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Quelle: Stuttgarter Nachrichten, Montag, 13. November 1989 | ||||
Hamburg – Die Öffnung der DDR-Grenze und der teilweise Abbau der Berliner Mauer sind in der Welt, mit nur geringen Ausnahmen von politischen Führern begrüßt oder gar mit enthusiastischen Worten kommentiert worden. Die Stellungnahmen waren aber zum Teil auch durch vorsichtige Zurückhaltung gekennzeichnet; mit Sorge wurde hier gefragt, welche Konsequenzen aus dem stürmischen Wandel im Osten für die Bündnispolitik zu ziehen sind. US-Präsident Georg Bush will weiterhin mit Vorsicht und Zurückhaltung auf die Umwälzungen in Osteuropa und speziell in der DDR reagieren und plant deshalb zur Zeit noch keinen Besuch in Berlin. Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow betonte in einem Telegramm an Bush, dass Moskau die jüngsten Entscheidungen der DDR-Führung billigt und unterstützt. In der „Informellen Botschaft“ äußert Gorbatschow auch die Hoffnung, dass „die Situation (in der DDR) ruhig und friedlich bleibt“. Der amerikanische Präsident vertrat seinerseits die Auffassung, dass der von Gorbatschow unterstützte Reformprozess „echt“ sei. Dieser Prozess verdiente die Unterstützung. In einem Interview der „Washington Post“ vom Samstag meinte US-Außenminister Baker, dass der 9. November der Tag der Grenzöffnung, „gut und gerne der Anfang einer neuen Welt“ sein könnte. Er schränkte aber zugleich ein, niemand wisse zur Zeit, „was der nächste Schritt sein wird“. Er habe „das Gefühl, dass das, was in Ostdeutschland passiert, ein großes Plus für den Westen ist. Es gibt Risiken und Gefahren eines Rückschlages, aber nach meinem Gefühl wird das nicht geschehen“. Zur Wiedervereinigung sagte Baker, die USA und die europäischen Verbündeten Bonns hätten dies seit 40 Jahren „auf der Basis westlicher Werte“ unterstützt. Baker unterstrich, die USA wollten „keine einseitigen Vorteile“ aus den derzeitigen Ereignissen in Osteuropa ziehen. Entschieden wies er auf die Auffassung zurück, Bush und Gorbatschow würden bei ihrem „Mittelmeer-Gipfel“ Anfang Dezember versuchen, die Zukunft der DDR oder anderer Staaten Osteuropas zu entscheiden. Für Ungarns Außenminister Gyula Horn kann die Wiedervereinigung nur am Ende eines langen Prozesses stehen. Schwedens Außenminister Sten Andersson warnte vor einer Vereinigung beider deutscher Staaten. „Ein vereinigtes Deutschland würde heute ein chauvinistisches Deutschland werden, das der Zusammenarbeit in einem neuen Europa seinen Stempel aufdrücken würde“. Auch viele israelische Kommentatoren machten kein Hehl daraus, dass sie die Wiedervereinigung Deutschlands fürchteten: In einem Leitartikel der Zeitung „Jediot Achronot“ heißt es: „Vielleicht ist Deutschlands Wiedervereinigung und Weg zur Führung Europas unvermeidlich .... aber bitte nicht in dieser Generation“. Ministerpräsident Schamir hat die Entwicklung in Deutschland als „besonders ernst“ für Israel und die Juden bezeichnet. Im Fernsehen äußerte er gestern Abend die Ansicht, die Ereignisse werden auch Israel nicht unbeeinflusst lassen. Frankreich erwartet keine baldige Auflösung von Nato und Warschauer Pakt. Die Staatschefs der USA und der UdSSR hätten beide ihr Interesse an einer Aufrechterhaltung der Militärblöcke bekundet, hieß es am Samstag. Gorbatschow habe klargemacht, dass die Moskauer Verbündeten ihren Weg wählen könnten, solange sie nicht das Sicherheitssystem in Gefahr brächten, das die UdSSR schütze. Aus Pariser Sicht besitzt Westeuropa mit der EG einen Trumpf bei der Neuordnung Europas, zumal Bonn alleine nicht den Wirtschaftsaufbau Osteuropas sicherstellen könne. Nato-Generalsekretär Manfred Wörner forderte das atlantische Bündnis auf, Konsequenzen aus dem „stürmischen Wandel“ im Osten zu ziehen und den politischen Charakter der Allianz viel stärker zu betonen. | ||||
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