zeitreise bb
Gültstein>>Helene Gerlach
„Das Gäu in den Sand konstruiert“

Helene Gerlach erinnert sich an ihre Schulzeit im Gültstein der 1920er Jahre


Quelle: „So musste ich wieder wandern“ – Lebenserinnerungen von Helene Gerlach, Gültstein. Hrsg.: Landkreis Böblingen/Kreisarchiv; Redaktion: Dr. Helga Hager, Böblingen 2002, S. 24-28. (Zur Kultur und Geschichte im Kreis Böblingen 1)

Autorin: Helene Gerlach

Bild rechts: Unter dem Titel „So musste ich wieder wandern“ wurden die Lebenserinnerungen von Helene Gerlach aus Gültstein im Jahre 2002 vom Böblinger Kreisarchiv herausgegeben. – Für eine Detailansicht klicken Sie bitte hier

Im Jahre 1992 begann die Gültsteinerin Helene Gerlach, geb. Meyer, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Sie war damals 75 Jahre alt. Ihr Berufsweg „zwischen Hauswirtschaft und Landwirtschaft“ ist typisch für das Gäu, andererseits trägt er aufgrund ihrer „Wanderschaft“ durch zahlreiche Dienststellen – vom herrschaftlichen Haushalt, über Kliniken bis zur Missionarsfamilie - ganz eigene Züge. „Wenn Helene Gerlach über ihre Kindheit und Jugend erzählt, entsteht vor unseren Augen eine längst verschwundene dörfliche Welt, mit ganz eigenen Gerüchen und Milieus, mit der engen Verflechtung von Arbeit und Leben, mit unverwechselbaren Persönlichkeiten“, so Helga Hager im Geleitwort der vom Böblinger Kreisarchiv herausgegebenen Lebenserinnerungen.

Bild links: Lehrer Knöll mit der Klasse von Helene Gerlach und anderen Schülern vor dem Gültsteiner Schulhaus. (Aus: "So musste ich wieder wandern" - Lebenserinnerungen von Helene Gerlach, Böblingen 2002, S. 25, Foto: Privatbesitz) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Im folgenden Abschnitt erinnert sie sich an ihre Schulzeit in Gültstein:

„In der Schule gab es noch Holz- und Kohleöfen, die eine Putzfrau schürte. Es waren noch einfache Bretterböden zum Aufwaschen, samstags wurden sie ab und zu mit Bodenöl eingerieben. Im Sommer mussten die Buben am Brunnen Wasser holen und auf den Fußboden spritzen wegen dem Staub und der Wärme. Da gab es wieder frische Luft. Wir hatten auch in der Schule einen Sandkasten. Die Buben mussten für uns Wasser holen, damit wir Mädchen Teig aus dem Sand machen konnten. Lehrer Knöll hat dann das Gäu in den Sand konstruiert, und wenn es trocken war, angemalt: Herrenberg mit Kirche, Schönbuch, Gültstein, Ammertal und Mühle mit Pappelallee. Er hat uns auch schöne Bilder gemalt mit Zwergen drauf, die in den Hängematten hingen oder auch Pfeifchen rauchten. Er hat sie in der Schule an die Wand gehängt, das war schön.

Es war eine Zeitlang, da haben wir Mädchen Läuse gehabt auf dem Kopf. Da ist unser Lehrer hergegangen und hat jeden Montag eins nach dem anderen rauskommen lassen und den Kopf kontrolliert. Wer noch welche gehabt hat, musste in der Apotheke etwas kaufen. Damit musste die Mutter den Kopf einreiben.

Einen schönen Ausflug machten wir auch mal auf die Alb. Uracher Wasserfall, Hohenurach, Falkensteiner Höhle bis zum Hohenneuffen, von dort aus mit dem Zug nach Hause. Der Zug hatte keinen Anschluss mehr in Tübingen, so mussten wir über Horb, Herrenberg, Nebringen fahren, dann aussteigen und zu Fuß nach Gültstein laufen. Nachts um 11 Uhr waren wir zuhause.

Bild: Gültstein in den 1920er Jahren. (Aus: "So musste ich wieder wandern" - Lebenserinnerungen von Helene Gerlach, Böblingen 2002, S. 26, Foto: Privatbesitz) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Wir hatten auch schöne Aufführungen gemacht, „Christkind im Walde mit den sieben Zwergen“. Ich war Prinzessin, hatte ein schönes Samtkleid bekommen; Mutter hat es von der Näherin nähen lassen. Sie hat schöne bunte Borten drauf gemacht. Den Stoff bekam ich von meiner Tante. Ich weiß noch, wie mein Bruder, der einen Zwerg spielte, zu mir sagte: „Nun iß und trink und laß’ es Dir gut schmecken, vom Bäcker Mayer sind die guten mürben Wecken“.

Als der Lehrer ging, haben wir für ihn zusammengelegt. Mein Vater hat eine Torte für ihn gebacken, und noch eine Flasche Wein hat er von uns bekommen. Zum Abschied sangen wir noch ein Lied. Wir haben geweint, weil wir ihn gerne hatten. Er war streng, aber gerecht, wir haben was gelernt bei ihm. Ich habe später auch einmal kurze Zeit den Haushalt geführt, als seine Frau gestorben war.

Von meinem Oberlehrer hab’ ich auch mal eine Tracht Prügel auf den Kopf bekommen. Ich hatte nur meine Nachbarin gefragt, was auf der Tafel draußen gestanden hat, was er angeschrieben und gleich wieder ausgewischt hatte. Dann kam er gleich und schlug mir ein paar Mal mit dem Prügel auf den Kopf. Ich habe sehr geweint, es tat sehr weh, bekam dann einige Schwielen und ging erst mit den anderen heim. Mutter sagte, ich soll meinem Vater nichts sagen, sonst würde er entlassen, uns sie hatten doch vier Kinder und brauchten das Geld auch nötig. Ich hatte dann oft Kopfweh, fiel auch öfters um, wenn’s heiß auf dem Feld war.

Eins hat der Oberlehrer aber auch getan: Er spielte gut Orgel und leitete den Kirchenchor. Und wir lernten viele schöne Lieder bei ihm.“ ...

Auszugsweise Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Böblinger Kreisarchivs.

Die Lebenserinnerungen von Helene Gerlach, „So musste ich wieder wandern“, erschienen als Band 1 in der Buchreihe "Zur Kultur und Geschichte im Landkreis Böblingen" und sind für 8,- € an der Kasse des Landratsamts Böblingen erhältlich.
Weitere Informationen zur Buchreihe "Zur Kultur und Geschichte im Landkreis Böblingen" finden Sie auf den Internet-Seiten des Kreisarchivs.

Diese Seite drucken
Zum Seitenanfang

www.zeitreise-bb.de