„Das sind wir der jungen Generation schuldig“ Dokumentation „Das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933" - Arbeitsmaterial für SPD-Ortsvereine Quelle: Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 25. März 1983 LEONBERG (ger). „Die Junge Generation muß wissen, wie es zu der Katastrophe kam. Das sind wir ihr schuldig", unterstrich Doris Odendahl, Neu- Bundestagsabgeordnete der SPD, die Bedeutung der Dokumentation „Das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933". Mehr als drei Monate stöberte der ehemalige Bundesvorsitzende der IG Leder, Adolf Mirkes, der kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, in sämtlichen Archiven des Kreises. Das Ergebnis de: Pilotprojekts, das nach den Vorstellungen des SPDKreisvorstandes in einer überarbeiteten und vervollständigten Version voraussichtlich ab dem Spätsommer Eingang in die Arbeit der Ortsvereine finden soll, stellte Mirkes am Mittwochabend in der unter der Schirmherrschaft von OB Dr. Örtlich stehenden Veranstaltung „50 Jahre Widerstand gegen den Faschismus" im Haus der Begegnung vor. Die Tragik der Weimarer Republik, so Adolf Mirkes, liegt darin, daß die Demokraten den deutschen Faschismus unterschätzt haben. Nicht die deutsche Arbeiterklasse und ihre Parteien hätten die Nazis an die Macht gebracht. Vielmehr tragen die bürgerlichen Parteien die Hauptverantwortung für die Entwicklung bis zur Errichtung der Nazi-Diktatur. „Die einflußreichen Politiker der Parteien der bürgerlichen Mitte meinten, daß man Hitler sogar einmal mit in die Regierungsverantwortung hineinnehmen könne", sagte Adolf Mirkes. Einflußreiche Großagrarier, Industrielle, Bankiers und Adelige hatten Hitler salonfähig gemacht und die Nazi-Partei finanziert. Die Entmachtung der Arbeiterbewegung sei die dafür geforderte Gegenleistung gewesen. 1933 zu verhindern sei, so Mirkes, der zu jener Zelt selbst viele Jahre im Widerstand aktiv war, unter Umständen dann möglich gewesen, wenn die Kommunisten ihre Theorie dei „Sozialfaschismus" fallengelassen und die Sozialdemokraten ihre Politik des Tolerierens bürgerlicher und arbeiterfeindlicher Politik aufgegeben hätten. Mirkes: „Die SPD und die freien Gewerkschaften hätten nicht mehr ‚Arzt am Krankenbett des Kapitalismus’ sein dürfen." Doch in den Jahren 1932 und 1933 hatte die Arbeiterbewegung nicht mehr den Willen, die Entschlossenheit und die Kraft gehabt, mit ihrem Einsatz die Republik zu retten, im Gegensatz zum Kapp- Putch 1820. Rigoros verfolgt wurden die Sozialdemokraten und Kommunisten noch dem Brand des Reichstags am 27. Februar 1933. Am darauffolgenden Tag bereits wurde die „Reichstagsbrandverordnung" erlassen, die die persönliche Freiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf Pressefreiheit, das Versammlungs- und Vereinsrecht beschränkte. Bei Zuwiderhandlung wurden Zuchthaus- und Gefängnisstrafen angedroht. Nicht die erhoffte Mehrheit brachte den Nationalsozialisten die Wahl zum Reichstag am 5. März 1933. Nur mit den Deutschnationalen erreichten sie zusammen 51,9 Prozent der Stimmen. In Württemberg lagen die beiden Parteien zusammen nur bei 47,2 Prozent. Und in den drei Oberämtern Böblingen, Herrenberg und Leonberg schafften sie lediglich im Oberamt Herrenberg die absolute Mehrheit. Drei Feststellungen kristallisierten sich, so Adolf Mirkes, bei den Recherchen und der Sichtung der Dokumente heraus. Je größer der Anteil der Protestanten und des landwirtschaftlichen Bevölkerungsteils, desto mehr Stimmen erhielten die Nationalsozialisten und die Rechtsparteien. Je höher der Anteil der katholischen Bevölkerung, desto mehr Stimmen für das Zentrum (z. B. Weil der Stadt und Dätzingen). Je größer die Industriearbeiterschaft, wie zum Beispiel im Oberamtsbereich Böblingen, desto höher die Stimmenanteile für die Sozialdemokraten und die Kommunisten. In Sindelfingen beispielsweise erreichte die SPD am 5. März 1933 fast 30 Prozent, ein ähnliches Ergebnis erzielte die KPD im damals „roten" Eltingen. Der Tragödie letzter Akt, so Mirkes, begann am 23. März 1933 in der Berliner Krolloper. Bereits zwei 'Wochen zuvor waren die 81 Mandate der KPD annulliert worden. Bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz sprachen sich nur die 94 SPD-Abgeordneten gegen das Gesetz aus. Danach konnten Gesetze von der Reichsregierung beschlossen werden, auch wenn sie von der Reichsverfassung abwichen. Dieses Gesetz blieb für die Nazi-Partei Grundlage Ihres Handelns. Württemberg bekam sein Ermächtigungsgesetz am 8. Juni 1933. Die SPD wurde zwei Wochen später verboten. Bereits Anfang Mai waren die Gewerkschaftshäuser besetzt, Funktionäre verhaftet und in Konzentrationslager gebracht worden. In dem im März in Betrieb genommenen KZ Heuberg bei Leonberg arbeiteten zeitweise bis zu 3500 Gefangene. Keineswegs nur positiv sei seine Arbeit aufgenommen worden, erklärte Adolf Mirkes. „Geben Sie endlich Ruhe und rühren Sie nicht immer in der Vergangenheit", sei nur eine Reaktion, vor allem aus dem Raum Bondorf, Herrenberg und Öschelbronn gewesen. Mehrere anonyme Briefe hätte er in den letzten Jahren erhalten. Dies zeige, so Mirkes, daß in einem Teil der Bevölkerung die Vergangenheit noch immer nicht bewältigt sei. Auch heute halte er den Faschismus noch immer für eine latente Gefahr. Voraussetzung aber, um sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung zu befassen, sei die kritische Auseinandersetzung mit dieser Materie. Aus der Geschichte lernen heiße: den Kampf um die Menschenrechte fortsetzen. Mit freundlicher Genehmigung der Kreiszeitung/Böblinger Bote Diese Seite drucken Fenster schließen |