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Die Wende in Briefen - Ruth W.

Ein deutsch-deutscher Briefwechsel

Auszug aus dem Brief von Ruth W. (Jahrgang 1923) aus Meerane in Sachsen vom 07. 12. 1989

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Meine liebe Ruth! 7. Dezember 1989
...Unsere Städte verfallen, weil erstens alles nach Berlin ging, da diese „Hauptstadt der DDR“ ja prunken mußte; zum zweiten kassierten die Verbrecher der Regierung Material, das für Instandsetzungsarbeiten vorgesehen war, zum Aus- und Aufbau ihrer Ferien- und sonstigen Häuser, einschließlich für die, die sie ihren Kindern bauen ließen.
Die DDR krankte mehr und mehr an Devisenmangel, Importe wurden von Jahr zu Jahr mehr und mehr eingeschränkt, es fehlte am Nötigsten, nicht zuletzt an Importen für die Ernährung, ich denke da an Südfrüchte, die die so wichtigen Vitamine bringen.
Der Gedanke an unsere Zukunft entbehrt jeglichen Optimismusses; denn wie sollen wir aus den tiefsten Tiefen unserer herabgewirtschafteten Lage herauskommen ?!!!
Die ehem. Großen haben ihr Schäfchen ins Trockene gebracht und vorgesorgt, falls mal ......
Diese Kapitalien sollten ihnen daher restlos entzogen werden, damit dieses dorthin zurückgeführt werden kann, nämlich in die Kassen des Volkes. Wenn ich noch vor wenigen Wochen sagte und schreib, daß ich zwar Hoffnung doch keinen Optimismus hätte, dann muß ich das bereits revidieren. Erst hat einen der Flüchtlingsstrom deprimiert, jetzt sind es die Aufdeckungen, die einem Tag für Tag in der Zeitung offeriert werden.
Es klingt vielleicht banal, wenn ich von Südfrüchten spreche, obwohl sie nicht unwichtig sind. Aber an was allem es mehr und mehr mangelt, daß man nicht mal einfach gehen kann, um sich Schlüpfer und sonstige Unterwäsche zu kaufen, es keine Ersatzteile für die PKWs gibt und mancher Trabi oder Wartburg auf „Trockendock“ steht, weils an einer klitzekleinen, doch nicht erreichbaren Kleinigkeit mangelt, davon könnt Ihr Euch keine Vorstellung machen. Und das bringt eine solche Unzufriedenheit und Lustlosigkeit mit sich, daß nicht zuletzt auch die ganze Arbeitsmoral darunter leidet. Die Frauen laufen von der Arbeit weg, wenn bekannt wird, daß es irgendwo „Etwas“ gibt, weil am Nachmittag sowieso nichts mehr da ist. Die Dienstleistungen, egal welcher Art, arbeiten auch nur bis 16.00 Uhr. Die Folge: es wird während der Arbeitszeit erledigt, nach 16.00 Uhr würde man ja vor verschlossener Tür stehen. Das ist im Laufe der Zeit zu einem „Gewohnheitsrecht“ geworden.
Ja, und nun die Wendehälse ! Die großen Genossen, die ebenso den Kopf in den Sand steckten, wie unser heißgeliebter Erich, der nichts von Flüchtlingsstrom wußte (haha!), das waren die ersten, die bei der Polizei standen, um sich das Visum zur Reise in die BRD zu holen, weils ja sofort Geld gab, das sie – zumindest nach außen hin – nur mit Ekel verzogenem Gesicht und spitzen Fingern angefaßt hätten. Wer alles schon „drüben“ war, läßt einem den Widerwillen gegen sie mit entsprechendem Geschmack hochkommen.
   Deine – Eure Ruth



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