Leonberg>>Persönlichkeiten>>Gedenkstein für Kurt Braun (1924-1945)

Das Mahnmal eines gebrochenen Vaters

Sein Sohn zog den Freitod dem Kriegsdienst vor

Ein unscheinbarer Gedenkstein berichtet von der Weltgeschichte vor der eigenen Haustür

Quelle: Leonberger Kreiszeitung vom 12. Dezember 2002

Autor: Michael Schmidt

Kurt Braun ist Bauunternehmer. Doch ein verwitterter Gedenkstein in der Nähe des Waldfriedhofs, mitten im Wald, beschäftigt den 57-Jährigen: An seinem Geburtstag starb ein anderer Kurt Braun - weil er nicht in den Krieg ziehen wollte. Heute scheinen die Spuren verwischt. Das "Cafe Braun", ein beliebtes Ausflugsziel vor allem der Leonberger Jugend zwischen ehemaligem Golfplatz und Gerlinger Bopser, schloss irgendwann zu Beginn der sechziger Jahre. Die wenigsten Leonberger können sich noch an das Haus mit der schönen Terrasse im Eugen-Hegele-Weg erinnern.

Der Wirt, der es in den Nachkriegsjahren betrieb, hatte keinen Nachfolger. Nicht mehr nach dem Weltkrieg. Dort verlor er beide Söhne. Der eine fiel an der Front, der andere kämpfte bis zu den letzten Kriegstagen. Seinen 21. Geburtstag feierte der junge Soldat Kurt Braun am 3. Februar 1945. Vermutlich auf Heimaturlaub daheim, im Cafe der Eltern. Während die Rote Armee in Polen die Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau befreiten und in Jalta der britische Premierminister Churchill, US-Präsident Roosevelt und Sowjetführer Stalin die Aufteilung Deutschlands besiegelten, galt für deutsche Soldaten das Wort von der "Verteidigung der Heimat bis zur letzten Granate."

Der 21-jährige Braun erlebte gewiss keinen fröhlichen Geburtstag zu Hause. Sein Bruder, viele Freunde seiner Jahrgangsstufe waren bereits tot, elendiglich verreckt für einen so sinnlosen wie verbrecherischen Krieg. Der Junge sollte jedoch wieder zurück. An die Front, in den Osten. Ein Montagmorgen, der 12. Februar 1945, an dem sich der junge Mann wieder bei seiner Truppe melden sollte. Am nächsten Tag wäre zu anderen Zeiten in Leonberg Pferdemarkt gewesen. Pferde gab's nur noch im Frontdienst und den Menschen war ohnehin schon lange nicht mehr nach feiern zumute. Sie kämpften ums Überleben.

Oder fällten eine Entscheidung, so wie Kurt Braun. Er wollte nicht mehr in den Krieg. Nicht mehr sterben, wie seine Kameraden an diesem Tag in Budapest, wo die Russen in einer furchtbaren Kesselschlacht die Deutschen besiegt haben. 49000 Soldaten der Wehrmacht starben, die Zahl der russischen und der zivilen Opfer wird auf dieselbe geschätzt.

Dahin wollte Kurt Braun nicht mehr zurück. An diesem kalten Morgen des 12. Februar, an dem die Deutschen die Ruhrtalsperren sprengten, um den Vormarsch der alliierten Befreier aufzuhalten, dabei Tausende ziviler Opfer auf der eigenen Seite billigend in Kauf nahmen, sagte Kurt Braun Nein. Nein zu diesem Krieg, aber auch Nein zu seinem eigenen Leben. Mit einer Pistole erschoss er sich wenige Meter von seinem Elternhaus, mitten im Wald. Ein toter Deserteur. Dem Vater brach das Herz wegen dieses Krieges, über diese persönlichen Opfer.

Diese kleine Geschichte innerhalb der großen Weltgeschichte wäre schon längst vergessen und die Spuren verwischt. Doch es gibt einen anderen Kurt Braun. Der wurde am Montag, 12. Februar 1945, geboren. Er wuchs in Leonberg auf, machte sich in den frühen sechziger Jahren selbstständig als Straßen- und Tiefbauunternehmer. Häufig zog er mit dem Bagger in den Wald zwischen Leonberg und Gerlingen, richtete Waldwege. Eines Tages stieß er auf einen kleinen Gedenkstein mit seinem Namen und seinem Datum. Nur war an seinem Geburtsdatum ein Kreuz in den Stein gemeißelt. "Das fuhr mir ziemlich im Schädel herum", beschreibt der bodenständige Eltinger Unternehmer. Eher zufällig sprach er dann in den siebziger Jahren bei Arbeiten im Eugen-Hegele-Weg einen sehr alten Mann an. Den Vater des Soldaten Kurt Braun. Die Männer unterhielten sich, der Greis erzählte dem Namensvetter die Geschichte seiner Familie. Kurt Braun verstand jetzt auch die Inschrift des Gedenksteines, die ihn heute noch tief bewegt: "Wegen Hitler und seinen Kriegsverbrechern starb hier mein letzter Sohn."

Mit freundlicher Genehmigung der Leonberger Kreiszeitung

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