Gebersheim>>Albrecht Goes

Es war immer etwas Festliches um diesen Vater

Autorin: Rose Kessler

Ich stehe hier als die in Gebersheim geborene Tochter von Elisabeth und Albrecht Goes, um Dankeschön zu sagen. Denken wir einen Sommertag im Jahr 1945. Es war der 11. Juni, als der damals 37-jährigen Vater nach fünf Kriegsjahren diese Dorfstraße herauskam.
„Da mich der Krieg entließ aus seinen Händen
Die wie die Hände eines Fremden sind,
Kam ich ins Eigne heim und fand das Leben...“
Welches war das Leben in diesem fast unzerstörten schönen schwäbischen Dorf? Es war ein Anfang. Vorbei war die Angst, vorbei war das verordnete Schweigen. Albrecht Goes fand, selbst unversehrt, seine Frau, uns drei Mädchen, sein Pfarrhaus, die Kirche – und er fand die Gemeinde, die auf ihn wartete.

Vorherrschend waren große Dankbarkeit und Freude, nach Verstörung, Fremde und dem Grauen der Kriegsjahre in der ruhigen Dorfwelt neu anzufangen. Es war keine Idylle, das Leben in Gebersheim im Jahre 1945, „das nun gerade nicht; aber danach“, so der Vater, „stand mir auch nicht der Sinn“. Keine Idylle; gelebt wird, so der Vater, „auf diesem Planeten und als Gefährte unserer Zeit“. Er war der Gefährte seiner Zeit, und er fand Gefährten.

Da waren die Weggefährten aus alter Zeit: die Bücher, die Briefe von Fontane, die Gedichte von Goethe, Mörike und Hofmannsthal. Aber zu diesen geliebten Weggefährten kamen neue hinzu. Seine Gefährten wurden die Menschen im Dorf: die Kinder und die Konfirmanden, die neuen Erdenbürger und die Sterbenden, die Einsamen und die Heiratswilligen, die alten Menschen und die Kranken, die, die das Gespräch suchten oder ein gemeinsames Schweigen, die Bibelkundigen und die Zweifelnden, die Verstörten und die Traurigen. Auch im friedlichen Gebersheim der Nachkriegsjahre waren die Tränenkrüge schwer.

Gefährten wurden auch die Besucher. Nicht nur die sangesfreudigen und sangeskundigen Mädchen- und Frauengruppen kamen gerne nach Gebersheim und ins immer offene Pfarrhaus; es kamen Maler, wie der junge Heiner Müller, der gerade in Korntal Abitur gemacht hatte, der Musiker Emil Kübler, der Gedichte des Vaters vertonte, Leser und Freunde von weit her und – gerade zurückgekehrt aus der Emigration – der Verleger Gottfried Bermann Fischer mit seiner Frau Tutti.

Es ging fröhlich zu im Pfarrhaus: Scharaden und Laienspiele wurden geprobt und aufgeführt, gespielt wurde nicht nur auf dem Klavier, sondern auch mit Worten und Reimen, Verkleidung, Verstecken und Wiederfinden, der Vater liebte den „Zauber der Verwandlung“: „Leichtigkeit der Seele, sie ist eine Frucht der Heiterkeit des Herzens, die aus dem Credo stammt.“ Und es wurde gefeiert. Anlässe, ein Fest zu feiern, waren da oder wurden von eigener Hand komponiert. Es war immer etwas Festliches um diesen Vater. Leuchtende, helle Tage bleiben für mich, die damals noch nicht Zehnjährige, für immer mit Gebersheim verbunden.

Die Mutter war in beiden Welten mit ganzem Herzen an des Vaters Seite. Sie haben nicht nur auf dem Klavier vierhändig gespielt. „Dem Ernst zugetan und mit aller Scheu auch dem Bereich des Heiligen, nicht minder offen aber für die ironischen Lustbarkeiten des Daseins. Widersprüche sind genug am Werk, man sieht es, genug, wenn sie am Werk sind.“

Gebersheim war ein Fundament. So wie der schöne Stein von Markus Wolf ein gutes Fundament braucht, um nicht zu stürzen, so war das Dorf für die Eltern das Fundament, auf dessen Beständigkeit Wagnis und Bewegung möglich waren. Die Mutter konnte verfolgten Fremden in gefahrvoller Zeit helfen, weil sie hier nicht in der Fremde war; der Vater wagte von hier in Zuversicht den Schritt in die neue Existenz des freien Schriftstellers.“

Der Text wurde gekürzt.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Frau Rose Kessler

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