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Böblingen: 1907 stellte die Zuckerfabrik ihre Produktion ein

Kein süßes Leben für die Arbeiter

Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von100 Jahren. Röhm Verlag Sindelfingen 1999, S. 23.

Bild: Die Böblinger Zuckerfabrik am Unteren See, nach 1900. (Foto: Stadtarchiv Böblingen) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Kleine Ursache - große Wirkung: Ein Brand sorgte dafür, dass 1907 die Glocke zur letzten Schicht in der Böblinger Zuckerfabrik läutete. Dabei richteten die Flammen keinen großen Sachschaden an. Doch Fabrikdirektor Kloss nutzte die Gelegenheit, das in die Jahre gekommene Unternehmen vor einer Sanierung an die Stuttgarter Zuckerfabrik zu geben.

Damit verloren hunderte Arbeiter und Tagelöhner ihren Broterwerb und Böblingen einen der wichtigsten Arbeitgeber jener Zeit. Die Zuckerfabrik grenzte an die Westseite der Böblinger Seen und stand damit an der Stadtgrenze etwa dort, wo heute Gesundheits- und Landratsamt zu finden sind.

Die Zuckerfabrik stand Anfang des Jahrhunderts in voller Blüte. In der Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der württembergischen Handelskammern wird sie als Unternehmen beschrieben, das in der Saison bis zu 600 000 Zentner Rüben verarbeitete.

Zu den rund 25 Hektar großen Feldern am Böblinger Stadtrand hatte das Unternehmen auch noch die Domäne Schaichhof und das Schlossgut Mauren gepachtet, um genügend Rüben zu bekommen.

Wer in der Zuckerproduktion seine Brötchen verdiente, hatte alles andere als ein süßes Leben. Die Frühschicht begann um sechs Uhr morgens und dauerte bis sieben Uhr am Abend. In der Nachtschicht wurde von sechs Uhr abends bis Mitternacht geschuftet. Auch die Fabrikordnung setzte klare Grenzen: „Schelten, Fluchen, Unsittlichkeit, Trunkenheit und Lärmenmachen sind aufs Strengste verboten." hieß es da und weiter: „Wer in der Fabrik Tabak raucht oder kaut, wird zum Besten der Unterstützungskasse für kranke Arbeiter mit einer Strafe von zwölf Kreuzern belegt."

Mit der Ansiedelung der Runkelrübenfabrik im Jahr 1856 schrieb die Stadt Böblingen ihr erstes Kapitel zum Thema „Wirtschaftsförderung". Arbeitsplätze, Steuern, Anschluss an die Eisenbahn - große Hoffnungen ruhten auf dem neuen Unternehmen. Ihre Träume ließen sich Bürgermeister und Stadträte etwas kosten. Die Fabrik erhielt kostenlos Baumaterial und durfte zudem städtische Quellen anzapfen.

Die Erwartungen erhielten aber rasch einen kräftigen Dämpfer. Ausgelegt zunächst auf die Verarbeitung von 300 000 Zentner Rüben wurden 1860/61 ganze 60000 Zentner benötigt. Die Aktien des Böblinger Unternehmens gingen daraufhin in die Hände der Zuckerfabrik Heilbronn. Eine Zusammenlegung der Betriebe scheiterte jedoch am Widerstand der Aktionäre aus dem Unterland.

Bild: Freilaufende Gänse richteten auf den Rübenfeldern immer wieder großen Schaden an. Um das Jahr 1860 veröffentlichte die Zuckerfabrik diesbezüglich eine Bekanntmachung. – Für eine Gesamtansicht klicken Sie bitte in das Bild.

Die Stadt sprang In die Bresche
Deshalb wurde für Böblingen eine eigene Gesellschaft gegründet. Noch einmal sprang die Stadt in die Bresche und beteiligte sich mit 25 000 Gulden. Danach ging es aufwärts, auch wenn etwa der Mangel an Steinkohle als Brennmaterial für die Öfen oder trockene Sommer die Produktion immer wieder behinderten.

Doch dann brach der kleine Brand im Sommer 1906 aus. Wenig später übernahm die Stuttgarter Zuckerfabrik den Böblinger Betrieb und schloss ihn ein Jahr später am 1. Oktober 1907. Hunderte verloren ihre Arbeitsplätze und die Stadt etwa 20 000 Mark Steuern im Jahr.

Damit nicht genug. Auch wenn in Böblingen kein Zucker mehr produziert wurde, bewirtschaftete die Stuttgarter Zuckerfabrik die ausgedehnten Felder weiterhin. Das passte den Böblingern gar nicht, denn sie wollten die Fläche am westlichen Stadtrand kaufen und dort Industriebetriebe ansiedeln. Gleichzeitig sollte der Obere See zugeschüttet und mit Häusern überbaut werden.

Doch die Stuttgarter Zuckerproduzenten verkauften ihre Rübenfelder nicht. Gleichzeitig pochte die Fabrikleitung auf alte Wasserrechte und bediente sich weiter zum Nulltarif aus dem Oberen See und den städtischen Brunnen.

Das empörte die Böblinger Stadträte zwar, doch erst Ende 1907 fand Stadtrat Wacker die Lösung des Problems. Er forschte in alten Dokumenten und verlas am 11. Dezember 1907 im Gemeinderat, „dass der Bezug von Wasser vom Markt- und Heiligenbrunnen sowie vom Oberen See der Zuckerfabrik nur auf die Dauer ihres Betriebes erteilt worden ist." Jetzt wurden wenigstens die alten Wasser-Verträge gekündigt. Es dauerte aber trotzdem noch fast fünf Jahrzehnte, ehe die Stadt im Jahr 1956 den Gutshof samt Rübenfelder kaufen konnte.

Jetzt war der Weg frei für neue Wohngebiete wie „Leere Wasen" oder auch die Erschließung der Hulb als Industriegebiet. Erhalten blieb aus der Böblinger Zucker-Zeit nur noch ein Wirtschaftsgebäude, entstanden allerdings erst nach dem zweiten Weltkrieg. Im Haus mit dem Glockenturm und Wetterhahn an der heutigen Berliner Straße treffen sich Jugendliche im „Club Forum".

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

Literaturhinweis:
Günter Scholz: Die Industrialisierung in Böblingen
in: Böblingen – Vom Mammutzahn zum Mikrochip.
Im Auftrag der Stadt Böblingen herausgegeben von Sönke Lorenz und Günter Scholz,
Böblingen 2003, S. 287 – 307.

Stadt Böblingen

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