspirieren lassen.


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Kreiszeitung / Böblinger Bote

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