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Vernichtung durch Arbeit

Rüstungsproduktion im Leonberger Engelbergtunnel am Ende des 2. Weltkrieges

Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von 100 Jahren. Röhm Verlag Sindelfingen 1999

Foto: Der ehemalige Appellplatz des Leonberger KZ an der Seestraße, aufgenommen 1947 (Bild: Stadtarchiv Leonberg - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Wegen vermehrter Luftangriffe der Alliierten verlagerte die Messerschmitt AG Augsburg im Frühjahr 1944 das "Presswerk Leonberg" in den bombensicheren Engelbergtunnel. Für einen Teil der Arbeitskräfte, zunächst 400 Häftlinge aus dem elsässischen KZ Natzweiler-Struthof, entsteht an der Leonberger Seestraße ein Arbeitslager.

Das Leonberger KZ im Winter 1944/45
Der ehemalige Lagerinsasse Ernst Bornschein beschrieb Jahre später die Zustände im Konzentrationslager im Winter 1944/45. Rund 400 Menschen starben in diesen Wochen: geschwächt von bis zu 18 Stunden täglicher Arbeit, ohne ausreichende Nahrung und medizinische Versorgung. Bis Mitte April 1945 wurden im Engelbergtunnel Tragflächen für das erste serienmäßige Düsenflugzeug ME 262 produziert.

Die KZ-Häftlinge waren in vier Baracken untergebracht. Schnell wuchs die Zahl der Lagerinsassen. Im Oktober 1944 waren es über 1.500 Menschen. Anfang April 1945, kurz vor der Evakuierung des Lagers, über 3.000. Gemäß der Goebbels-Devise "Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit ist der beste" schufteten die Häftlinge bis zu 18 Stunden pro Tag im Tunnel, dessen Eingänge zugemauert sind.

Einige Häftlinge versuchten zu fliehen. Wenigen gelang es. Im September 1944 wurde ein Russe beim Fluchtversuch geschnappt und erhängt. Die Lagerinsassen mussten zusehen. Anfang Dezember wurde ein deutscher Häftling auf der Flucht erschossen.

Deportationen in andere Lager
Die meisten Lagerinsassen arbeiteten bis zur totalen Erschöpfung. Kranke, die zu schwach waren, um weiterzuarbeiten, wurden in andere Lager deportiert: 31 im November 1944 nach Dachau, 60 im Dezember nach Vaihingen/Enz, 60 im Januar 1945 nach Bergen-Belsen. Von den Nazis wurde Bergen-Belsen als "Erholungslager" bezeichnet. Tatsächlich war es ein Sterbelager.

Auch im Januar und März 1945 rollten Transporte mit 142 Häftlingen nach Dachau. Am 11. März wurden 258 nach Bergen-Belsen gebracht. Inzwischen glich auch das KZ Leonberg einem Sterbelager. Allein in der ersten März-Woche starben 46 Insassen an Typhus, Fleckfieber, Ruhr oder Überarbeitung und Hunger. Eines Morgens, Mitte April 1945, wurden die Häftlinge auf dem Appellplatz zusammengetrieben: Evakuierung des Lagers, Fußmarsch nach Stuttgart, von dort mit dem Zug nach Kaufering, einem Außenkommando des KZ Dachau.

Mit 200 Gramm Brot in der Tasche wurden die Erschöpften auf den Weg geschickt. Manche hatten keine Kraft mehr, setzten sich an den Straßenrand - und wurden erschossen. Im Stuttgarter Hauptbahnhof wurden die Häftlinge von SS-Leuten mit Gewehrkolben in Güterwagen getrieben.

"Erschießt mich lieber, ihr Mörder"
In den Waggons gab es kein Wasser, kein Essen, kein Klo. Die Schwachen, besonders die von der Ruhr Befallenen, wurden in einen Winkel des Waggons gestoßen. Ernst Bornschein: "Mit hervorquellenden Augen und mit Schaum vorm Munde wehrte sich ein bereits vom Tod Gezeichneter und schrie mit tierischer Stimme: "Ich will nicht im Dreck sterben. Ihr Mörder, lasst mich hinaus. Erschießt mich lieber, ihr Mörder!" Mit Schlägen brachten die Mitgefangenen den Rasenden zur Ruhe. Schließlich wurde auch er in die Totenecke gestoßen, wo er elendiglich krepierte. Nach drei Tagen erreichten Ernst Bornschein und die anderen Häftlinge Kaufering: "Fast ein Viertel der Kameraden lebte nicht mehr. Wir mussten die Leichen in den Waggons zurücklassen."

Literaturhinweis:
Joachim Baur/Birgit Wörner (Hg.)
Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg, Leonberg 2001

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung

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