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Das KZ und die Leonberger

Reaktionen der Bevölkerung auf die Wahrnehmung des KZ und seiner Häftlinge

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Quelle: Joachim Baur / Birgit Wörner (Hrsg.): Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg, Leonberg 2001, S. 309ff.

Autorinnen: Monica Mather / Renate Stäbler
Die abgemagerten, kahlgeschorenen Männer in ihren gestreiften, dünnen Anzügen, oft nur in Holzschuhen oder auch barfuß, sie waren 1944/45 in Leonberg nicht unsichtbar. Täglich gab es an ihrer Arbeitsstätte, den Messerschmitt-Werken im Autobahntunnel, zwei Schichtwechsel, um 6 Uhr morgens und 18 Uhr abends. Dann bewegte sich ein Zug von ihnen in Richtung Tunnel, der andere wenig später ins KZ. Zwar lag ein Teil des Lagergeländes außerhalb der Bebauung und der andere an deren Rand, aber es gab oberhalb davon für jedermann begehbare Wege und private Gärten, von denen aus man das Lager gut einsehen konnte. Auf einem Spazierweg lud sogar eine Bank zum Sitzen ein. Dort konnte man im Sommer abends lange verweilen, denn im 3. Reich war die Uhr zwei Stunden vorgestellt. Außerdem war das Gelände bei Nacht hell erleuchtet, nur bei Luftangriffen wurde das Licht ausgeschaltet.

Doch auch wer sich nicht aus der Kernstadt hinausbegab, hatte häufig Gelegenheit, den traurigen Gestalten zu begegnen. Ein großer Teil von ihnen kam am Bahnhof in Viehwaggons an und marschierte dann in langen Kolonnen in das KZ in der Seestraße. (...) Nicht alle Häftlinge wurden dann im Tunnel eingesetzt, ein Teil arbeitete auch in sogenannten Außenkommandos, zum Beispiel auf Baustellen, beim Luftschutzstollenbau oder in einer örtlichen Buchbinderei. Sie holten beim Metzger Fleisch ab, zogen anstelle von Pferden schwere Leiter- und Güllewagen durch den Ort oder waren bei Bauern im Einsatz. Auch als Waldarbeiter waren sie anzutreffen. Etliche wurden mit Verladearbeiten im Bahnhof beschäftigt und besorgten die Lorentransporte auf dem »Gleisle«. Nicht zuletzt hat man sie auch gerne zu Aufräumarbeiten nach Fliegerangriffen, insbesondere auch zum Beseitigen von Blindgängern, eingesetzt. (...)

Die Zivilbeschäftigten bei Messerschmitt hatten ebenso Kontakt mit den Häftlingen wie Leonberger, die bei Transporten von Mensch und Material sich und ihre LKWs beziehungsweise Traktoren zur Verfügung stellen mußten. Leonberger trieben auch Schwarzhandel mit Funktionshäftlingen. Davon berichtet ein luxemburgischer Blockältester:

»[Wir hatten] gegenüber dem Lager einen Unternehmer, dem haben wir fast unser ganzes Lager verschachert. (...) Er hatte nämlich in der Nähe eine Feldscheune und da sagte er, dorthin lege ich euch Zivilkleider. (...) Natürlich konnten wir leider nicht von diesem Entgegenkommen profitieren. Wir waren zu gut. Wir sind ja zum Beispiel ein Mal abends freiwillig ins Lager zurück gegangen. Unser Posten hatte uns vergessen.«


Leonberger kamen aber auch als reguläre Lieferanten ins KZ-Areal. So beispielsweise ein jugendlicher Laufbursche, der Zeitungen und Schreibmaterial in die Baracke des Lagerleiters brachte. Er und Mitschüler mußten übrigens auch mit dem Pferd des Schul-Hausmeisters Pferdeknochen aus dem KZ abholen, wahrscheinlich zur Herstellung von Seife. Daneben muß es eine ganze Anzahl von weiteren KZ-Lieferanten gegeben haben, wie zum Beispiel das namhafte Leonberger Lebensmittelgeschäft Robert B., von dem eine »Bezugscheinabrechnung über gelieferte Waren an das SS-Arbeitslager Leonberg« erhalten geblieben ist. Demnach lieferte die Firma B. zwischen dem 25. August 1944 und dem 20. März 1945 beträchtliche Mengen der verschiedensten Lebensmittel und Waren. Wie aus den Berichten ehemaliger Häftlinge zu erfahren war, bestand ihr Essen hauptsächlich aus einer wäßrigen Gemüsesuppe. Dementsprechend erhielt das KZ von B. laut »Bezugscheinabrechnung« über die neun Monate hinweg unter anderem 29.963 kg Blaukraut, 11.082 kg Weiß- und Sauerkraut, 5.540 kg Kohlrabi, 5.500 kg Gelbe Rüben, 1.902 kg Bohnen, 1.680 kg Lauch, 1.645 kg Spinat und 1.920 Stück Sellerie. Aus der Aufstellung geht nicht hervor, welcher Anteil der gelieferten Lebensmittel und Waren für die Wachmannschaften und welcher Anteil für die Häftlinge bestimmt war. Neben Lieferanten, die in das KZ kamen, erfolgte auch ein Austausch in umgekehrter Richtung. Die KZ- Wachmannschaften kauften in Leonberger Geschäften ein und verkehrten in örtlichen Wirtschaften sowie in einigen Familien. (...)

Was im KZ geschah, konnte auch aus einiger Entfernung vorn Stacheldrahtzaun oberhalb des alten Lagers beobachtet werden. Dort versammelten sich Leonberger und Leonbergerinnen mindestens ein Mal in großer Anzahl, als ein Häftling öffentlich durch Erhängen hingerichtet wurde. (...)

Es kann also keinen Zweifel geben: Die Bürgerinnen und Bürger wußten über die Existenz des KZ und seiner Insassen Bescheid. Bis zu 3.000 Häftlinge konnten vor den knapp 9.000 Einwohnern nicht versteckt werden - das war auch nicht beabsichtigt. (...)

Die öffentliche Reaktion des größten Teils der Bevölkerung war Schweigen. Es schwiegen auch die Pfarrer und die Lehrer. (...)

Kirche und Schule fielen also als moralisch wegweisende Institutionen aus. Das Leonberger Tagblatt erwähnte das KZ in dem Jahr seines Bestehens mit keiner Zeile. Parteien und Gewerkschaften konnten ihre Stimme nicht mehr erheben, sie waren von den Nationalsozialisten ausgeschaltet worden. (...)

Es gab allerdings auch Leonberger und Leonbergerinnen, die mit der Einrichtung des KZ und der unmenschlichen Behandlung der Häftlinge durchaus einverstanden waren. Manche bespuckten die geschundenen Menschen, manche bewarfen sie sogar mit Steinen und sahen mindestens einer Erhängung mit Interesse zu. Wir haben jedoch auch Beispiele dafür, daß aufgrund der Leonberger Vorgänge manche Menschen begannen, die Nazi-Ideologie teilweise in Frage zu stellen. (...)

Die massivste Protestform gegen die unmenschliche Behandlung der Häftlinge war in Leonberg sicher die Hilfe verschiedenster Art, die Bürgerinnen und Bürger unter großer Gefahr leisteten. Das ging von heimlichen Lebensmittelzuwendungen über Brief- und Paketschmuggel bis hin zum Verstecken von Häftlingen. Solche Hilfeleistungen waren selbstverständlich gefährlich. Viele Helfende wurden von den Wachleuten verwarnt und mit Strafe bedroht. (...)

Alle Hilfsaktionen waren offensichtlich Einzelaktionen, von denen nur der Helfer oder die Helferin selbst und wenige Eingeweihte wußten. Die Nachforschungen ergaben keine Hinweise auf gezielte Hilfe von Gruppen, etwa von christlich oder politisch motivierten. Solche Hilfe wäre wegen der größeren Entdeckungsgefahr natürlich noch riskanter gewesen. Sie hätte aber einen Solidarisierungsprozeß einleiten können, an dem es überall fehlte. Daß er nicht zustande kam, hat vor allem der perfekte Staatsterror der Nationalsozialisten verhindert. Nicht zuletzt waren die öffentlich geführten KZs und die öffentlich vorgeführten elenden Häftlingsgestalten ja auch als Drohung und Einschüchterung für heimliche Regimegegner gedacht.
Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen.

Kartenanlagen:
  • Karte 1: KZ Natzweiler-Struthof und Außenlager
  • Karte 2: Eine Stadt im Bann der Rüstung – Lageplan


  • Das von Joachim Baur und Birgit Wörner herausgegebene Buch „Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg“, Band 8 der Beiträge zu Stadtgeschichte Leonberg, (ISBN 3-933636-06-x), kann über alle Buchhandlung bezogen werden (15,30 EUR) ebenso über die Stadtverwaltung Leonberg und an der Pforte des Neuen Rathauses.

    Literaturhinweis:
    Renate Stäbler / Monica Mather: Schwierigkeiten des Erinnerns. Über den Umgang der Leonberger mit dem KZ nach 1945. In: Aus Schönbuch und Gäu. Heft 1. 2003.

    Internetlinks:
    Zur Geschichte des KZ Leonberg verweisen wir auf die Internetseiteseite der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg e.V.

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