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Rohrau>>Gips/Sandmühle

„Die Rohrauer Gips- und Sandmühle"

Zur Alltagskultur eines württembergischen Dorfes im 19. Jahrhundert

Quelle: "Denkmale in der Nachbarschaft - gesehen und besucht im Kreis Böblingen", Sindelfingen 1990".

Autorin: Regine Zennß, M.A.

Foto: Die Rohrauer Gips- und Sandmühle wird heute als Museum genutzt - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Blättert man in Rohrauer Gemeinderatsprotokollen, Kaufbüchern, Gebäudekatastern, Untergangsprotokollen, Bürgermeister- und Gemeindepflegerechnungen, stößt man immer wieder auf Vorgänge, die mit "Ipß- und Sandmühlen, Gübsmüllern, Sandbauern, Sandträgern, Gips- und Sandhändlern" zu tun haben.

Das kleine Steingebäude, das sich versteckt hinter den Gebäuden an der Ecke Gärtringer Straße/Hildrizhauser Straße befindet, ist ebenso wie die noch heute sichtbaren Gips- und Sandsteinbrüche oberhalb des Orts, das äußere Zeichen der Arbeit und des Lebens rund um den Gips und Sand. In dem renovierten Gebäude befindet sich jetzt das Rohrauer Heimatmuseum.

Was ist das nun, ein Gipsmüller oder ein Sandbauer?
Auf Rohrauer Markung, aber auch in weiteren Gemeinden des Oberamtes Herrenberg, liegen vor allem in Richtung Schönbuch Gipskeuper- und Stubensandvorkommen1*. Dieser Gips wird nun, da zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch kein Kunstdünger bekannt, aber dennoch das Wissen um die Möglichkeiten der Bodenverbesserung vorhanden ist, von den Gipsmüllern in Steinbrüchen abgebaut, in ihren Mühlen zu pulverisiertem Düngergips gemahlen und verkauft. Auf Rohrauer Äckern wird der Dünger kaum benötigt.

Fegesand für den Stubenboden
Etwas später wird, den Archivquellen zufolge, von den sogenannten Sandbauern in den Stubensandsteinbrüchen Sand gebrochen, um ihn dann in den Mühlen zu feinem Feg- und Scheuersand aufzubereiten. Mit diesem Fegesand wurden die Stubenböden bestreut oder er wurde als Scheuersand zum Reinigen von Haushaltsgerätschaften verwendet.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird Gips als Düngemittel nach und nach verdrängt. Die Mühlenbesitzer konzentrieren sich nun fast ausschließlich auf die Sandaufbereitung. Noch in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts kann man Rohrauer Sandhändlern auf ihren Verkaufsfahrten begegnen. Aber auch diesem Erzeugnis macht die Konkurrenz der neu aufkommenden Putzmittel schwer zu schaffen. Ende der 50er Jahre hat dieses Reinigungsmittel fast völlig an Bedeutung verloren. Die heute noch bestehende Gips-/Sandmühle blieb, unter anderem, dank des Ankaufs durch die Gemeinde Rohrau, erhalten.

Insgesamt zehn Steinmühlen
Als der Sandgrubenpächter Stefan Süßer seine Mühle 1837 in Betrieb nimmt, ist ihm die Arbeit des Sandbrechens nicht unbekannt. Sein Vater gehörte zu den ersten Arbeitern in den Rohrauer Sandbrüchen. Nur eine Mühle hat dieser nie besessen. Er hat wohl seinen Sand in den bereits bestehenden Mühlen der Familien Kientzle und Hahrer zum Verkauf aufbereitet.

Foto: Innenansicht der Rohrauer Mühle. An der Rückwand die Reproduktion eines Fotos (Aus: Museen im Landkreis Böblingen, Böblingen 1998)

Über einen Zeitraum von 100 Jahren (1799-1899), werden in Rohrau nachweisbar zehn Steinmühlen erbaut, beziehungsweise in Scheuern und Remisen eingerichtet. Vier davon bis Mitte des 19. Jahrhunderts, sechs weitere kommen bis Ende des Jahrhunderts hinzu.

Rohrau war eine der ärmsten Gemeinden des Herrenberger Oberamts. Armut und Mangelverwaltung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Dorfes. Die Gips- und Sandmüllerei fungierte im Alltag als wichtiges Standbein zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Ohne den Beitrag der Gipsmüller- und Sandhändlerfamilien in dem auch für Rohrau so krisenhaften Verlauf des 19. Jahrhunderts kann man sich die Entwicklung des Ortes nicht vorstellen. Die Geschichte dieser Familien und aller anderen Bewohner lässt erkennen, wie das Leben unter den Bedingungen jener Zeit in diesem kleinen "Flecken" bewältigt und gestaltet werden konnte. Diese Menschen, die mehr schlecht als recht von ihrer Hände Arbeit leben konnten, haben eine eigene Kultur geschaffen - eben Rohrauer Alltagskultur.

1

oberste Formation der Trias (vor 245-200 Mio. Jahren)

Mit freundlicher Genehmigung des Röhm-Verlags und der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung

Gemeinde Gärtringen

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