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Perouse>>Dorf der Verfolgten

Das Dorf der Verfolgten

Die Geschichte von Perouse

Quelle: Kennzeichen BB – Heimatkunde für den Landkreis Böblingen. Verlag Waldemar Lutz, Lörrach und Ernst-Klett-Verlage, Stuttgart 1987, S. 158-159

Bild: Straßendorf Perouse nach der Ortskernsanierung.

Man schrieb das Jahr 1698. Schon seit einem halben Jahrhundert war der 30jährige Krieg vorüber. Doch noch immer waren seine Spuren im Land zu erkennen: verödete oder halbleere Dörfer, brachliegende Felder, Armut und Zerfall.

In dieser Zeit erfuhr Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg vom Schicksal der Waldenser im katholischen Frankreich. Er bot den Vertriebenen eine neue Heimat an. Er versprach ihnen ungenutztes Land und sicherte ihnen zu, dass sie hier ihren Glauben ausüben durften. Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer sollten sie sich selbst erwählen dürfen. Ihr Französisch konnten sie als Amts- und Schulsprache beibehalten, und sie brauchten 15 Jahre lang weder Steuern zu bezahlen noch Frondienste zu leisten.

Bild links: Büste des Waldenserpfarrers Henri Arnaud auf dem 1899 zur 200-Jahrfeier der Gründung von Perouse errichteten Brunnen.

Die Waldenser kamen. Einer ihrer Anführer war Pfarrer Henri Arnaud. Um Maulbronn, Leonberg und Calw wurde den "Welschen" Land zugewiesen. Die Siedler unterschieden sich jedoch in Sitte, Kleidung und Sprache zu stark von den Einheimischen, als dass sie im gleichen Dorf hätten leben können. So gründeten sie neue Dörfer: Corres, Neuhengstett, Pinache, Perouse u.a. Die Neusiedlungen entstanden auf der Gemarkung bestehender Dörfer. Perouse lag auf dem Gebiet von Heimsheim. Das erste Verzeichnis der Ansiedler von Perouse vom 20. Juli 1699 nennt 242 Personen und 71 Haushalte.

Bild rechts: Kirche und Henri-Arnaud-Brunnen in Perouse - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

In ihrer Heimat waren die Waldenser Hirten und Viehzüchter gewesen. Sie kannten keinen Ackerbau. Sie mussten lernen, das Vieh einzuspannen, zu pflügen, zu säen, zu eggen und zu ernten. Und sie mussten sich ein Dorf bauen. 1720 zählte man in Perouse 23 Baracken und 34 Häuser. 1738 hatten sich die Bewohner einen Betsaal eingerichtet, der später zur Kirche erweitert wurde. Bis 1823 wurde hier die Predigt in französischer Sprache gehalten. Von 1839 bis 1972 war das Dorf ein selbständiger Ort mit eigener Gemarkung. Noch heute gibt es in dem nach Rutesheim eingemeindeten Dorf zahlreiche schwäbische Familien mit französischen Namen: Baret, Charrier, Jaimet, Seigneur, Vincon.
Petrus Waldus und "die Armen von Lyon“ Die Geschichte der Waldenser begann um 1174 in Lyon. Dort starb bei einem ausgelassenen Fest ein Freund des Kaufmanns Petrus Waldus. Der sehr reiche Kaufmann begann daraufhin, nach einem anderen Sinn des Lebens zu suchen. Er wollte die Bibel verstehen. So ließ er sie ins französische übersetzen. Dann zog Petrus Waldus nach dem Vorbild der Apostel als armer Büßer im Wollgewand und mit Holzsandalen an den Füßen durch die Alpentäler zwischen Frankreich und Italien. Er und seine Gefolgsleute lasen den Menschen aus der Bibel vor, erklärten die Heilige Schrift und zeigten dabei Missstände der kirchlichen Herrschaft auf. Im Volk nannte man die wandernden Laienprediger "die Armen von Lyon." Die Waldenserbibel, die jeder lesen und verstehen konnte, wurde zur Grundlage des unerschütterlichen Glaubens einer rasch anwachsenden Gefolgschaft.

Immer wieder versuchten Kirche und Staat, die widerspenstigen Waldenser auszurotten. Besonders schwere Verfolgungen fanden in den Jahren 1400 und 1477 statt. 1532 schlossen sich die Waldenser der Reformation an. 1685 begannen erneute Verfolgungen. Soldaten des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV. von Frankreich nahmen über 14.000 Waldenser gefangen. Viele wurden getötet. Kinder brachte man in Klöstern und in anderen Familien unter, um aus ihnen Katholiken werden zu lassen. Ausländische Regierungen setzten sich schließlich für die Gefangenen ein. Daraufhin wurden sie freigelassen, jedoch für immer aus der Heimat vertrieben. Im Herbst des Jahres 1686 setzte sich ein erster Zug der Vertriebenen in Bewegung. Er führte über die verschneiten Berge in die Schweiz. Viele überlebten die Strapazen nicht. 1698 wurden noch einmal 3.000 Waldenser aus ihrer Heimat ausgewiesen. Es waren die Bewohner der Täler Perouse oder Perosa und Pragela. In Württemberg, Baden und Hessen wurden die Verfolgten aufgenommen.

Trotz aller Anfeindungen konnten sich die Waldenser im westlichen Alpengebiet, in Piemont und Savoyen, behaupten. 1848 gründeten sie eine italienische Waldenserkirche. Sie hat etwa 45.000 Mitglieder mit Tochtergemeinden auch in Südamerika.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Waldemar Lutz in Lörrach und der Ernst Klett–Verlage, Stuttgart.

Internet-Links:
Homepage der deutschen Waldenservereinigung e.V.
Waldenser-Museum „Henri-Arnaud-Haus“ in Ötisheim-Schönenberg bei Pforzheim


Gemeinde Rutesheim

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