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Warmbronn>>Christian Wagner>>Christian Wagner-Haus
Die soziale Lage eines Bauern im 19. Jahrhundert

Das Christian-Wagner-Haus, seine Bewohner und deren Habe

Quelle: „Aus meinem Leben“, Jahresschrift 1984/1985 der Christian-Wagner-Gesellschaft e.V. Warmbronn

Autoren: Annegret Knoll / Werner Ströbele
Das Haus an der Straße nach Renningen, in dem Christian Wagner lebte, lag am Ende des Dorfes. Es war weit weg von den zentralen großen Höfen im Innern des Dorfes. 1780 kaufte sich Johann Jakob Bach zwei Grundstücke am Dorfrand zusammen und errichtete darauf das Haus, das 1781 dann zum ersten Mal zur Steuer herangezogen wurde. Schon 17 Jahre später wechselte das Anwesen zum ersten Mal den Besitzer, es ging an den Förster Johann Friedrich Gottschick über, der es um eine Scheuer und eine Hofreite (Hofraum) erweiterte. Von ihm kaufte es an Martini 1809 der Bauer Jakob Johann Kühnle, der ein Waschhaus, einen Schweinestall und eine Wagenhütte anbaute. Er geriet in Gant1* und verkaufte das Gebäude 1825 an seinen Hauptschuldner. 1830 erneuter Wechsel: Der Metzger und Wirt des Wirtshauses „Zum Schwanen", Johann Jakob Mundinger, übernahm das Haus, richtete in den oberen Räumen die Wirtschaft „Zum Adler" und im Erdgeschoß eine Metzgerei ein. Auch das ging nicht lange gut. Mundinger hatte sich wohl übernommen, geriet ebenfalls in Gant und musste verkaufen.

Nun erst, 1834, kam die Familie Wagner ins Haus. Der Vater des Dichters, der Schreiner Gottlieb Wagner, kaufte zusammen mit dem Kübler Gottlieb Maidele je eine Hälfte des Anwesens. Doch konnten auch die beiden, die im wesentlichen von ihrer Landwirtschaft lebten, ihren erworbenen Besitzstand nicht halten: 1845 verkaufte Maidele seinen gesamten Anteil an den Schmied Johannes Rexer; Gottlieb Wagner verkaufte die Hälfte seiner Hälfte an Lorenz Röckle. In dieser Aufteilung in drei Partien blieb das Haus dann während des ganzen Jahrhunderts genutzt. Drei Partien, drei Familien, die jeweils zwei kleine Zimmer bewohnten. Wie man um die Mitte des letzten Jahrhunderts in diesem Haus lebte, sich den Alltag einrichtete, das wollen wir uns nun genauer betrachten.

Alltag im Christian Wagner-Haus
Christian Wagner war in jenen Jahren zwischen 1860 und 1870 ein kleiner Bauer, der nach den Steuerlisten zum ärmeren Drittel der Dorfbewohner gehörte, zu jenen, die - mit ein wenig Nebenverdienst - gerade noch von ihrer kleinen Landwirtschaft leben konnten. Die Eltern Christian Wagners und er lebten seit 1849 in den unteren: zwei Kammern, einem kleinen Küchenraum, zusammen 26,6 qm. Bühne, Keller, Lager und Wirtschaftsräume wurden mit den übrigen Familien im Haus (vertraglich) aufgeteilt und gemeinsam genutzt. Als Christian Wagner endlich 1866 heiratete, erhielt er eine Kammer als Heiratsgut - der Lebensraum für die junge Familie. Man wird wohl nicht falsch liegen, wenn man vermutet, dass mit dem baldigen Tod der Eltern gerechnet wurde, schließlich war auch schon Nachwuchs unterwegs. Die Eltern starben dann auch im nächsten halben Jahr.

Christian Wagners Frau gebar in diesen Räumen vier Kinder, von denen aber keines länger als ein Jahr lebte. Beim Tod der ersten Frau Wagners 1870 wurde die gesamte Habe zu Erbteilungszwecken vom Warmbronner Waisengericht inspiziert und peinlich genau notiert, von der Bibel bis zum Schnupftuch, von der Bettflasche bis zum Schleifstein im Schuppen. Man kann davon ausgehen, dass nichts ausgelassen wurde. Christian Wagner und seine Frau bewältigten demnach ihr Leben in dieser Wohnung mit ziemlich genau 330 Gegenständen, dabei wurde alles mitgezählt: was sie geerbt hatten, was sie in die Ehe einbrachten, was sie neu anschafften. Dem Haushalt kam es sicher zugute, dass Christian Wagner als einziges Kind seiner Eltern nicht teilen musste.

Dichterstube

Bild: „Dichterstube“ im Christian-Wagner-Haus in Warmbronn. Die Wohnräume des Dichters blieben nach seinem Tod im Jahre 1918 als Erinnerungsstätte erhalten. (Aus: Museen im Landkreis Böblingen, 1998)

330 Gegenstände reichen zum Leben
Wagners Wohnung war noch viel karger als sie heute zu besichtigen ist. In der vorderen Kammer waren vermutlich: ein Tisch, eine kleine Holzbank („Schrännle“), vier Stühle, ein Fußschemel, ein Kleiderschrank und an der Wand ein Spiegel. Der Tisch war bedeckt mit einer Tischdecke (zwei andere gab es zum Wechseln), wahrscheinlich stand auch die eine Lampe darauf, die sie besaßen; damit wurde abends Licht gemacht, bevor es, meist kurz nach Sonnenuntergang, ins Bett ging. Winters saß man wohl abends etwas länger in der Stube; die Frau sponn mit der verzeichneten Kunkel2* noch etwas Garn; als sie starb, waren noch 12 Schneller hanfenes Garn vorhanden. Das Garn wurde verkauft, manches auch vom ortsansässigen Weber zu Stoff verwebt. Ein Teil der Wäsche und Kleidung der Familie Wagner war aus diesem Garn gefertigt. Auf dem Fenstersims lagen wohl die zwei Gesangbücher, die zwei Predigtbücher und eine Bibel, die einzigen Bücher, in die sich Christian Wagner in jener Zeit im Schein der Lampe zu seiner Erbauung und Bildung vertiefen konnte.

Was im Kleiderschrank hing
Was war im Kleiderschrank? Betrachtet man die Aufzählung der Kleider etwas genauer, so entdeckt man, dass Christian Wagner im Besitz nur einer einzigen Hose war, einer tuchenen Hose mit langen Beinen, die er jahraus, jahrein getragen hat. Auch Schuhe hatte er nur ein Paar, ein Paar Stiefel. Mit den Socken konnte er wenigstens wechseln; davon hatte er sechs Paar. Auffallend und für unser Empfinden merkwürdig: es gab keine Unterwäsche, weder ein Unterhemd noch eine Unterhose; diese kamen erst im 20. Jahrhundert in Mode. Dafür hatte der Mann acht Hemden, besonders lange, die unten zum Einschlagen geteilt waren. Über den Hemden trug er werktags - zumindest während der kälteren Jahreszeit - einen brauntuchenen Rock, eine Art Jacke, und auf dem Kopf eine „Kapp". Sonntags war es anders: da kleidete er sich mit einem besseren Hemd, einer „Bluse", seiner schwarzen Weste und seinem teureren, grautuchenen Rock; auch band er sein schwarzes seidenes Halstuch um, statt einer Krawatte, wie sie sein Vater trug. Sonntags wurde auch der Hut getragen, der angeblich etwas älter war. In der Westentasche lag die silberne Zylinderuhr. Das war dann auch schon alles, was er an Kleidung besaß; da brauchte nicht allzuviel im Schrank aufbewahrt werden.

Seine Frau, Anna Maria, hatte etwas mehr. Auch ihre Kleidung war an städtischem Habitus orientiert. Die fünf Kleider aus verschiedenen Stoffen, die sie besaß, übertrafen an Zahl und Wert bei weitem das, was in ihrer Garderobe noch am ehesten bäuerlichem Stil entsprach: zwei Röcke, einer mit einem typischen Leible und dem Kittel aus Barchent.3* Zu den Röcken und wahrscheinlich auch unter den Kleidern trug sie Hemden, von denen sie sieben im Schrank hatte; diese waren gewebt aus jenem Garn, das sie auch selber aus Hanf fertigte. Von spezieller Unterwäsche war auch in der Sammlung der Frauenkleider nirgends die Rede. Werktags band sich die Frau wohl immer mindestens eine ihrer fünf Schürzen um. Mit ihren fünf Halstüchern lag sie ganz im Modetrend der Zeit, der auch auf dem Land von den industriell gefertigten Stoffen bestimmt wurde. Mit ihren zwei Hauben, eine für sonntags, eine für werktags, genügte sie noch ganz den traditionellen Kleidungs-vorstellungen. Ob das seidene Netz, das zu ihrem Kleiderbestand gehörte, ihr Haar zusammenhielt? An Schmuck besaß sie ein Granatennuster4* mit goldenem Schloss, eine Art Perlenkette, die zum üblichen bäuerlichen Bestand gehörte. Was das Schuhwerk anbetraf, konnte auch die Frau nicht wechseln; sie hatte nur ein Paar Schuhe aus Tuch, zu denen sie jedoch sechs verschiedene Paar Strümpfe tragen konnte.

Christian Wagner am Tisch

Bild: Christian Wagner im Jahre 1915. (Foto: Christian-Wagner-Gesellschaft)

Möbel und Einrichtungsgegenstände
Gehen wir ins zweite, hintere Zimmer. Dort standen vermutlich das „zweischläfrige Bett", vielleicht auch das aufgeführte „Kinderbettlädle" und ein Stuhl. Gehen wir weiter in die kleine Küche; sie konnte ruhig klein sein; dort musste zu jener Zeit noch nicht viel untergebracht werden. Das Geschirr umfasste ein Pfännle aus Messing, drei Bratpfannen aus Eisen, einen Hafen5* aus Kupfer, zwei aus Eisen und einen Dreifuß zum Abstellen der heißen Töpfe, ein Netzschüssele aus Zinn zum Waschen von Kartoffeln und Gemüse, zwei Kuchenschüsseln aus Eisen, ein Schaumlöffel für die Spätzle, ein Schöpflöffel und ein Suppenseiher für die vielen Suppen, ein Milchseiher und zwei kleine steinerne Häfen für die Milchprodukte. Gegessen wurde aus Tellern, von denen es vier im Haushalt gab. Jedoch ist nirgends von Besteck die Rede. Messer, Gabeln und Löffel scheinen gar nicht vorhanden gewesen zu sein. Ob sie mit den Händen aßen und aus den Tellern die Suppen und Brühen schlürften? Möglich, dass sie selbstgefertigte hölzerne Löffel benutzten. Die Speisen, die in jenem Februar (Datum der Bestandsaufnahme) vorrätig waren, konnten alle mehr oder weniger ohne Besteck eingenommen werden: Es gab acht Säcke Kartoffeln, Back- und Kochmehl, Weizen und Haber. Von der Kuh im Stall war täglich Milch zu erwarten, von der einen Henne ein Ei und vielleicht später mal, wie von den drei Enten auch, einen Braten. Zum Wagnerschen Hausrat gehörte eine Kaffeemühle. Im Keller war auch Most vorrätig, der mit zwei Sutterkrügen6* geholt und mit zwei Trinkgläsern getrunken werden konnte.

In der Küche war sicherlich auch das Backzubehör: eine Backmulde zum Teigmachen, ein „Werkelholz“ zum Auswellen des Teiges, drei Backbleche und acht Backkörbe für Brot. Gebacken wurde nicht im Haus, sondern im Gemeindebackhaus. In der Küche dürfte auch der zweite Tisch gestanden haben, dabei ein Stuhl. Auf dem Tisch vielleicht das Butterfass oder der Kübel, in dem das Wasser vom Brunnen geholt wurde. Vielleicht stand darauf auch der Waschkübel, aus dem man sich gewaschen hatte, schließlich gab es ja kein Badezimmer, ja nicht mal ein Waschbecken. Irgendwo im Haus befand sich auch eine „Badegölte“7*; wo, und wie oft sie aufgestellt wurde, um darin ein Bad zu nehmen, bleibt ungeklärt. Der Aufwand für die Bereitung von warmem Wasser war nicht gering.

Zum Abtrocknen konnte man drei Handtücher benutzen. Außer einem Rasiermesser waren sonst zur Körperpflege keine Gegenstände mehr vorhanden. Für die Wäsche wird eigens eine „Gölte" genannt; es gab ein „Mangholz“ zum Bügeln und eine Kleiderbürste; Mit einem Kehrbesen, einer Kehrschaufel und einem Kehrwisch konnte die Wohnung sauber gehalten werden. Das waren alle Gegenstände, die sich in der Wohnung befanden. Im Keller lagerten noch fünf verschiedene Fässer, zwei größere, drei kleinere; eine Staude und 27 Fassdauben.8*

Kaum Geräte für die Landwirtschaft
In der Hütte und der Scheuer, die zum Haus gehörten, waren die Arbeitsgeräte für den landwirtschaftlichen Betrieb. Wenn man betrachtet, was das Waisengericht dort vorgefunden und notiert hatte, ist man erstaunt, wie wenig dieser Landwirt Christian Wagner an Produktionsmitteln besaß, was ihm alles fehlte - vielleicht das deutlichste Zeichen seiner niederen Stellung im Dorf. Bei den wichtigsten Produktionsmitteln war er von den großen Bauern abhängig. Wenn „im Märzen der Bauer die Rößlein einspannte", war Christian Wagner nicht dabei. Er hatte nicht nur keine Rösser, was die größeren Bauern auszeichnete, er besaß nicht mal einen Pflug, auch keine Egge und Walze, um seine Äcker zu bestellen. Er war darauf angewiesen, diese Gerätschaften auszuleihen, bzw. diese Arbeiten ausführen zu lassen. Und Christian Wagner war da keine Ausnahme, das war auf den Dörfern bei den kleinen Bauern vielfach anzutreffen. Außer einem Schaltkarren9* und einem Schlitten besaß Christian Wagner auch keine Transportmöglichkeiten, etwa einen Leiterwagen für Heu und Stroh, oder einen Dungwagen. Heu, Frucht, Stroh, Holz, ... alles muss er sich von „Dorfgenossen" heimfahren lassen. Um den Boden zu bearbeiten, von dessen Ertrag er lebte, verfügte er nur über eine „Felghaue“ und ein „Karst“, um den Boden aufzulockern oder die Kartoffelstöcke auszugraben.

Auch für seine Viehhaltung kam Wagner mit äußerst dürftigen Mitteln aus: eine Dunggabel für den Mist, drei Kuhketten, um Kuh und Rind im Stall anzubinden. Für die eine Henne, die er hielt, gab es ein Hühnergitter. Zum Obstanbau gehörten die zwei Baumleitern und die zwei Baumsägen. Obst (und Kartoffeln) konnten mit drei „Zainen" (Körbe) aufgelesen und in zwei Obstsäcken transportiert werden. Zuletzt sind noch wenige Arbeitsgeräte für den „Hausgebrauch" zu nennen: eine Schaufel, ein Hammer, eine Beißzange, ein Stoßeisen und ein Schleifstein. Mit einer Holzsäge, zwei Handsägen und einem Holzbeil konnte Christian Wagner Brennholz aufmachen und winters im Wald im Taglohn arbeiten. Wie gesagt, um die 330 Gegenstände, die ausreichen mussten, das Leben zu fristen, zu arbeiten, zu essen, zu wohnen, sich zu kleiden, zu waschen - viel mehr war kaum möglich in jener Zeit, als Christian Wagner begann, Gedichte zu schreiben.

Später, als Christian Wagner das zweite Mal heiratete, kam sicherlich nochmals einiges an „Aussteuer" dazu, genau weiß man es nicht, die Inventur-Listen wurden nicht mehr geführt. Mit den vier Kindern vermehrten sich aber auch die Personen, die damit leben mussten, auf dem gleichen Raum: sechs Personen auf 26 qm. Um allen ein Bett zu geben, dafür war kein Platz. Ein Enkel Christian Wagners weiß aus Erzählungen, dass die größeren Kinder des Hauses zusammen auf dem Dachboden schliefen.

1

Wirtschaftlicher Ruin, Konkurs

2

Zubehör für das Spinnrad, auf dem die ungesponnene Wolle sitzt

3

Dicht gewebter, aufgerauter Baumwollstoff

4

Halskette (Korallen oder Granatsteine)

5

Irdener Topf

6

Großer Mostkrug

7

Wasserzuber

8

Zugeschnittene und gebogene Bretter für die Wandung eines Fasses

9

Einrädriger Schubkarren (schalten = schieben)

Der Text wurde gekürzt.

Wir danken der Christian-Wagner-Gesellschaft e.V. und den Autoren.
Museen im Landkreis BB – Christian-Wagner-Haus-Warmbronn

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