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Böblingen>>Wirtschafts-/Sozialgesch.>>IBM>>IBM-Geschichte - Teil 3

Die IBM im Kreis Böblingen

Teil 3: Der Standort Böblingen – vom Klemmbau zur „Denkfabrik im Grünen“

Quelle: zeitreise bb 2005

Autorin: Susanne Schmidt (unter Verwendung der Daten der „Kleinen Chronik der IBM Deutschland“)
Nachdem 1945 zunächst Sindelfingen zum neuen Mittelpunkt der Deutschen Hollerith (DEHOMAG) geworden war, begann fünf Jahre später auch in Böblingen die „Morgenröte des Informationszeitalters“1*. Das seit Mai 1949 unter dem Namen „Internationale Büro-Maschinen Gesellschaft mbH“, kurz IBM, firmierende Unternehmen erwarb 1950 das noch vom Krieg mitgenommene Gebäude der ehemaligen Klemm-Flugzeug-Fabrik an der Sindelfinger Straße.

Bild: Der Klemm-Bau steht für ein eigenes Kapitel Böblinger Industriegeschichte. Der 1925 bezogene Neubau entsprach damals ganz dem amerikanischen Typus der modernen Tageslichtfabrik. (Foto: StadtA Böblingen) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Ein Kapitel Industriegeschichte – der „Klemmbau“
Wer Böblingen heute über die Eisenbahnbrücke in Richtung Sindelfingen verlässt, fährt an der vor kurzem erbauten Niederlassung der zum DaimlerChrysler Konzern zählenden Firma SMART vorbei. Dem neuen Gebäudekomplex sieht man es so nicht an, aber der Industriestandort an der Sindelfinger Straße gehört zu den geschichtsträchtigsten der Region.

Bereits 1912 hatte ein Schraubenfabrikant hinter der Bahnüberführung einen Industriebau aus Backstein mit den zeittypischen Sheddächern errichtet. Nachdem dort kurzzeitig eine Strumpffabrik eingezogen war, übernahmen 1917 die Contessa-Werke2* die Anlage. Ursprünglich eine „Fabrik photographischer Apparate“, produzierte Contessa damals kriegsbedingt Minenzünder. Nach dem 1. Weltkrieg verlegte Contessa die Produktion von Fotozubehör nach Böblingen. Mit seinen großen, horizontal ausgerichteten Fensterreihen entsprach der 1925 bezogene Neubau ganz dem zwischen 1900 - 1910 in den USA entwickelten Typus der modernen Tageslichtfabrik. Zeitweise arbeiteten an die 400 Frauen bei „der Gräfin“. Nachdem Contessa in der Zeiss-Ikon-AG aufgegangen war, wurde der Betrieb 1932 geschlossen. Bereits 1930 hatte die Stadt dort Räume angemietet, um dem Schweizer Künstler und Flugzeugpionier Alexander Soldenhoff mit seiner Aero-Gesellschaft den Bau von schwanzlosen Flugzeugen zu ermöglichen. Soldenhoff musste schon nach einem Jahr wieder aufgeben. Der nächste Nutzer war die Firma Hanns Klemm, die in den 30er Jahren Teile ihrer Flugzeugproduktion hierher verlegte. Nach Kriegsende wurden die Werksanlagen demontiert und die Räume übergangsweise mit ehemaligen „Fremdarbeitern“ belegt.

Das IBM-Zeitalter beginnt
Im traditionsreichen „Klemmbau“ nahm die IBM im Jahre 1950 die Produktion auf. Bis 1960 diente er als Montagewerk, einige Zeit war auch die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter hier untergebracht. 1952 siedelte die Geschäftsleitung in den Klemmbau über; schließlich wurde auch die Hauptverwaltung hier untergebracht. „In den 50er Jahren“, so Erich Kläger, „war der Klemmbau eine typische Fabrik jener Zeit: Transmissionsriemen und lärmende Maschinen bestimmen das Bild; im unteren Stock war der Großmaschinenbau untergebracht, darüber Locherbau (für die Hollerith-Datenverarbeitungssysteme), Auftragsabeilung, Kopieranstalt und Konstruktionsbüro“.3*

20 Jahre lang diente der in den 60er Jahre modernisierte Klemmbau der IBM Deutschland als Sitz der Hauptverwaltung. 1972 wurde sie nach Stuttgart-Vaihingen verlegt. 1990 verlagert die IBM Deutschland GmbH Holding ihren Firmensitz wieder nach Berlin. Der Klemmbau wurde 1978 abgerissen. Auf dem Areal entstand ein neues Rechenzentrum.

Die Denkfabrik im Grünen – Das IBM-Labor
Bereits seit längerer Zeit existierte in Böblingen ein großer mechanischer Konstruktionsbereich, der mit der Weiterentwicklung von Lochkartenmaschinen befasst war. Im Rahmen dieser bestehenden Organisation entstand ab 1952 das IBM Labor Böblingen.

Im Jahre 1952 war der aus Sindelfingen stammende Karl Ganzhorn (*1921) als Entwicklungsphysiker bei der IBM eingetreten. Als er seinen alten Holzschreibtisch im Klemm-Gebäude bezog lautete sein Auftrag: „Machen Sie Physik für IBM, der Rest ist Ihre Sache“. Als IBM-Gründer T. J. Watson im Mai 1953 erstmals nach dem Krieg Deutschland besuchte, präsentierte Ganzhorn Ansätze und Vorstellungen für eine elektronische Entwicklung in der Datenverarbeitung. Im Anschluss daran gab Watson der deutschen Geschäftsleitung die schlichte Weisung: "Geben Sie dem jungen Mann, was er wünscht". Dies war der Freibrief für den Aufbau eines deutschen Entwicklungslabors, das auch innerhalb der IBM schnell hohes Ansehen erlangte. Auf der Suche nach einem geeigneten Bauplatz fiel die Entscheidung schließlich für den Schönaicher First. Im November 1959 begannen die ersten Bauarbeiten und schon im Dezember 1960 konnten dort die ersten Ingenieuren ihre Arbeit aufzunehmen.

Das deutsche Labor bewarb sich erfolgreich um die Entwicklung kleiner und mittlerer Datenverarbeitungssysteme, sowie von Peripheriegeräten, insbesondere Schnelldruckern. Als besondere Aufgabe wurde das Labor mit dem Aufbau einer Abteilung für die Entwicklung von Halbleitern betraut. Das erste monolithische Halbleiterchip der gesamten IBM wurde im Böblinger IBM-Labor entwickelt. Auch der damals weltweit leistungsstärkste und schnellste Mikroprozessor mit CMOS-Technologie und einer Rechenleistung von einer Milliarde Taktzyklen pro Sekunde (1 GHz) kam 1998 aus dem Böblinger IBM Labor.

Lagen in der Vergangenheit die Schwerpunkte des IBM Labors fast ausschließlich in der Entwicklung von Hardware, so gewann die Softwareentwicklung und die dazugehörigen Dienstleistungen immer mehr Bedeutung.

IBM-Hulb – eines der modernsten Halbleiterwerke Europas
Im Juni 1979 konnte nach 5-jähriger Bauzeit die neue Produktionsstätte der IBM im Industriegebiet auf der Böblingen Hulb eingeweiht werden. Die neuen Anlagen waren speziell auf die Fertigung von Halbleiterbauelementen, volkstümlich "Chips" genannt, zugeschnitten. Eine "Zierde für die Industrielandschaft Baden-Württembergs“ nannte damals der zur Einweihung geladene baden-württembergische Wirtschaftsminister Dr. R. Eberle das neue Werk. Der Begriff vom „schwäbische Silicon Valley“ machte die Runde, schließlich produzierte neben IBM auch HP Leiterplatten am Standort Böblingen.

Der Zufall wollte es, das man ausgerechnet bei Baggerarbeiten für einen weiteren Neubau der IBM auf der Hulb im Jahre 1983 auf einen etwa 13.000 Jahre alten Mammutzahn stieß, den altsteinzeitliche Jäger hier zurückgelassen hatten.

Auch in Böblingen hat sich IBM nach und nach aus der unrentabel gewordenen Produktion verabschiedet. Bereits 1995 hatte man das Sindelfinger Werk verkauft. Den „Klotz auf der Hulb am zweiten Bein“ teilte man sich eine Weile mit dem niederländischen Konzern Philips, dann trat man auch dort, den „geordneten Rückzug“4* an.

Geblieben ist den Böblingern nach wie vor die „Denkfabrik im Grünen“, das Forschungslabor auf dem Schönaicher First. Das größte Entwicklungszentrum der IBM außerhalb Amerikas feierte im Jahre 2003 sein 50-jähriges Bestehen.

1

Alexander Behrens, Auf dem Weg zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum – Böblingen seit 1945. In: Böblingen - Vom Mammutzahn zum Mikro-Chip, hrsg. von S. Lorenz u. G. Scholz, Böblingen 2003, S. 399. [Schriftenreihe Gemeinde im Wandel, Bd. 14]

2

Die Firma Contessa wurde 1907 von dem Erfinder August Nagel aus Pfrondorf bei Tübingen gegründet. Siehe hierzu Erich Kläger, Böblingen – Geschichte in Gestalten. Von den Anfängen bis zum Ende der Ära Brumme, Böblingen 2003, S. 360-362

3

Erich Kläger, Ein Standort schreibt Industriegeschichte. In: Böblingen – Geschichte in Gestalten. Von den Anfängen bis zum Ende der Ära Brumme, Böblingen 2003, S. 487

4

Siehe den Kommentar „Keine frohe Botschaft“ von Otto Kühnle in der Kreiszeitung/Böblinger Bote vom 19. 4. 2003


Weitere Informationen zur Geschichte der IBM im Kreis BB finden sie bei zeitreise-bb unter:
IBM-Geschichte Teil 1: Die DEHOMAG und der Beginn der Datenverarbeitung in Sindelfingen
Die IBM im Kreis Böblingen - Teil 2: Das Sindelfinger Werk von der Nachkriegszeit bis zum Ende der IBM-Ära
Der IBMer – ein Nachruf
Karl Ganzhorn

Internet-Links:
IBM
Kleine Chronik der IBM Deutschland
Computer History Online
Meilensteine der IBM-Geschichte
Heinz Nixdorf MuseumsForum Paderborn

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