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Veranstaltung des SPD-Kreisverbands zu „50 Jahre Widerstand gegen den Faschismus“

Faschismus wurde unterschätzt

Quelle: Leonberger Kreiszeitung vom 25.03.1983

Autorin: Monica Mather

LEONBERG - Zum 50. Mal jährte sich am 23. März der Tag der Kapitulation der bürgerlichen Demokratie vor dem Faschismus, der Reichstag hatte das Ermächtigungsgesetz der Nazis angenommen, nur die Fraktion der SPD hatte in namentlicher Abstimmung als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt. „Dieser Widerstand ist unser historischer Stolz“, so Doris Odendahl, SPD-Kreisvorsitzende und MdB, bei der Veranstaltung „50 Jahre Widerstand gegen den Faschismus“ im Haus der Begegnung, die unter der Schirmherrschaft von OB Dr. Ortlieb stattfand. Man habe bewußt Leonberg als Veranstaltungsort gewählt, so Doris Odendahl, denn hier wurden die Folgen besonders deutlich durch die KZ-Außenstelle Natzweiler. Und in der „roten Hochburg“ Eltingen waren Verhaftungen nach dem 5. März 1933 an der Tagesordnung; die Eltinger stellten ein hohes Kontingent der Gefangenen im KZ Heuberg, wie Adolf Mirkes, ehemaliger Bundesvorsitzender der IG Leder, in seinem Referat nachwies.

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, zitierte Doris Odendahl Otto Wels in seiner Rede an jenem 23. März. Und welch ein Mut dazugehörte, in dieser namentlichen Abstimmung gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, das machte Doris Odendahl deutlich mit dem Satz von Louise Schröder: „Keiner darf fernbleiben, ich gehe hinüber, auch wenn sie mich in Stücke reißen.“

Ziel: Entmachtung der Arbeiterbewegung
Dieser 23. März, „als sich in der Kroll-Oper in Berlin der letzte Akt der Tragödie vollzog“, sei nicht denkbar ohne die Vorgeschichte, so Adolf Mirkes - einer Tragödie, „aber die Ränkespiele der letzten bürgerlichen Regierungen unter von Papen und Schleicher vorausgegangen“ waren. Er verwies auch darauf, daß von den meisten Politikern und großen Teilen des Volkes die Tragweite der Übertragung einer Kanzlerschaft auf Hitler nicht erkannt worden sei. Ja, viele hätten gar geglaubt, daß die Nationalsozialisten „gezähmt“ werden könnten, denn nur drei von ihnen saßen in der ersten Regierung Hitlers. „Es sind einflußreiche Politiker der Parteien der bürgerlichen Mitte gewesen“, fuhr Mirkes fort, „die meinten, daß man Hitler sogar einmal mit in die Regierungsverantwortung hineinnehmen könne. Einflußreiche Großagrarier, Industrielle, Bankiers und Adelige waren es, die Hitler salonfähig gemacht und die Nazi-Partei finanziert haben. Die Entmachtung der Arbeiterbewegung, das war die dafür geforderte Gegenleistung.“

Adolf Mirkes zeigte auf, daß mit der 1929 heraufkommenden Wirtschaftskrise die Nazis „den Nährboden für ihre verschwommenen Ideologien“ fanden, daß die sozialdemokratisch und sozialistisch eingestellte deutsche Arbeiterbewegung 1932 und 1933 nicht mehr die Kraft aufgebracht habe, um mit ihrem Einsatz die Republik zu retten. 1920 war ihr dies mit einem Generalstreik zur Niederwerfung des KappPutsches gelungen. Der Faschismus sei aber auch von dieser Seite aus unterschätzt worden, obgleich kleine Links-Parteien vor der Gefahr gewarnt hätten. Adolf Mirkes erinnerte an den Aufruf, der unter anderem von Albert Einstein, Erich Kästner, Käthe Kollwitz, Heinrich Mann und Stefan Zweig unterzeichnet wurde. SPD und Gewerkschaften - so Adolf Mirkes - hätten ihre Mitglieder zu Ruhe und Disziplin aufgefordert und dazu, die Nazis mit ihrem Stimmzettel bei der Reichstagswahl 1932 zu schlagen, was, wie man heute weiß, nicht gelang. Und am 5. März 1933 gab es zwar die nicht absolute Mehrheit für die Nazis, aber es ergab sie zusammen mit den Deutschnationalen.

Absolute Mehrheit nur in Herrenberg
Im Wahlkreis Württemberg blieben NSDAP und DNVP zusammen unter der absoluten Mehrheit mit 47,2 Prozent der Stimmen, wie Adolf Mirkes ausführte. In den drei Oberämtern Böblingen, Herrenberg und Leonberg erreichten die Nazis am 5. März nur im Oberamt Herrenberg die absolute Mehrheit. Zusammen mit den Deutschnationalen, die als Kampffront Schwarz-Weiß-Rot angetreten waren, entschieden sich die Wähler in ihrer Mehrheit für das national-sozialistisch-nationale Bündnis. Dazugezählt den völkisch-nationalen Bauern- und Weingärtnerbund hatte das „Rechtskartell“ eine große Mehrheit in den drei Oberämtern.

Drei Feststellungen würden sich - wie im Reich und in Württemberg - auch in den drei Oberämtern bestätigen: Je größer der Bevölkerungsanteil der in den Evangelischen Landeskirchen zusammengeschlossenen Christen und je größer der landwirtschaftliche Bevölkerungsanteil, desto höher die Stimmenzahl für die Nazis und die Rechtsparteien. Je größer der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung, desto höher die Stimmenzahl für das katholische Zentrum, etwa in Weil der Stadt oder Dätzingen - in Weil der Stadt beispielsweise 31,3 Prozent der Stimmen für das Zentrum , in Dätzingen gar 61,6 Prozent. Mit 4,8 Prozent der Stimmen hatte das Zentrum den höchsten Prozentsatz im Oberamt Herrenberg; im Oberamt Leonberg und Böblingen waren es 2,2 Prozent.

Eltingen war eine „rote Hochburg“
Dritte Feststellung: Je größer der Anteil der Industriearbeiterschaft an der Bevölkerung, desto höher die Stimmen für die Sozialdemokraten und die Kommunisten. Diese Feststellung habe ich eindrucksvoll in Sindelfingen und in Eltingen bestätigt. Während in Sindelfingen vor allem die SPD Erfolge erzielte, kam die KPD in Eltingen mit 30,8 Prozent der Stimmen weit über den Landesdurchschnitt. In Leonberg wählten nur 8,8 Prozent die KPD, 23,6 Prozent die SPD, in Eltingen 20,2 Prozent. Renningen hatte 9,3 Prozent SPD-Stimmen, 16,9 Prozent KPDStimmen.

Damit begannen, so Adolf Mirkes, die Verhaftungen von Sozialdemokraten und Kommunisten. In Leonberg wurden aufgrund dieses Wahlergebnisses sechs Nazi, zwei Sozialdemokraten, einer von der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot und einer von der Gemeinschaftsliste des Christlich Sozialen Volksdienstes, der Deutschen Demokratischen Volkspartei in den Gemeinderat „gewählt“. Im Juni erhielten, so stellte Adolf Mirkes in alten Protokollen fest, die zwei sozialdemokratischen Gemeinderäte von Amtsverweser Diebold die Mitteilung: „Nach Verordnung des Reichsinnenministers dürfen in der bisherigen Vertretung keine Mitglieder der SPD mitwirken. Dementsprechend wird an Sie keine Einladung zu den Sitzungen des Gemeinderats mehr erfolgen.“ Nach und nach wurden die Sportvereine der Arbeiterbewegung aufgelöst und verboten, am 22. Juni wurde die SPD verboten.

Erwin Schöttle mußte emigrieren
Erwin Schöttle, der Leonberger Sozialdemokrat, mußte seine Heimat verlassen und in die Emigration gehen, so Adolf Mirkes. In der „roten Hochburg“ Eltingen waren Verhaftungen an der Tagesordnung. Im „Leonberger Kommunistenprozeß“ im August 1933 wurden mehr als 40 Antifaschisten aus Eltingen, Leonberg, Höfingen, Renningen und Weil der Stadt zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das habe sich abgespielt unter den Augen der Bevölkerung, und die meisten hätten weggeschaut. Und er fuhr fort: „Dies ist keine Anklage, es ist der erforderliche Hinweis, zu was Diktaturen fähig sind.“ In diesem Zusammenhang ging Mirkes auch auf die Außenstelle des KZ Natzweiler in Leonberg ein.

Dokumentation wird ergänzt
Diese Dokumentation von Adolf Mirkes - der selbst dem Widerstand angehörte - soll durch die einzelnen SPD-Ortsvereine noch ergänzt werden. Man sei es den Jüngeren schuldig, aufzuzeigen, wie es dazu gekommen sei, sagte Doris Odendahl. Sie sollten aus der Geschichte lernen, damit sie sich nicht wiederholen kann. Den Bezug zum eigenen Ort und Kreis herzustellen, nannte sie dabei besonders wichtig - zu einem Ort oder Kreis, mit dem sich auch junge Menschen identifizieren könnten.

Daß das Nennen der Untaten der faschistischen Machthaber noch heute bei einigen merkwürdige Reaktionen auslöse, würden Drohbriefe beweisen, so Adolf Mirkes, der darauf verwies, daß 12 Jahre Naziherrschaft über Deutschland und große Teile Europas die Welt verändert hätten. Es gelte, aus der Geschichte zu lernen und das heiße konkret, „den Kampf um die Menschenrechte fortsetzen“. Mahnung und Auftrag zugleich nannte er das Wort des Philosophen Santayana: „Die sich des Vergangenen nicht erinnern, sind dazu verdammt, es noch einmal zu erleben.“

Mit freundlicher Genehmigung der Leonberger Kreiszeitung

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