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Gärtringen>>Radikalpietist Johann Jakob Eipperle
Radikalpietist Eipperle aus Gärtringen

Wegen seiner Überzeugung aus dem Lande gejagt

Quelle: Gäubote - Tageszeitung im Kreis Böblingen für Herrenberg und das Gäu, 28. Juli 2004

Autor: Hans-Dieter Frauer
Der Pietismus ist um 1675 entstanden und schon ab etwa 1680 in Württemberg nachgewiesen. Es dauerte aber seine Zeit, bis er zu einer typisch württembergischen, innerkirchlichen Bewegung geworden war. Bis dahin waren einige Irrungen und Wirrungen zu überstehen. Ein "Radikalpietist" war der Bauer Johann Jakob Eipperle aus Gärtringen.

Die weithin in steriler Orthodoxie erstarrte Amtskirche, die zudem eng mit dem altwürttembergischen Staat verflochten war, zeigte sich recht unbeholfen jenen Menschen gegenüber, die doch eigentlich nur fromm sein wollten, und sie stand „dem Pietismo" zunächst extrem argwöhnisch gegenüber. Es gab Gesetze „gegen die Pietisterey" und noch im frühen 19. Jahrhundert wollte der württembergische König Friedrich „den Pietismo repressieren". Geistliche und weltliche Obrigkeit sind mit Menschen mit unangepasster Frömmigkeit nicht immer freundlich umgegangen. Ein Beispiel von unschöner Eindrücklichkeit dafür ist die Lebensgeschichte des reichen Gärtringer Bauern Johann Jakob Eipperle (1729 bis 1797), der wegen seiner Glaubensüberzeugung Hab und Gut verlor, aus seiner Heimat gewiesen wurde und verarmt in der Fremde starb.

"Geheiligtes" Leben
Nach dem 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648) war in dem rings von katholischen Gebieten umschlossenen Altwürttemberg rasch der Pietismus heimisch geworden. Er sieht die Bibel als Lehr- und Lebensbuch, betont stark den persönlichen, selbst verantworteten Glauben und will ein von ihm geprägtes „geheiligtes" Leben. Die frühen Pietisten stellten daher hohe Ansprüche an sich und beeindruckten durch eine geradezu vorbildliche Lebensführung. Genau das traf auf Eipperle zu. Der reiche Landwirt galt wegen seines untadeligen Lebenswandels vielen als Vorbild eines wahren Christen und war in und um Gärtringen herum bekannt und hoch angesehen.

Seine Ehefrau Anna Maria geborene Lutz teilte die Überzeugungen ihres Mannes. Dessen verantwortungsvolle Lebensführung hob sich deutlich ab von der verschwenderischen Mätressenwirtschaft am Herzogshof in Stuttgart und Ludwigsburg. Die „Sinnenbrunst" dort würde selbst heute noch auffallen, der einfache Mann damals konnte sie sich schon gar nicht mehr vorstellen, er hatte aber dafür zu fronen und zu schuften.

Fromme grenzen sich ab
Das Treiben bei Hofe war derart, dass fromme Pfarrer deswegen das Gericht Gottes über Württemberg befürchteten und in pietistischen Kreisen wurde immer öfter darüber nachgedacht, ob denn wahres Christentum noch im Rahmen einer mit diesem Staat verflochtenen Kirche gelebt werden könne. Gerade fromme Menschen grenzten sich immer mehr von der in ihren Augen gottlos gewordenen Obrigkeit und der Amtskirche ab und zogen sich zurück. Auch Eipperle wurde über seinen Überlegungen zum „Radikalpietisten". So weigerte er sich ab 1765, Gottesdienst und Abendmahl zu besuchen und taufte seine neu geborenen Kinder selbst. Das hatte Verhöre vor Pfarrer und Dekan zur Folge. Eipperle begründete sein Handeln mit aus dem Bibelstudium gewonnen Glaubensansichten und dem nach seiner Auffassung damals "ungläubigen" Gärtringer Gemeindepfarrer. Als seine Frau ein Jahr später erneut schwanger war, quartierte zwar das Oberamt vor der Niederkunft eine Hebamme ein, die das Recht zur Nottaufe besaß, Eipperle überlistete sie aber, hielt sie von der Geburt fern und taufte erneut selbst. Das wiederholte sich in den folgenden Jahren.

Schulbesuche untersagt
Die Sache spitzte sich weiter zu, als sich Eipperle immer mehr aus der Gesellschaft zurückzog. Schließlich untersagte er seinen Kindern den Schulbesuch und unterrichtete sie selbst. Er erhielt mehrfach Geldstrafen, als das aber im Sinne der Behörde nicht fruchtete, wurden er und seine Frau schließlich aus dem Land gewiesen. Die Kinder mussten zurück bleiben, die ältesten kamen in das Zucht- und Arbeitshaus nach Ludwigsburg. Mehrere Rückkehr-Versuche Eipperles scheiterten, weil sich das Paar weigerte, von seinen Überzeugungen abzulassen. 1797 verstarben beide verarmt in Adelmannsfelden.

Beschimpfungen durch Bewohner
Den Akten kann man entnehmen, dass sich geistlich/weltliche Obrigkeit schwer mit dem "Fall Eipperle" tat. Alle ihre Maßnahmen gegen ihn erfolgten nämlich unter deutlichen Missfallenskundgebungen und sogar Beschimpfungen durch die Einwohner von Gärtringen und Umgebung, was damals noch mehr Mut erforderte als heute. Außerdem wurde Eipperles Überzeugung von vielen geteilt. In Gärtringen gab es damals einen Kreis, der aus verschiedenen Gründen extrem kritisch zur Institution Kirche stand. Ihm gehörten auch Mitglieder aus Nufringen und Herrenberg an. So wurde eine Anna Maria Riethmüller aus Nufringen zu einer vierwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie den Gottesdienst gestört haben sollte, und ein Benedikt Canz aus Herrenberg wanderte wegen seiner religiösen Überzeugung längere Zeit ins Zuchthaus nach Ludwigsburg. Für heutige Begriffe sind die Strafen kaum verständlich, sie machen aber eigentlich deutlich, dass weltliche und kirchliche Behörden hilflos gegenüber Menschen mit einer unangepassten Frömmigkeit waren.

Unangepasst waren aber nicht Laien, sondern auch viele Pfarrer. Auch gegen sie ging die Obrigkeit vor, ohne damit die von ihnen aufgeworfenen Fragen aber befriedigend lösen zu können. Aufmüpfige, pietistische Pfarrer, die durch eine strenge Kirchenzucht auffielen und etwa nicht jeden zum Abendmahl zuließen, hatten aber mit harschen Maßnahmen der Kirchenleitung zu rechnen. Sie wurden zum Verhör beim Konsistorium einbestellt und konnten dann verwarnt, strafversetzt, entlassen oder des Landes verwiesen werden.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Gäuboten

Der Autor Hans-Dieter Frauer ist Journalist in Herrenberg, arbeitet für den Evangelischen Pressedienst Südwest und ist ein ausgewiesener Kenner der württembergischen Kirchengeschichte. Im Verlag der Liebenzeller Mission erschien sein Buch „Der breite und der schmale Weg – Pietismus in Personen“, Bad Liebenzell 2003, (ISBN 3-921113-64-4). Begleitend zur Ausstellung „Der breite und der schmale Weg – Pietismus auf Schwäbisch“, die vom 16. Juli – 3. Oktober 2004 in der Deckenpfronner Zehntscheuer zu sehen war, veröffentlichte er im „Gäuboten“ eine Serie über den „Pietismus im Gäu“.

Literaturhinweis:
Eberhard Fritz: Radikaler Pietismus in Württemberg. Religiöse Ideale im Konflikt mit gesellschaftlichen Realitäten (Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte Band 18), Tübingen 2003.

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