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Kreis Böblingen: Naturalien sind im Herbst 1923 die eigentliche Währung

Die Mark ist keinen Pfennig wert

Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von 100 Jahren, Röhm Verlag Sindelfingen 1999, S. 59

Bild: Reichsbanknote vom Februar 1924 über 50 Billionen Mark (= 50 Rentenmark)

„Tausche alte, gut erhaltene Nähmaschine, zwei gut erhaltene Bettladen und eine Bank gegen junge Hühner und Weizen." Im Herbst der vielen Nullen waren Naturalien die eigentliche Währung, während die Mark so verfiel, dass am 20. November 1923, für einen US-Dollar über 4,2 Billionen, genau 4.210.500.000.000 Mark bezahlt werden mussten.

Vom September an häuften sich die Tauschgesuche in den Anzeigenspalten der Zeitungen: Mostobst gegen Weizen, Militärschuhe gegen Kartoffeln, Most gegen Heu oder Stroh, rupfreife Gänse gegen Weizen, ein eiserner Ofen samt Rohrleitung gegen Kartoffeln, ein halbjähriges Rind gegen ein Schwein und ein Sindelfinger inseriert nicht nur Kindermöbel und eine Puppenstube gegen Gerste, sondern auch noch seinen Schutzengel. Die Sindelfinger Zeitung gibt am 06. November schließlich in eigener Sache bekannt: „Naturalien nehmen wir jederzeit an Zahlungsstatt entgegen."

Im Grunde begann die Inflation bereits zu Beginn des Ersten Weltkrieges, als die Reichsbank am 4. August 1914 die Goldeinlösungspflicht für ihre Noten aufhob. Während des Krieges nahm die Geldmenge jedoch nur langsam zu, so dass die Bevölkerung kaum etwas bemerkte. Aber bedingt durch die politische Situation begann schließlich die Flucht in Sachwerte.

Wie sehr dies die Preissteigerung verschärfte, zeigt folgendes Beispiel. Am 8. Januar 1923 erwarb der Schafhalter Wilhelm Weiß bei einer Zwangsversteigerung einen Hof samt Wohnhaus, Scheuer, Wagenschuppen, Schweinestall und Gemüsegarten an der Sindelfinger Riedmühlestraße für 6,5 Millionen Mark. Die amtliche Schätzung vom 17. November 1922 lautete auf 100 000 Mark, der Vorkriegswert war mit 12 000 Mark festgestellt worden.

Ein Brot für 800 Millionen Mark
Verschärft wurde die Situation durch den Einmarsch der Franzosen ins Ruhrgebiet am 11. Januar 1923. Damit fehlte der Industrie die Kohle als wichtigster Energieträger. Die Folgen waren Arbeitslosigkeit, eine weitere Verknappung der Waren und ein dramatischer Verfall der Mark, den die Reichsbank lediglich zwischen Mitte Februar und Mitte Mai noch einmal eindämmen konnte. Anfang des Jahres war der Dollar mit 7.244,85 Mark bewertet. Ende Januar waren es schon 47.889 Mark. Der Reichsbank gelang es, den Dollar innerhalb von zweieinhalb Wochen auf knapp unter 20.000 Mark zu drücken, doch Mitte Mai war der alte Höchstwert wieder erreicht.

Nun brachen alle Dämme. Wurde der Dollar am 1. Juni noch mit 76,59 Mark gehandelt, so waren es zwei Wochen später erstmals über 100.000 Mark, am 20. Juli erstmals über eine Million Mark, am 8. August schon fast fünf Millionen, am 10. September über 50 Millionen, am 4. Oktober über 500 Millionen, am 9. Oktober über eine Milliarde, am 1. November 130 Milliarden und zweieinhalb Wochen später über eine Billion Mark. Parallel dazu schossen auch die Preise für die Dinge des täglichen Bedarfs nach oben. Kostete der Kilo-Laib Schwarzbrot Ende April noch 1.400 Mark, so waren es Ende Oktober 800 Millionen Mark. Anfang November wird aus Aidlingen gemeldet, dass viele Bauern inzwischen so arm seien, dass sie sich nicht einmal mehr einen nahrhaften Haferbrei leisten könnten.

Geld hätten sie vielleicht noch gehabt, doch dafür gab es praktisch nichts mehr, denn im Oktober war bereits die Einführung der Rentenmark beschlossen worden. Die Oberamtsverwaltung in Böblingen sah sich deswegen gezwungen, in einer amtlichen Bekanntmachung am 8. November Handel und Gewerbe darauf hinzuweisen, dass sie bei Geschäften innerhalb Deutschlands Papiermark annehmen mussten.

Eine Billion wird zu einer Mark
Papiermark, das war längst der passende Ausdruck. Schon Mitte des Jahres kam die Reichsbank mit dem Drucken des Geldes nicht mehr nach. Andererseits war es niemand zuzumuten, auch nur einen Tag auf den Lohn zu warten, denn am nächsten war er ja vielleicht nur noch die Hälfte wert. So gaben die Daimler-Motoren-Werke ein eigenes Notgeld heraus, um ihre Arbeiter zu bezahlen. Am 10. August entschied sich der Böblinger Gemeinderat, am 14. August der Gemeinderat in Sindelfingen, dass die beiden Städte ein gemeinsames Notgeld herausgeben, das später zu zwei Fünfteln von Böblingen und zu drei Fünfteln von Sindelfingen eingelöst werden soll.

Mitte November beginnt die Reichsbank in Berlin mit der Ausgabe des neuen Geldes. Dieses erreicht Süddeutschland erst etwas später, sodass im Oberamt Böblingen das Notgeld erst in der zweiten Dezember Woche eingetauscht werden kann. Beträge unter einer Milliarde Mark werden dabei nicht angenommen. Für eine Billion Mark gibt's eine Rentenmark. Die Sparer haben damit praktisch alles verloren Bis zum Jahresende hat die Oberamtssparkasse Böblingen gerade mal 17 Sparer, deren Guthaben zusammen 791 Rentenmark ausmacht.

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

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