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Ein Mann des Fortschritts

Der Leonberger Bürger Heinrich Essig (1808-1889)

Quelle: „Streifzüge durch 750 Jahre Leonberger Stadtgeschichte“, Hrsg.: Stadt Leonberg, Stadtarchiv, 2000, S. 155-165. [Beiträge zur Stadtgeschichte, Nr. 7]

Autor: Karl-Heinz Fischötter
Heinrich Essig - Kronenwirt, Sägewerksbesitzer, Ökonom, Hundehändler, Versicherungsagent, Kynologe, Bibliothekar, Marktmeister... Heinrich Essig - Allroundman und Multitalent: Diese Begriffe drängen sich uns auf angesichts eines prall mit Arbeit vollgepackten Lebens von 79 Jahren, das am 9. Januar 1808 begann und am 11. Oktober 1887 endete.

... Springen wir mitten hinein in das rastlose Leben eines vielseitigen Menschen. Von Wanderjahren als „wackerer Handwerksbursche“ lesen wir, der das „Färbergewerbe“ erlernt hatte. Leonberg aber sollte der zentrale Mittelpunkt seines Wirkens bleiben.

Heinrich Essig und sein „Leonberger“

Bild: Heinrich Essig und sein „Leonberger“. Die Aufnahme eines Stuttgarter Fotoateliers stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 1860. (Bild: Stadtarchiv Leonberg) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Mit 21 Jahren heiratete er - am 30. April 1829 - die 29jährige Maria Katharina Benzinger, Kronenwirtin und verwitwete Dobler. Doch der Beruf des Kronenwirts füllte ihn nicht aus. Am 30. Mai 1834 kaufte er für 2100 Gulden die Sägmühle im Glemstal nebst eingerichteter Wohnung und Scheuer. Die Mittel dazu stammten wohl aus seinem Anteil an dem väterlichen Erbe, dem Gasthaus Lamm; der Bruder Christian wurde neuer Lammwirt.

Ein Jahr später wurde die Krone, ein dreistöckiges Wohnhaus mit zweistöckiger Scheuer hinter dem Haus samt Schweinestall für 6000 Gulden verkauft. Natürlich wurde das Geld angelegt. In den folgenden Jahrzehnten wird der Name Heinrich Essig in keinem Leonberger Kaufbuch oder Gebäudekataster fehlen. Wir fühlen uns ans Monopoly-Spiel erinnert, wenn wir lesen, wieviele Äcker und Wiesen so zwischendurch ge- und verkauft wurden. Im Lauf seines Lebens baute er an der Ditzinger Straße - heute Feuerbacher Straße - fünf Häuser.

Essig war nach einer etwa acht Jahre währenden Sägewerksbesitzer-Episode ein vollblütiger Landwirt geworden. Welche fachliche Beurteilung er genoß, verrät uns das Leonberger Gemeinderatsprotokoll vom 10. März 1847: „Im allgemeinen können wir sagen, daß der Heinrich Essig viel Interesse für Verbesserungen in der Landwirtschaft zeigt und gehen nun auf die namentlich in dem Belobungsdekret hervorgehobenen Punkte über:
  • Cultivierung eines Allmendelagers
  • Trockenlegung eines Fischteichs und dessen Umwandlung in eine Wiese
  • Wildholzpflanzungen
  • Vermehrter Anbau von Futterkraut
  • Compostbereitung
  • Gebrauch verbesserter Ackergeräte
  • Züchtung eines preiswürdigen Pferde- und Rindviehschlages
  • Tätigkeit bei den Geschäften des landwirtschaftlichen Bezirksvereins
Es fällt auf, daß im Lob über Essigs Vielseitigkeit zwar die Pferde- und Rindviehzucht angesprochen wurde, nicht aber die Hundezucht. Mit dieser hatte er nämlich in seiner „Hundeziehungsanstalt“ bereits 1835 begonnen, als er weiße schwarz gefleckte Tigerhunde großzog. Bei seinen Züchtungsversuchen war ihm 1846 der große Wurf gelungen.

Mit seiner Kreuzung eines großen Bernhardiners mit einem Landseer aus der Rasse der Neufundländer plus einer Einkreuzung von pyrenäischen Berghunden, die ihn wegen der Schulterhöhe von 80 cm und wegen der weißen Farbe bestachen, setzte sich Essig - international - ein Denkmal als Kynologe1*. Die Prominentenliste unter den Hundebesitzern umfaßte die Kaiserin Elisabeth von Österreich, die Großherzogin von Baden, Kaiser Napoleon III., Zar Nikolaus, König Umberto von Italien, Fürst Bismarck, Giuseppe Garibaldi, den Dichter Ferdinand Freiligrath und Richard Wagner.

Seine Zuchtversuche beschränkten sich indes nicht auf Hunde. Durch einen Zeitungsbericht wurde Essig 1850 zum Kauf eines englischen Zuchtebers angeregt. Seine Erfahrungen mit der Schweinezüchtung mündete im Stadt- und Amtsboten vom 15. Februar 1850 in die Empfehlung an die Leser, sich durch eigene Züchtungsversuche von den Vorzügen der Kreuzung eines Mutterschweins der württembergischen Landrasse mit einem englischen Eber selbst zu überzeugen. Auch den von der Kartoffelkrankheit einschneidend betroffenen Landwirten wußte Essig über die Lokalzeitung Rat zu geben.

Die wichtigsten Impulse und Anregungen zu seinem breiten Engagement außerhalb seines eigentlichen landwirtschaftlichen Bereiches hat Essig zweifelsohne durch seine Tätigkeit als Stadtrat erhalten. Am 29. Mai 1837 nahm er, der erstmals gewählte 29jährige, an seiner ersten Gemeinderatssitzung teil. Er blieb dem Gemeinderat - mit einer Unterbrechung von 1844 bis 1848 - bis zum 11 .Januar 1855 verbunden.

Seine im Stadt- und Amtsboten publizierten Beiträge bezeugen seine Vielseitigkeit. Für wen setzte sich Essig öffentlich nicht alles ein: Für den Liederkranz beispielsweise am 8. August 1845, deren engagierte Mitglieder er gegen harsche Kritik von außen in Schutz nahm. Als Mitglied der „Gesellschaft für nationale Auswanderung und Colonisation“ wirbt er für den Kauf von Länderscheinen von je 20 Morgen Land im „Freistaat Chile“. Wesentlichen Raum nehmen zudem seine Initiativen zugunsten der Hagelversicherungsanstalt sowie der Feuerversicherungsgesellschaft ein. Aber auch den Literaturbeflissenen wußte Essig mit den Titeln der Neuerscheinungen am Buchmarkt auf dem Laufenden zu halten: „Der landwirtschaftliche Bezirksverein hat nachstehende Bücher erworben, wovon ich die verehrten Mitglieder in Kenntnis zu setzen mir erlaube ... Der Bibliothekar: Heinrich Essig.“ Beim Landwirtschaftlichen Bezirksverein setzte er sich übrigens auch für die Verbreitung des Zuckerrübenanbaus ein. (...)

Heinrich Essig als Fahnenträger der Bürgergarde

Bild: Heinrich Essig als Fahnenträger der Bürgergarde, d.h. des bürgerlichen Schützenkorps. Die schwarzrote Fahne mit dem Leonberger Wappenlöwen ging 1848 an die Bürgerwehr über. (Bild: Stadtarchiv Leonberg)

Essig veröffentlichte am 10. August 1848 das an den Handwerker- und Gewerbe-Congreß in Frankfurt gerichtete Programm des Handwerker-Vereins, das die Handwerker-Versammlung am 24.Juli 1848 in Esslingen beschlossen hatte. Danach sollte „die Industrie geregelt werden durch Bezirks-, Provinzial- und Landesgewerberäte, hervorgegangen aus der freien und direkten Wahl sämtlicher Gewerbegenossen“.

(...) Mit diesen Gedankengängen sind wir schon mittendrin in der 1848er Revolution. Innenminister Römer und der Landtagsabgeordnete Friedrich Notter hatten in der Umsetzung ihrer Ideen darauf zu achten, dass ihre Schritte von der Bürgerschaft der einzelnen Städte mit Zustimmung begleitet wurden. Und was Leonberg angeht, war hierbei Heinrich Essig genau der richtige Mann für sie. Auch politisch standen sich (Notter und Essig) nahe. Beide traten entschieden für die konstitutionell-monarchische Verfassung ein und gegen jede republikanische und radikale Richtung. ...

[Ab 1849] wurde es dann still um Notter – nicht jedoch um Essig, der seine Energien verstärkt in die häuslichen und lokalen Aktivitäten einspeiste. Mit der Begründung seiner „sonstigen vielen Geschäfte“ beantragte er 1854 sogar seine vorzeitige Entlassung aus dem Gemeinderat, die ihm jedoch nicht zugestanden wurde.

Bevor er diese Erde verließ, setzte er in seinem Testament ein persönliches Zeichen seiner Charakterstärke, als er sich ausdrücklich zu seiner 1881 unehelich geborenen Tochter Clara bekannte und erneut bekräftigte, daß sie den Namen Essig führen soll.

Seine Tochter Mathilde gab den Tod des Vaters Heinrich Essig am 11. Oktober 1887 per Traueranzeige bekannt. Hier findet sich überraschenderweise erstmals eine Berufsbezeichnung für Essig, die vorausgehend nie zu lesen war. Was hatte Frau Schnaidt veranlaßt, gerade diese einzusetzen? Geschah das unter dem Eindruck der Flut der aus dem In- und Ausland eingehenden Zeichen der Trauer und Anteilnahme? Hatte sie sich gesagt, daß dieser Beruf dem Vater noch am ehesten ungetrübte Anerkennung einbrachte, als ihm „angesichts der Unvollkommenheit und Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge Bitterkeit in den letzten Jahren nicht erspart blieb“, wie der Nachruf-Rezensent des Stadt- und Amtsboten schrieb?

Doch welche Berufsbezeichnung rückte sie denn ein? Ganz einfach: „Hundezüchter“.

1

Die Kynologie ist die wissenschaftliche Lehre von den Hunden (kynos, griechisch, des Hundes).

Der Text wurde gekürzt.

Wir danken dem Autor und dem Stadtarchiv Leonberg für das Veröffentlichungsrecht.

Den Sammelband „Streifzüge durch 750 Jahre Leonberger Stadtgeschichte“, [Beiträge zur Stadtgeschichte 7] können Sie direkt über die Internet-Seite der Stadt Leonberg bestellen.

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