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„MEIN BLICK IN DIE GEGENWART WIRD ZUR SORGE FÜR DIE ZUKUNFT“

Johann Valentin Andreae als Reformer in Kirche und Gesellschaft

Quelle: Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 26. Juni 2004

Autor: Wilhelm Hahn

Bild: Johann Valentin Andreae gehörte zu den großen Gelehrten seiner Zeit. Der Theologe, Kirchenpolitiker und Reformator wurde 1586 in Herrenberg geboren. (Aus: 450 Jahre Reformation in Stadt und Amt Herrenberg, Herrenberg 1984, S. 14)

Er gilt als einer der großen Söhne Herrenbergs, auch wenn er dort nur die ersten Jahre seiner Jugend verbracht hat. Am 27. Juni 1654 starb Johann Valentin Andreae in Stuttgart. Inzwischen sind 350 Jahre vergangen. Doch seine Anstöße, die er durch sein Leben und Schaffen gab, machten ihn zu einem Großen der europäischen Geistesgeschichte.

Von Kriegswirren heimgesucht und immer wieder in Not und Elend – so berichten die Geschichtsschreiber aus den Jahren 1620 bis 1648 – blieb auch die Stadt Calw nicht verschont. Die Überfälle nach der Nördlinger Schlacht 1634 auf die Stadt Calw waren von so großem Ausmaß, dass von den 4000 Bewohnern durch Plünderungen und Morden nur noch 1500 Einwohner übrig blieben. Wenig später wurde durch die Pest nochmals die Hälfte der 1500 Calwer weggerafft: 750 Überlebende und unter ihnen der evangelische Pfarrer und Dekan von Calw, Johann Valentin Andreae.

Mit 15 an die Universität
Er wurde am 17. August 1586 in Herrenberg als fünftes von insgesamt sieben Kindern geboren, wo sein Vater als evangelischer Dekan tätig war. Reich an Begabungen aus dem Erbe seiner Vorfahren: Aus der Linie der Mutter, die aus dem Geschlecht der Moser stammte, gingen Ratsleute, Staatsmänner und Soldaten hervor.

Der Großvater, Jakob Andreae, war Kanzler der Tübinger Universität und hatte bereits damals schon sehr großen Einfluss auf kirchliche Gremien und damit auch auf Entscheidungen der Kirche.1*

Bereits mit 15 Jahren besuchte Valentin die Tübinger Hochschule und studierte dort mit Heißhunger alte und neue Sprachen, Philosophie, Mathematik und Geschichte. Nebenher beschäftigte er sich fleißig mit der Literatur, der Malerei, der Musik und der Astronomie.

Jugendunterweisung und Kirchenzucht
Im Jahr 1614 wurde er Diakonus, Pfarrer in Vaihingen/Enz. Sein Bestreben damals war: Weg vom Theologengezänk hin zum Christsein in der Praxis des Alltags. Maßgeblich beeinflusst durch den damals bekannten Johann Arnd 2* und dessen weit verbreitetem Buch „Vom wahren Christentum“, suchte er für sich den rechten Glauben in Lehre und Leben. Er meinte: „Von Religion schwätzen kann jeder, aber dem Glauben sich unterordnen, das trifft unter tausend kaum auf einen zu.“

Andreae packte die Nöte seiner Zeit tatkräftig mit konstruktiver Kritik an, die bereits Überlegungen praktischer Art im Sinn hatte. Durch sorgfältige Jugendunterweisung und durch die Einführung von Kirchenzucht wollte er der Sittenlosigkeit, dem Fluchen, der Trunkenheit, dem Streit unter Eheleuten und Nachbarn und der Entheiligung des Sonntags entgegenwirken. Das Gesetz, das er dabei anlegte, waren die 10 Gebote. Verantwortliche Richter waren der Pfarrer und der Bürgermeister zusammen mit einigen angesehenen Bürgern. Als Strafe wurden Geldbußen in den Heiligenkasten (Armenkasse) kassiert und bis zu 3 Tagen Arrest verhängt. Aus den eingehenden Bußgeldern wurden Arme unterstützt und Notstandsarbeit finanziert. In Vaihingen hatte er mit dieser Art Vorgehensweise wenig, fast keinen Erfolg.

Das Calwer Färberstift - Schulbeispiel der Barmherzigkeit
In Calw (1620–1639) dagegen gelang ihm ein Schulbeispiel der Barmherzigkeit. Heute würde man ‚Diakonie’ dazu sagen. Denn zusammen mit den Handelsleuten der Stadt Calw begründete er das ‚Färberstift’, eine soziale Einrichtung, mit der schon damals eine öffentliche Bücherei verbunden war. Die Beiträge dieser Stiftung benützte Andreä zur besseren Kindererziehung, zur Unterstützung armer Studenten, zur Ermunterung der Handwerker (Konjunkturspritze), zur Pflege der Armen, Kranken, Schwachsinnigen, Witwen und Waisen.

Von 1639 an baute er von Stuttgart aus als Hofprediger die württembergische Kirche wieder auf. Noch immer tobte innerhalb der Grenzen des deutschen Reichs der Dreißigjährige Krieg, der sich schon längst von einem Kampf um die Freiheit des Evangeliums zu einem europäischen Machtkampf entwickelt hatte. Von 1640 Pfarrern waren noch 338 übrig. Noch 20 Jahre nach der Schlacht zu Nördlingen lagen 36.300 Gebäude in Trümmern. Die Verwilderung war aufs Äußerste gestiegen: Hartherzig stieß man Hilflose im strengsten Winter auf die Straße. In manchen Fällen wurden menschliche Leichname verzehrt. Man trank auf die Gesundheit des Teufels. Reiche und Mächtige entzogen sich der Gerichtsbarkeit durch fürstliche Gunst und Korruption. Bald musste Andreae wiederum erkennen, dass Gesetze allein – erst recht nicht durch strenge Einhaltung, Verpflichtung und Überwachung der Zehn Gebote – nicht viel ausrichten. Ernüchtert darüber, dass eine polizeiliche Kirchenzucht in der Landeskirche nicht durchzuführen ist, wandte er sich nun mit um so größerer Treue seinem Predigtamt zu. Er trat den Lastern am Hofe des Herzogs mit unerschrockenem Mut entgegen, ertrug erregten Widerspruch und nahm dabei heimtückische Feindschaft auf sich.

Bildungswesen im Mittelpunkt
Andreae hat zu seiner Zeit viele Anstöße in verschiedener Hinsicht gegeben: Als ‚Genie der Freundschaft’ verkehrte er mit Hunderten von Personen persönlich und schriftlich – auch mit Gegnern setzte er sich intensiv auseinander. Bildungsreisen in Deutschland, in die Schweiz, Österreich, Italien und Frankreich erweiterten seinen Horizont als Schriftsteller, Erzieher und Sozialreformer. In seiner „Christianopolis“, seinem bekanntesten Werk, entwirft er eine Christenstadt, in der das Bildungswesen im Mittelpunkt steht, eine Utopie, die heute noch auf Einlösung wartet im Blick auf unser Staatswesen insgesamt.

Damals stellte er Forderungen auf wie:

1. „Bringe der Jugend nicht in einer fremden Sprache bei, was sie tun soll“.
2. „Lehre die Jugend nicht, was sie nicht fassen und worüber sie sich kein Urteil bilden kann“.
3. „Behandle im Unterricht nur das, was dem jeweiligen Alter angemessen ist und innerhalb seines Gesichtskreises liegt“.
4. „Es darf nicht zu viel Abwechslung und Mannigfaltigkeit im Lerngeschäft sein, denn das macht die Geister zerstreut und wirr, wenn sie durch Verschiedenartiges zersplittert werden“.
5. „Nicht vereinzeltes, gehäuftes, sondern verständiges Wissen hilft allein, indem mehr als gewiss ist, dass eine solche unzeitige Gemütsschärfe gar leichtlich also stumpf werden kann, dass sie ihr Lebtag aus den Furchen schreitet.“


Vorkämpfer für Glaubens- und Gesellschaftsreform
Andreae gab zu seiner Zeit als Theologe und Kirchenpolitiker Anstöße als Vorkämpfer für eine Glaubens- und Gesellschaftsrefom. Er war Reformator in Württemberg. Als Sprachenkenner, Kunstförderer, Musiker, Naturkundiger, Techniker, Schriftsteller und Europäer ist er zum Anreger für seine und unsere Zeit geworden.

Am 27. Juni 1654 starb Andreae in Stuttgart krank und teilweise resigniert über das herzogliche Kirchenregiment. Seine letzten Worte waren Trost aus der Bibel: „Das ist unsere Freude, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind im Buche des Lebens.“

1

Jakob Andreae brachte es als Nachfolger des Reformators Johannes Brenz fertig, in langen und mühevollen Verhandlungen das deutsche Luthertum bis zum Jahr 1580 im sog. „Konkordienwerk“ zu einigen.

2

Arndt (Arnd), Johann, luth. Theologe und Erbauungsschriftsteller, * 27.12. 1555 als Pfarrerssohn in Edderitz bei Ballenstedt am Harz, † 11.5. 1621 in Celle.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Kreiszeitung / Böblinger Bote

Der Autor, Wilhelm Hahn, ist Religionspädagoge und unterrichtete über 30 Jahre Religion an Böblinger Schulen, zuletzt an der Eduard Mörike Schule und am Albert Einstein-Gymnasium. Von 1972 bis 1984 war er Mitglied der Württembergischen Evangelischen Landessynode. Hahn ist in Böblingen-Dagersheim aufgewachsen und lebt heute mit seiner Familie in Calw-Holzbronn. Als Autor und Referent befasst er sich mit kirchengeschichtlichen Themen.

Weblinks:
Andreae Gymnasium Herrenberg
Freie Enzyklopedie Wikipedia


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