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Schönaich>>Oberamtsbeschreibung
„körperlich ansehnlich und wohlgebildet“

Schönaich in der Beschreibung des Böblinger Oberamts von 1850

Quelle: Beschreibung des Oberamts Böblingen. Herausgegeben von dem königlichen topographischen Bureau. Stuttgart und Tübingen 1850

Bild: Winter im alten Schönaich. Molkerei und Backhaus von der Gaststätte Adler aus gesehen. (Foto: Verein für Heimatgeschichte Schönaich)

Schönaich, ein Pfarrdorf mit Marktgerechtigkeit, das 2100 ev. und 15 katholische Einwohner zählt.

In einer weiten, fruchtreichen, beinahe ringsum mit Waldungen besaumten Niederung, liegt eben und gesund der große, ziemlich regelmäßig gebaute, mit breiten, gekandelten Straßen versehene Ort, dessen Gebäude mit wenigen Ausnahmen meist alt und minder ansehnlich sind. Die schöne Lage des Orts und die Nähe des Flüßchens Aich mögen zur Entstehung des Ortsnamens Veranlassung gegeben haben. Gesundes Trinkwasser, das ein laufender und mehrere Ziehbrunnen liefern, ist erst seit neuerer Zeit hinreichend vorhanden, da noch vor wenigen Jahren der Ort beinahe jedes Jahr etwas Wassermangel hatte, dem nun durch die Anlage von einigen weiteren Ziehbrunnen abgeholfen wurde. Westlich vom Ort ist auf den Fall der Feuersgefahr eine Wette angelegt. Eine reine, gesunde Luft weht aus den nahe gelegenen Schönbuchswaldungen, welche zugleich den rauhen Nord- und West-Winden den Zutritt etwas erschweren und als Ableiter der schädlichen Gewitter dienen. Das Klima ist daher mild und Feldfrüchte, Obst und sogar Wein gedeihen auf der gesegneten Markung. Die Ernte tritt um 8 - 10 Tage früher ein als in den übrigen Schönbuchsorten. Am Westende des Dorfes liegt die schöne im einfach germanischen (gothischen) Styl erbaute Pfarrkirche, welche im Jahr 1840 auf die Stelle der alten, baufällig, und für die stark zunehmende Bevölkerung zu klein gewordene, nach dem Entwurf des Professors Heideloff von Nürnberg erbaut wurde. ...

Das Innere der Kirche ist in einem eben so würdigen, einfach erhabenen Geschmack gehalten wie das Aeußere, hell, geräumig und weiß getüncht. ... Der alte viereckige Thurm, welcher von der früheren Kirche noch stehen blieb, ist massiv von Quadern und hat von unten herauf nur schmale Lichtlöcher (Schußscharten), im oberen Stockwerke aber hohe, spitzbogige, gothisch gefüllte Fenster. ...

Das gelb getünchte Pfarrhaus nebst Scheune, Waschhaus, Gemüse- und Gras-Garten liegt nur 75 Schritte von der Kirche entfernt an einer Hauptstraße des Orts und befindet sich in gutem baulichen Zustande. Die Unterhaltung desselben steht dem Staate zu. Im Jahre 1828 wurde auf Gemeindekosten mit geringem Beitrage der Stiftungspflege ein neues Schulhaus mit Lehrerwohnung erbaut. ... An der Schule unterrichten 1 Schulmeister, 1 Unterlehrer und 1 Lehrgehilfe. Seit 1837 besteht mit gutem Fortgang eine Industrieschule. Das schon ziemlich alte Rathhaus steht an einer Kreuzstraße im nordwestlichen Theile des Orts.

Die Einwohner, welche sich einer dauerhaften Gesundheit und häufig eines hohen Alters erfreuen, sind körperlich ansehnlich und wohlgebildet, besondert zeichnet sich das weibliche Geschlecht durch feine Gesichtszüge aus. Die Schönaicher haben etwas Eigenthümliches in ihrem Aeußeren und repräsentieren mehr noch einen besonderen Stamm, so daß man sie leicht von den Bewohnern der Nachbarorte unterscheiden kann. Ihr Charakter ist einfach, offen, theilnehmend, gutthätig, dabei fürchten sie die öffentliche Schande und sind sehr kirchlich gesinnt. ... Als Schattenseiten sagt man den Schönaichern nach, daß sie sehr abergläubig und noch um mehrere Jahrzehende zurück seyen, was nur insoferne begründet seyn dürfte, daß sich das, was man gegenwärtig Aufklärung nennt, noch weniger bei ihnen entwickelt hat, da sie der guten alten Sitte treuer geblieben sind als die Bewohner der Nachbarorte. Ebenso haben sie an altherkömmlichen Volksgebräuchen festgehalten und die moderne Tracht vermochte bis jetzt noch nicht die solide und zugleich malerische Volkstracht zu verdrängen. Das Angeführte gilt übrigens mehr für die älteren Einwohner, bei der Jugend ist es in neuester Zeit auch etwas anders geworden, indem diese, gerade nicht zu ihrem Vortheil, täglich mehr von den Sitten der Väter abweicht.

In den Vermögensumständen kamen die Schönaicher trotz ihrer Thätigkeit und Betriebsamkeit und ihrer beinahe zur Uebertreibung gehenden Sparsamkeit in neuerer Zeit auffallend zurück, was mitunter von der zu großen Bevölkerung, die mit der Feldgemarkung im Mißverhältnis steht, besonders aber von dem Aufkommen der Fabriken herrührt, wodurch die früher im Ort so sehr blühende Linnenweberei abkam. Es gibt daher nur wenig Vermögliche, die Mehrzahl ist unbemittelt und dennoch befinden sich keine eigentlichen Bettler in der Gemeinde. Die Hauptnahrungsquellen bestehen in Feldbau, Viehzucht und Linnenweberei. ...

In der ganz angebauten Brache werden Kartoffeln, Kraut, Kohlraben, Futterkräuter, Hanf und besonders viel guter Flachs gezogen. Letzterer wird theils auswärts verkauft, zum größeren Theil aber im Ort versponnen, gewoben und mit dem Tuch Handel getrieben. ... Am sogenannten Schönaicher First, einer südlich geneigten Halde, liegen 34 Morgen Weinberge, in welchen meist Silvaner, Elbing und etwas Butscheeren gepflanzt werden. In ganz guten Jahrgängen wird ein angenehmer Wein erzielt, der im Jahre 1846 mit 60 fl.1* bezahlt wurde, sonst bewegen sich die Preise zwischen 16 und 25 fl. pr. Eimer2*. Ein Morgen kostet 100-300 fl. und liefert durchschnittlich 5 bis 6 Eimer. Am Fuß der Weinberghalde steht die Gemeindekelter. Die Obstzucht, welche sich meist mit Mostsorten und etwas Zwetschgen beschäftigt, ist bedeutend und bildet ein namhaftes Erwerbsmittel. ...

Von bedeutender Ausdehnung ist die Rindviehzucht. ... Junges im Oberlande aufgekauftes, wie auch im Ort gefallenes Vieh gewöhnt man zum Zug und bringt es zum Verkauf, was einen Haupterwerbszweig der Einwohner bildet. ... Die Professionisten arbeiten nur für das örtliche Bedürfnis; eine Ausnahme machen die Weber, deren es über 300 sind, da beinahe jeder Bürger neben seinen Feldgeschäften noch die Weberei treibt. Das im Ort gesponnene Garn wird gewoben und das Tuch in den Handel gebracht. Sehr ausgebreitet ist die Handspinnerei, die nicht nur von dem weiblichen Geschlecht, sondern auch von den Männern getrieben wird; früher beschäftigten sich sogar die ledigen Bursche damit. Die Männer stricken auch Strümpfe und verfertigen Säcke. Einige Bürger kaufen Holz in den nahe gelegenen Waldungen und bringen es nach Stuttgart zum Verkauf. Im Orte befinden sich 6 Schildwirthschaften, eine Brauerei, 1 Kaufmann und 3 Krämer. ... Zu bedauern ist, daß man auf dem Wege nach Böblingen an dem Schönaicher First eine zu steile Steige zu passieren hat, welche dem Verkehr, besonders mit schwerem Fuhrwerk hemmend entgegen tritt. ...

Als Merkwürdigkeit ist anzuführen, daß man nach der Aussage der ältesten Leute von dem Schönaicher First aus früher nur die Spitze des Thurms im Weil im Schönbuch gesehen hat, während gegenwärtig nicht nur der ganze Thurm, sondern auch noch ein Theil des Dorfs sichtbar ist. ...

Schönaich gehörte den Pfalzgrafen von Tübingen. Im J. 1286 wurde das Dorf (Schoenache) mit dem dortigen Kirchenpatronat von Graf Gotfried von Tübingen an das Kloster Bebenhausen bedingungsweise überlassen (Urkunde im Karlsruher Archiv); ...

Auf unbekannte Weise kam Schönaich später an die Herzoge von Urslingen, von welchen ... das Dorf nebst Waldenbuch am 14. September 1363 an Württemberg verkauft wurde (...) , worauf Schönaich einen Bestandtheil des Amtes Böblingen bildete. ...

1

1 Gulden (fl) = 60 Kreuzer (kr). Nach der Währungsumstellung entsprach 1 Gulden ca. 1,71 Mark. Legt man für eine grobe Währungsumrechnung bestimmte aktuelle Lebensmittelpreise zugrunde, dürfte ein Kreuzer etwa den Gegenwert von 0,80 € gehabt haben. Die Guldenwährung im süddeutschen Raum bestand von ca. 1550 – 1875.

2

1 Eimer = 293,9 Liter

Der Text wurde gekürzt.

Eine ungekürzte Version der Beschreibung von Schönaich finden sie auf dem Internet-Portal Wikisource.

Mit freundlicher Genehmigung des Bissinger-Verlags Magstadt

Die Württembergischen Oberamtsbeschreibungen
Im Jahre 1820 wurde auf Dekret König Wilhelms I das “königliche statistisch-topographische Bureau“ in Stuttgart gegründet. Zwischen 1824 und 1886 entstanden dort Beschreibungen aller 64 württembergischen Verwaltungsbezirke und ihrer Gemeinden. Als 26. Band erschien 1850 die Beschreibung des Oberamts Böblingen. Auf dem Internet-Portal Wikisource kann diese bereits vollständig abgerufen werden.

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