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„Gott dienen ist Freiheit“

Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782)

Universalgenie und unangepasster Querdenker

Quelle: Der breite und der schmale Weg – Pietismus in Personen. Verlag der Liebenzeller Misssion, Bad Liebenzell 2003, S. 22-26

Autor: Hans-Dieter Frauer

Bild: Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) war zeitlebens ein unangepasster Querdenker. Der »Magus des Südens« beherrschte das gesamte Wissen seiner Zeit. Sein Lebensmotto war: »Gott dienen ist Freiheit« . Gemälde von Georg Adam Eger aus dem Jahre 1775. (Foto: www.heiligenlexikon.de_)

Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) zählt zu den ungewöhnlichsten Gestalten in der an Originalen gewiss nicht armen württembergischen Kirchengeschichte. Er praktizierte als Arzt und war in der Lage, seine Söhne in Chemie, Medizin und Latein zu unterrichten. Zeitlebens betrieb er naturwissenschaftliche Studien. Er verfasste Lehrbücher, er musizierte und komponierte, er beschäftigte sich mit Elektrizität und Mathematik, mit Mystik und Kabbala (einer jüdischen Denkrichtung), er war Philosoph und Pädagoge, Politiker und Mediziner und vor allem Theologe - in allen Bereichen immer forschend, immer nachfragend und immer und überall den Dingen auf den Grund gehend. Er hat mit seinen über hundert Büchern, Schriften und Briefen fast alle führenden Köpfe seiner Zeit erreicht. Mit seinem überbordenden Schaffen und seiner spekulativen Fantasie wird Oetinger zu den Universalgenies gerechnet, die das geistige Klima ihrer Zeit und Nachwelt geprägt haben. Er gilt als einer der großen Schwabenväter; viele seiner Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt, sogar ins Russische und ins Japanische.

Der unangepasste Querdenker entstammte der altwürttembergischen Ehrbarkeit. Er wurde am 2. Mai 1702 in Göppingen geboren und war nach Theologiestudium und ungewöhnlich ausgedehnten Bildungsreisen Gemeindepfarrer in Hirsau, Schnaitheim und Walddorf, danach Dekan (Spezialsuperintendent) in Weinsberg. 1759 wurde er nach Herrenberg berufen, von dort ging er 1765 als Prälat nach Murrhardt, wo er 1782 starb. In der Stadtkirche liegt er begraben.

Bild: In Herrenberg, wo Oetinger von 1759– 1765 als Spezialsuperintendent (Dekan) tätig war, hat er nach eigenen Angaben seine glücklichste Zeit erlebt. Der kleine Bezirk umfasste damals zwölf Pfarreien mit zusammen etwa 9 000 Evangelischen; das ließ ihm Zeit für umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten: Daher sind in Herrenberg viele seiner Bücher entstanden. Im Herrenberger Dekanat soll er auch den Geistern gepredigt haben: Bis heute gibt es hier ein sog. "Geisterzimmer" mit der original erhaltenen Einrichtung.

Im Nordschwarzwald hatte Oetinger 1738 als Gemeindepfarrer von Hirsau eine höchst folgenreiche Begegnung. Er kam in Kontakt mit dem Calwer Schulrektor Johann Martin Schill, der spiritistische Fähigkeiten besaß und mit Verstorbenen Umgang hatte. Durch ihn ist Oetinger der Überlieferung nach zum Geisterprediger geworden. Bis heute werden im Nordschwarzwald und im Schönbuch Orte gezeigt, wo er den Geistern gepredigt haben soll; im Dekanat Herrenberg gibt es bis heute ein an ihn erinnerndes »Geisterzimmer«.

Für Oetinger galt unumstößlich, dass allein die Bibel die Summe aller Weisheit enthalte. Darum hat er zeitlebens der Leiblichkeit der Werke Gottes nachgespürt und schon früh sein Lebensmotto gewählt »Gott dienen ist Freiheit!« Das hat er zeitlebens in ungezählten Veröffentlichungen entfaltet, zuletzt in seinem 1776 erschienenen »Biblischen und Emblematischen Wörterbuch«, für das es weltweit in der Theologie nichts Vergleichbares gibt.

Was Oetinger in der Bibel findet, das führt er weiter, auslegend, vertiefend, erläuternd; er gelangt von der wörtlich-konkreten Bedeutung des biblischen Wortes aus zu tiefgründigen und tiefsinnigen Erkenntnissen. So ist er zum maßgeblichen Vertreter des spekulativen württembergischen Pietismus und zu einem der großen Denker Deutschlands geworden. Bis heute werden seine Predigtbände immer wieder aufgelegt und in Kreisen des Altpietismus - etwa in den Hahn'schen Gemeinschaften - aufmerksam studiert.

Der ungewöhnliche Mann sprengte alle Schemata. Den einen war er ein verehrter Lehrer und Prophet, den anderen ein Geisterprediger, Alchimist und Magier. Bereits als Theologiestudent beschäftigte er sich mit dem Theosophen Jakob Böhme, der über hundert Jahre zuvor nach eigenen Erleuchtungserlebnissen ein höchst eigenwilliges philosophisch-mystisches System entfaltet hatte. So war ihm die Lehrtafel der Prinzessin Antonia in Bad Teinach wohl vertraut und was er damals darüber geschrieben hat, wird heute wieder neu beachtet. Der Querdenker unterhielt - was damals ganz und gar nicht selbstverständlich war - Kontakte zu Menschen, die der Institution Kirche aus Glaubensgründen fremd, wenn nicht ablehnend gegenüberstanden und die separatistischer Tendenzen verdächtigt wurden. Ihnen hat Oetinger zeitlebens bemerkenswertes Verständnis entgegengebracht; er selbst tat sich ja auch mit der Institution Kirche schwer - und sie sich mit ihm. So ist er wohl der einzige Prälat in der württembergischen Kirchengeschichte, gegen den je ein Lehrzuchtverfahren eingeleitet wurde.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages der Liebenzeller Mission

Der Autor Hans-Dieter Frauer ist Journalist in Herrenberg, arbeitet für den Evangelischen Pressedienst Südwest und ist ein ausgewiesener Kenner der württembergischen Kirchengeschichte.

Umfangreiches Material über Friedrich Christoph Oetinger finden Sie auf den Internet-Seiten des Oetinger-Archivs der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart:

Oetinger-Archiv der WLB
Ökumenisches Heiligenlexikon
Link zum Artikel über Friedrich Christoph Oetinger bei Wikipedia

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