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Deckenpfronn>>Oberamtsbeschreibung
"Charakter ächter Ländlichkeit"

Deckenpfronn in der Beschreibung des Calwer Oberamts von 1860

Quelle: Beschreibung des Oberamts Calw, Amt. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart 1860.

Foto: Die Ev. Pfarrkirche von Deckenpfronn wurde 1818 neu erbaut. Im April 1945 wurde sie bis auf die Außenmauern zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte 1953.

Deckenpfronn, Gemeinde II. Klasse mit 1206 Einw. - Ev. Pfarrei.

Am nördlichen Saume des sog. Gäus hat das Dorf auf einer flachwelligen, fruchtbaren Hochebene, gerade auf der Wasserscheide zwischen der Nagold und der Würm, eine freie, angenehme Lage. Die Entfernung von der nordwestlich gelegenen Oberamtsstadt beträgt 2 ½ Stunden und die von dem südöstlich gelegenen Herrenberg 2 Stunden. ...

Der ansehnliche, gedrängt, aber nicht besonders regelmäßig angelegte Ort ist mit reinlichen, durchaus gekandelten Straßen versehen, die übrigens mit Ausnahme von 2 Hauptstraßen nur schmale Seitengassen sind. Die theilweise mit steinernen Unterstöcken versehenen Gebäude sind in gutem Stande und tragen den Charakter ächter Ländlichkeit.

Die beinahe in der Mitte des Orts stehende Pfarrkirche, welche Eigentum der Stiftungspflege ist, wurde im Jahr 1817/18 mit einem Aufwand von 14,000 fl.1*, wozu der Staat 1200 fl. beitrug, neu erbaut. Sie hat 2 Reihen Fenster übereinander und ist in ihrem Innern hell und weiß getüncht. Der viereckige, in seinen untern Theilen sehr alte Thurm enthält im untern Stockwerke ein Kreuzgewölbe, auf dessen Schlußstein Agnus Dei2* angebracht ist; auch sieht man noch deutliche Spuren von zugemauerten, im romanischen Styl gehaltenen Fernstern. ...

Das Pfarrhaus steht an der Hauptstraße und wird von dem Staat unterhalten. Das in den Jahren 1829 und 1842 nahmhaft verbesserte Schulhaus enthält neben 3 Lehrzimmern die Wohnungen des Schulmeisters, des Unterlehrers und des Schulgehilfen, wie auch im untern Stockwerk den Schafstall. Das ansehnliche freistehende Rathhaus mit Thürmchen und Glocke auf dem First ist im J. 1829 neu erbaut und im J. 1842 um 5000 fl. von der Gemeinde erkauft worden. Ein Gemeindebackhaus besteht schon längst und ein öffentliches Waschhaus ließ die Gemeinde im Jahr 1824 an der Stelle des früheren erbauen.

Der Ort hat keinen laufenden Brunnen, dagegen liefern 4 Zieh- und 34 Pumpbrunnen gutes Trinkwasser, das jedoch in sehr trockenen Jahrgängen ziemlich nachlässt, so daß das Wasser von den Gemeindebrunnen ausgetheilt werden muß. Am westlichen Ende des Orts ist eine Wette angelegt und außerhalb des Dorfes besteht ein kleiner See, aus welchem zur Zeit des Wassermangels das Wasser für das Vieh geholt wird. Etwa ½ Stunde südlich vom Ort liegt der Egelsee, der von den Blutegeln, welche er beherbergt, seinen Namen erhielt; in der Nähe desselben, wie auch auf andern Stellen der Markung kommen nicht selten Erdfälle vor.

Die Einwohner sind ein wohlgewachsener, schöner Menschenschlag und erfreuen sich im Allgemeinen einer guten Gesundheit; epidemische Krankheiten gehören zu den Seltenheiten. Sie verbinden mit großem Fleiß einen religiösen Sinn und äußere Ehrbarkeit; bemerkenswerth ist, daß hier das Schachspielen häufig und gewandt getrieben wird.

Die Haupterwerbsquellen bestehen in Feldbau und Viehzucht; Einzelne treiben besondern Handel mit Getreide und Vieh. Außer 2 Schildwirthschaften und 3 Krämern beschränken sich die Gewerbe auf die nöthigsten örtlichen Bedürfnisse. Die Vermögensumstände der Einwohner gehören zu den besten des Bezirks, indem, obgleich eigentliche Reiche nicht vorhanden sind, der sog. Mittelstand vorherrscht und sogar die minder Bemittelten mit wenig Ausnahmen noch ein Stück Rindvieh besitzen. Der ausgedehnteste Güterbesitz beträgt etwa 43 Morgen3*, der mittlere 15 - 18 Morgen; die Unbemittelteren besitzen ¼ - 1 ½ Morgen. ...

Wegen der hohen Lage ist die Luft gesund, jedoch etwas rauher als in der Umgegend. ...

Der Gemeindehaushalt ist geordnet und eine Gemeindeschadensumlage bis jetzt nicht nöthig geworden; ...

Der Ort, dessen Name "Pfründe des Dechanten" bedeutet, wurde um 830 sammt der Kirche an das Kloster Hirschau vergabt von dem Grafen Erlafried, einem Ahnherrn der späteren Grafen von Calw. Als im 11. Jahrhundert das genannte Kloster nach langem Zerfall durch den Grafen Adelbert von Calw wieder neu gestiftet wurde, fiel ihm auch der hiesige Besitz wieder zu; in einer Urkunde vom 9. Oct. 1075, worin K. Heinrich IV. diese Wiederherstellung des Klosters bestätigt, erscheint sonach auch "Deggenphrum" (Wirt. Urk.-Buch 1, 279), und ist dieß die früheste gleichzeitig erhaltene Nennung des Ortes. ... Die hiesige Besitzung des Klosters Hirschau aber ... gelangte durch die Reformation an Württemberg.

1

1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 € gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 - 1875.

2

Lamm Gottes

3

1 württ. Morgen = 31,52 Ar.

Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung des Bissinger-Verlags Magstadt

Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das “königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 40. Band erschien 1860 die Beschreibung des Oberamts Calw. Die Oberamtsbeschreibungen sind eine interessante und unverzichtbare Quelle zur württembergischen Landeskunde und werden als Reprint immer wieder aufgelegt.

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