Kreis Böblingen>>Wirtschaftsgeschichte>>Mühlen>>Sagen und Literatur

Besprechung des Jugendbuchs „Krabat“ von Otfried Preußler

Mythos und Magie der Mühle

Autor: Klaus Philippscheck

Für uns heute sind Wassermühlen und Windmühlen ein beschaulicher Teil der alten Welt, eine aussterbende Spezies - wiewohl Wasserkraft und Windkraft, die diese Mühlen nutzten, wieder eine große Zukunft haben. Doch es gab eine Zeit, vor Beginn der industriellen Revolution, als die Mühlen die fortschrittlichsten Maschinen waren, die der gewöhnlichen Bevölkerung auf dem Land zur Verfügung standen, und die Müller die spezialisiertesten Techniker, die die agrarische Gesellschaft in Europa außerhalb der Städte kannte.

Jede ausreichend fortgeschrittene Technologie ist bekanntlich nicht von Magie zu unterscheiden, und so wurden den Müllern gerne übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben. Die Maschinerie einer Mühle war für den Bauern, der kam, um sein Getreide mahlen zu lassen, schon nicht mehr durchschaubar; die ächzenden Zahn- und Schaufelrädern, die die Antriebskraft einfingen und übertrugen, waren ihm unheimlich. Benutzer, egal ob von Mühlen- oder von Computerleistung, tendieren zu einem tiefen Argwohn gegenüber der Maschinerie, von der sie abhängen, ohne sie zu verstehen. Rasch kam das Gerücht auf, dass der Müller mit dem Teufel im Bunde stehe.

Viele Sagen und Märchen erwähnen den Müller und die Mühlen - dass es etwa eine Müllerstochter ist, die im berühmten Märchen "Rumpelstilzchen" Stroh zu Gold spinnen soll, kommt nicht von ungefähr. Die ureigene Sagengestalt der Müllergesellen im slawisch geprägten Ostdeutschland war hingegen der "Pumphut", ein wendischer Müllergeselle, der magische Kräfte hatte und unerkannt von Mühle zu Mühle wanderte, Belohnung und Strafe verteilend, je nachdem, wie gut der Müller und seine Leute die Regeln der Zunft beherzigten.

Hier ist ein Jugendroman von 1981, der von einem Waisenjungen handelt, der sich als Lehrling bei einem Müllermeister verdingt und feststellen muss, dass er in eine Schule der schwarzen Magie geraten ist. Beide Künste lernt der junge Krabat voll Wissbegierde und Talent - doch es gibt ein düsteres Geheimnis um Mühle und Müller, das Jahr für Jahr das Leben eines Lehrlings oder Gesellen fordert. Und es sieht so aus, als könne Krabat in seinem dritten und letzten Lehrjahr der nächste sein. Allein die Liebe einer Bauerntochter steht zwischen ihm und dem Teufel selbst.- Eingeflochten sind authentische Sagen, Märchen und Bräuche des alten Müllerhandwerks, so auch einige der Lehrgeschichten um den "Pumphut". Die Collage aus Romanhandlung und altem Material lässt für uns eine versunkene Welt wieder lebendig werden.

Dieser Roman kann bereits als Klassiker des phantastischen Jugendbuchs angesehen werden, und zwar als einziger von internationalem Rang, den die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Bemerkenswert ist dabei, dass die Geschichte ihre Kraft aus den slawischen Wurzeln unserer Kultur zieht, der Kultur der ländlichen Wenden und Sorben Ostdeutschlands. Wegen der Diskreditierung alles "Germanischen" stehen wir inzwischen unserer eigenen Volkskultur ausgesprochen misstrauisch gegenüber - dabei sind wir im deutschsprachigen Kulturraum zu mindestens ebenso großen Teilen Slawen und Kelten wie Germanen, von den paar hängengebliebenen Römern einmal ganz zu schweigen. Hier ist also ein Kulturkreis, auf den sich eine deutschsprachige Phantastik stützen kann, ohne in den Verdacht schwarzbrauner "Tümlichkeit" zu geraten (Brecht sagte: "Das Volk ist nicht tümlich", als Anmerkung zum Begriff "volkstümlich"). Nicht zuletzt ist es ein Buch, das gerade in der gegenwärtigen Renaissance der Phantastik im Jugendbuch vermehrte Beachtung unbedingt verdient.

BuchtitelOtfried Preussler: Krabat
Gebunden, 255 S., 1981, Thienemann













Mit Dank an das Kulturmagazin „Areion Online“ und an die Thienemann Verlag GmbH Stuttgart

Diese Seite drucken
Fenster schließen