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Erinnerungen an Friedrich Sieburg

Quelle: „Die Schwalben fliegen hoch“, Erinnerungen an Friedrich Sieburg zum 100. Geburtstag, herausgegeben von der Gemeinde Gärtringen, 1994

Autor: Klaus Harpprecht

Bild: Friedrich Sieburg (Bild: Gemeinde Gärtringen)

Sieburg wurde (nach dem Krieg) niemals mehr auf die Bühne der deutsch-französischen Zusammenarbeit gebeten. In der Kulisse schrieb er die Bücher, mit denen er eine geradezu schwelgerische Sympathie für sein Frankreich in der Seele der Deutschen geweckt hat. Man mag das große Feuilleton, das den verführerischen und ein wenig verlogenen Titel „Unsere schönsten Jahre“ trug, als eine romantische Verklärung der Historie empfinden, allzu poetisch und allzu sentimental: es hat dennoch, vielleicht gerade darum, die latente Bereitschaft der Deutschen, Frankreich zu lieben, auf eine erstaunliche Weise ermutigt. Die Zuneigung, die so lange unter den Trümmern von Krieg und Haß verschüttet war, stärkte sich an den beispiellosen Erfolgen des Revolutionsbuches „Licht und Schatten der Freiheit“, des Napoleonbuches über die „Hundert Tage“ und aus dem „Chateaubriand“, der Sieburg reifstes und schönstes Buch war, eine Art camouflierter Autobiographie: veredelt, hoch stilisiert, in ein irisierend-verklärendes Licht gehoben. Eine Existenz in den Brechungen zwischen Revolution und Restauration, Romantik und Politik, Literatur und Diplomatie, weltläufiger Eleganz und melancholischer Isolation: es war Sieburgs geträumtes Leben. ...

Sieburgs Dasein aber scheint erst mit dem Augenblick der Ansiedlung in diesem grundschwäbischen Dorf Gärtringen, einen Sprung weg von Tübingen und Stuttgart entfernt, ganz überschaubar zu werden. Es ist, als habe er mit dem Einzug in das prächtige Anwesen, das die dritte Frau für sich und vor allem für ihn geschaffen hat, endlich eine bleibende Statt gefunden. Zunächst hauste er in dem anmutigen Pavillon am Rande des Parks hinter rosagetönten Mauern und Fenstertüren nach französischer Manier, von einer Hecke und zierlichen Putten abgeschirmt, schrieb mit englischen Stahlfedern an einem französischen Schreibtisch (Louis XVI.), schlief in einem hohen Empire-Bett, in dem er - der Chronist erfuhr es an sich selbst - wie lebenden Leibes aufgebahrt lag. Später zog er hinüber ins Haupthaus, den „Schwalbenhof“, dessen Architektur ein merkwürdiges Gemisch von normannischen und schwäbischen Elementen, von barockem Landschloß und Gründervilla ist, nach dem Willen der Besitzerin aus einem württembergischen Acker gestampft, voll schöner Gegenstände, köstlicher Bilder, kostbarer Möbel und einer stattlichen Bibliothek.

Villa Schwalbenhof

Bild: Die Villa Schwalbenhof in Gärtringen (Foto: Klaus Philippscheck) - Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern.

Eine repräsentative Residenz, der angemessene Rahmen für einen Schriftsteller, der sich zu einer aristokratischen oder wenigstens großbürgerlichen Existenz berufen fühlt. Das Verlangen nach »Repräsentation«, das Sieburg mit Thomas Mann geteilt hat, war seine Achillesferse. Seiner Talente wohl bewußt, fühlte er sich zu einem herausgehobenen Geschick berufen: so will es das Lebensgefühl des Künstlers, des Literaten, vielleicht sogar des Journalisten, der sich zur Elite seines Berufsstandes zählt.

Indes, er schien zu vergessen, daß die intellektuelle Elite nicht notwendig dazu erkoren ist, auch zur gesellschaftlichen Elite aufzuschließen. Literaten dürfen reich sein, was ihnen, Gott sei es geklagt, nur selten widerfährt. Literaten dürfen sogar einen guten Geschmack haben, was sich auch nicht von selbst versteht. Sie dürfen Cashmir tragen und Damen von Welt in die Oper begleiten. Sie dürfen sie sogar heiraten, wenn es denn Spaß macht. Aber sie dürfen niemals dem Irrtum verfallen, sie könnten sich die Aufnahme in die Aristokratie des Besitzes, des Geldes oder der Traditionen erschreiben. Sie gehören - das beschwert ihr Dasein und zeichnet es aus - weder der Aristokratie noch dem Bürgertum an. Sie gehören auch nicht zum »Volk«, was immer das sein mag, sie gehören erst recht nicht zum sogenannten Proletariat: die Illusion der alten Rechten, die sich blut- und bodenselig der erträumten Gemeinschaft mit den Bauern hingeben wollte, der klassische Irrtum der Linken, die mit verzücktem Eifer ihre Vereinigung mit der Arbeiterschaft zu vollziehen versuchten. Beide verloren darüber konsequent den Verstand und obendrein die Moral.

Die Intellektuellen, ob konservativ oder progressiv, gehören auch nicht der »politischen Klasse« an, deren Sache es ist, die Macht zu verwalten: sie können ihr, vorübergehend und mit Vorbehalten, mit ihren Worten für eine Weile helfen, doch sie dürfen sich ihr - bei Gefahr für Kopf und Gewissen - niemals völlig verschreiben, gleichviel welcher Partei sie zuneigen mögen. Sie sind, die Konsequenz ihrer Gebrochenheiten und ihrer professionellen Skepsis, für die Handhabung der Macht nicht geeignet. Dazu fehlt ihnen eine essentielle Voraussetzung: jene ruchlose Unschuld - siehe Konrad Adenauer, Franklin Delano Roosevelt oder Winston Churchill-, die einen solideren Schutz vor dem Mißbrauch gewährt, als es die nervösen Skrupel der Intellektuellen sein könnten.

Sie gehören, um die Dinge auf die Spitze zu treiben, nicht einmal mit restloser Eindeutigkeit einer Religionsgemeinschaft oder einer Nation an. Ihr Platz ist zwischen den Klassen, zwischen den Berufen, zwischen den Konfessionen, zwischen den Völkern: kein bequemer Aufenthalt - und dennoch der beste, den es gibt.
Im Inneren der Villa mit Sieburg-Ausstellung

Bild: Im Inneren der Villa mit Sieburg-Ausstellung. (Foto: Klaus Philippscheck) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern.

In Gärtringen, im Schloß auf dem Acker, diesem Idyll im Niemandsland, schien Sieburg endlich zur Ruhe gekommen zu sein. War er es wirklich? Wir wissen es nicht. Er hinterließ kaum Spuren: kein Tagebuch, keine Erinnerungen, keine ausufernde Korrespondenz. Man fragt sich, ob Sieburg hinter der aristokratisch-großbürgerlichen Kulisse seines Daseins, die er mit soviel Glanz und nicht geringem Behagen belebt hat, nicht im Grunde seiner Seele der „unbehauste Mensch“ war, von dem Hans Egon Holthusen im Titel seiner Gedichte aus dem Jahre 1951 gesprochen hat.

Es ist nicht sicher, ob es für den Intellektuellen eine Heimat im vertrauten, gemüthaften oder gar gemütlichen Sinne gibt. Der Landsitz, ob in Schwaben oder in Frankreich, beantwortet die Frage nicht. War Voltaire auf seinem Gut Ferney bei Genf wirklich zu Haus? Oder Flaubert in der Familienresidenz von Rouen? Gottfried Benn in seiner Berliner Mietwohnung? Thomas Mann in der behäbigen Villa an der Alten Landstraße von Kilchberg? Zu Haus wie der Herr Notar oder der Gevatter Schuster oder der Vorarbeiter von Daimler im sogenannten Eigenheim? Man mag daran zweifeln.

Der Mann, die Frau der Literatur finden ihre Heimat, wenn nicht vieles trügt, nur im Wort, dem sie dienen. Im Wort und, wenn sie Glück haben, in der Liebe einiger Menschen. Das Wort ist ihnen alles: Werk und Gehäuse, Vehikel der Ideen, Waffe des Angriffs und der Verteidigung, Gedanke und Tat, Objekt der Lust, Instrument der Zeugung, Erfahrung der Macht und der Ohnmacht. Es ist, in einem Satz, ihr Leben. Von ihm gilt, was Martin Luther in seiner Bibel von jedem Menschenleben sagte: »Wenn es köstlich gewesen ist, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen« .

»Verloren ist kein Wort« steht über einem von Sieburgs letzten Büchern, melancholisch und voll tapferer Hoffnung. Man darf von ihm sagen, daß er - gegen die uniformierende Tyrannis seiner Epoche - die Schönheit und den Reichtum der deutschen Sprache gemehrt hat. Die Sprache war sein Mittel der Resistenz. Sie war seine Tugend. Sie war die Disziplin, aus der er sich niemals entließ. Er hat ihr in exemplarischer Weise gedient. Sie ist die Spur seines Lebens, die bleibt.

Der Text wurde gekürzt. Er ist auch in Klaus Harpprechts Essay-Band „Schreibspiele. Bemerkungen zur Literatur“, Bonn, Bouvier 1997, abgedruckt. Wir danken dem Autor und der Gemeinde Gärtringen für das Veröffentlichungsrecht.

Friedrich-Sieburg-Gedenkstätte in der Gärtringer Villa Schwalbenhof

Wikipedia: Friedrich Sieburg

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