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„trangseelig- und gelltklemme Zeiten“

Der Leonberger Pferdemarkt als wirtschaftspolitische Maßnahme

Quelle: Programmheft zum 217. Leonberger Pferdemarkt, 6. – 9. Februar 1988, S. 25 - 27

Autorin: Bernadette Gramm
Der zweite Dienstag im Februar ist für viele Leonberger der Höhepunkt des Jahres. Seit über 300 Jahren feiert die Stadt an diesem Tag ihr großes Traditionsfest, den Leonberger Pferdemarkt. In Spitzenzeiten wie im 19. Jahrhundert standen hier weit über 1000 Pferde zum Verkauf, in den letzten Jahren waren es meistens etwas über 100. Dafür geht die Zahl der Besucher alljährlich in die Zigtausende. Neben dem obligatorischen Rossmarkt in der Altstadt umfasst das Fest heute ein mehrtägiges Rahmenprogramm mit Fachtagung, Seminaren und reitsportlichen Events. Im folgenden Artikel beleuchtet die Leonberger Stadtarchivarin Bernadette Gramm die historischen Hintergründe des erstmals 1684 genehmigten Marktes. (red.)

Plakat zum Leonberger Pferdemarkt

Bild: Plakat zum Leonberger Pferdemarkt aus dem Jahre 1920. (Foto: Stadtarchiv Leonberg) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

1684 genehmigte Herzog Friedrich Karl (1677-93) nach längerem Drängen der Stadt einen zweiten Jahrmarkt, der mit einem Roß- und Viehmarkt verbunden war. Dabei handelte es sich wohl um die Wiederbelebung des früheren Rechts, jährlich zwei Jahrmärkte abzuhalten, einen im Frühjahr, den anderen im Herbst. Der Jahrmarkt im Frühjahr, „in den Fasten“, war, wie 1682 verschiedentlich angeführt wird, „vor mehr dann 100 Jahren“ wegen zu hoher Kosten und „wegen angefallener laidiger Kriegs- und anderer beschwehrlichen Zeiten“ abgeschafft worden.

Die Initiative, diesen Markt wieder von Neuem anzufangen, war im Januar 1682 von einer Gruppe Leonberger Bürger ausgegangen. Als Handwerker hatten sie ein Interesse daran, die örtliche Wirtschaft anzukurbeln und baten deshalb die Stadt- und Amtsverwaltung, sich für die Wiederaufnahme des Marktes einzusetzen. Die wirtschaftliche Notwendigkeit dieser Maßnahme begründeten sie folgendermaßen:

....“weilen aber die Zahl der Handwercksleuth sich je mehr und mehr allhier ergrößert, also daß bey gegenwärtig trangseelig- und gellt- klemmen Zeiten wür uns sambt unseren armen Weibern und Kindern..... säurlich ernehren müeßen.“

Gericht und Rat waren von dieser Maßnahme zunächst nicht überzeugt. Nur wenige Magistratsmitglieder stimmten diesem Vorschlag uneingeschränkt zu. Die meisten befürchteten, der Markt könne, wie schon früher, durch hohe Organisationskosten mehr schaden als nutzen. Wegen dieser Bedenken wurde die Entscheidung erst einmal vertagt.

Im Februar 1683, ein halbes Jahr nach der Beratung im Gericht, sah der Magistrat die Angelegenheit optimistischer. Die Stadt wandte sich jetzt an den Herzog, um die Genehmigung für den zweiten Markt einzuholen. Dabei gingen die Leonberger taktisch klug vor. Um dem Landesherrn die Zusage zu entlocken, schilderten sie in ihren Gesuchen nicht allein ihre schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse. Sie wiesen ihn auch auf die Vorteile hin, die er von einem weiteren Markt, insbesondere von dem neu hinzukommenden Pferdehandel, zu erwarten hätte: Die Bürger seien dann in der Lage, ihre Steuern zu bezahlen, Gewinn- und Zollabgaben würden anfallen und das Geld nicht mehr auf den Pforzheimer Pferdemarkt ins badische Ausland getragen.

Nachdem die von der Obrigkeit geforderte Bürgerumfrage mit 95 gegen 30 - selbstverständlich nur männlichen - Stimmen zugunsten des zweiten Jahresmarkts ausging und die umliegenden Städte keine Einwände geltend machten, stand der Genehmigung ein Jahr später nichts mehr im Weg. Der alte Frühjahrsmarkt, wiedererstanden durch eine „Bürgerinitiative“, erweitert um den Roß- und Viehmarkt, wurde zum 14./15. Februar 1684 erneut aufgenommen.

Bild: Leonberger Marktplatz beim Festumzug anlässlich des Pferdemarktes. (Foto: Stadtarchiv Leonberg) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Gesuchen an den Herzog in düsteren Farben geschildert wurden, so war das keine Übertreibung. Die Auswirkungen des 30-jährigen Krieges waren im deutschen Südwesten noch überall zu spüren. Durch das aggressive Vormachtstreben Frankreichs unter Ludwig XIV. wurde die Erholung von den Bevölkerungsverlusten und den materiellen Schäden des großen Kriegs gestört. Trotz der von Württemberg bis Anfang der 80er Jahre gewahrten Neutralität sorgten der Durchzug fremder Truppen und die Notwendigkeit, die eigenen Soldaten in erhöhter Bereitschaft zu halten, für zusätzliche finanzielle Belastung. Die Abwehr der 1683 bis Wien vorgerückten Türken verursachte dem Herzogtum hohe Kosten. Auch aus dem Leonberger Stadtsäckel mußte ein beträchtlicher Beitrag zur „Türckhenhilffe“ geleistet werden. Nicht nur die Ereignisse der großen Politik jener Zeit, sondern auch die problematische Leonberger Infrastruktur wurden angesprochen: Die ungünstige Lage abseits der großen Handelsstraßen hemmte die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. So spielte der Handel keine bedeutende Rolle. Kaum ein Bürger fand allein im Handwerk sein Auskommen, fast jeder betrieb nebenher noch Landwirtschaft.

Leonberg war eine Ackerbürgerstadt. Im 18. und 19. Jahrhundert kamen noch weitere Märkte hinzu, so daß in Leonberg schließlich sieben Jahrmärkte stattfanden. Vier davon waren zugleich auch Pferdemarkt. Unter den Pferdemärkten war der erste im Jahr, also der 1684 eingeführte, am erfolgreichsten. Seine Bedeutung ging über Württemberg hinaus und er belebte in größerem Maß als die anderen Märkte die Leonberger Wirtschaft. Doch brachten weder „der“ Pferdemarkt noch die übrigen Jahrmärkte eine Änderung der wirtschaftlichen Gesamtsituation. Leonberg blieb bis Anfang unseres Jahrhunderts eine Ackerbürgerstadt. Die anderen Jahrmärkte existieren heute nicht mehr. Nur der alte Pferdemarkt von 1684 ist übrig geblieben. Dank seiner Anpassungsfähigkeit, bzw. der der Organisatoren, hielt er Schritt mit der neuen Zeit, in der Arbeitspferde - früher die wichtigste „Ware“ auf dem Pferdemarkt - schon lange durch Maschinen ersetzt sind.

Bilder zum Leonberger Pferdemarkt - zum Vergrößern klicken Sie bitte in das jeweilige Bild.

Leonberger Pferdemarkt 1914
Leonberger Pferdemarkt 1950
Kaltblutgespann beim Festumzug
Leonberger Pferdemarkt 2006
Pferdehandel auf dem Leonberger Marktplatz


Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Weitere Informationen zum Pferdemarkt finden Sie auf den Internet-Seiten der Stadt Leonberg unter www.leonberg.de

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