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Zwei Mühlsteine

Autor: Klaus Philippscheck

Aus einem Volksbuch des 16. Jahrhunderts kennen wir die Bürger der sächsischen Stadt Schilda. Die Geschichten über die Schildbürger waren sehr populär – besonders wegen der vielen Streiche, die sie statt anderen immer sich selbst spielten. Mit ausdauernder und verbissener Sturheit folgten sie ihren wunderlichen Ideen bis zum bitteren Ende.

Die Bürger hatten endlich ihre eigene Mühle erbaut. Was ihnen noch fehlte, war ein Mühlstein. Es gab aber einen guten Steinbruch oben auf dem Hügel vor der Stadt. Dort ließen sie einen passenden Stein aus dem Felsen schlagen. Dann waren sie endlich bereit, ihn zur Mühle am Bach zu bringen. Mit der größten Mühe schleppen sie den schweren Stein den Berg hinunter. Als sie endlich im Tal beim Bach unweit der Mühle waren, klopfte sich einer der Bürger auf den Kopf und rief laut: „Ach, was sind wir doch für Dummköpfe! Da plagen wir uns mit diesem großen, runden Stein den Berg herunter, wenn der doch so schön von selbst bergab rollen könnte!''

„Ja, ja'', gaben ihn einige Mitbürger gleich recht, „was sind wir doch für arme Narren! Warum soll man sich plagen, wenn sich die Arbeit von selbst machen kann!'' Alle Schildbürger kratzten sich verlegen am Kopf. Nach einer Weile sagte einer von ihnen, was sie alle dachten: „Es wäre wohl das beste, das ganze noch einmal zu versuchen. Schließlich und endlich heißt es ja ‚Probieren geht über Studieren!’''

Gesagt, getan. Allen gefiel der Vorschlag und mit viel „ach'' und „weh'' schoben und zogen sie den Stein wieder den Hügel hinauf. Als sie dann nach kurzer Rast den Stein den Hang wegrollen wollten, sagte der Bürgermeister: „Halt! Wir wissen ja gar nicht wohin der Stein rollen wird. Am Ende zerstört er noch die ganze Stadt! Weiß denn niemand Rat?''

Da trat der Richter vor und sagte: „Das ist doch ganz leicht, Bürgermeister. Einer von uns steckt seinen Kopf durch das Loch in die Mitte und rollt einfach mit.'' Ein Bürger mit der richtigen Kopfgröße wurde ausgesucht. Als ihm der Mühlstein fest auf den Schultern saß, gaben ihm die Ratherren noch einem ermutigenden Stoß. Huuii! Hinunter ging’s ins Tal.

Der arme Kerl wurde tüchtig hin und her gedreht, gerüttelt und geschüttelt. Und fast wäre alles gut gegangen. Nur unten, wohin der Stein rollte, war ein Fischteich. Und gerade darauf sprang der Mühlstein lustig zu. Platsch!! – mitten in den Teich hinein. Mann und Stein versanken im tiefsten Teil des Wassers und wurden nie mehr gesehen.

Als alle Schildbürger endlich atemlos im Tal ankamen und jede Spur des Steines und des armen Mannes fehlte, klagten sie laut, suchten vergeblich ein paar Tage lang und setzten schließlich einen Kopfpreis aus. Auf diesen öffentlichen Verkündigungen in den Archiven der Stadt Schilda kann man heute noch lesen:
    An alle Bürger des Landkreises Schilda!
    Gesucht wird ein Mann mit einem gestohlenen Mühlstein um den Hals!
    Sollte er gesehen werden, so bringe man ihn tot oder lebendig zur Polizei,
    auf dass dieser ungehörige Diebstahl gerecht bestraft werde.
    Der Bürgermeister
nach: „Schildbürgerbuch“, Reclam, 1926

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