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Die Schönaicher Pockenepidemie 1848 bis 1850 Quelle: "Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten", Nr. 12/1964Autor: Dr. F. Heimberger | ||||
Bild: Ländliche Pockenimpfung - nach der Natur aufgenommen von Rudolph Geissler. Holzstich um 1867 (Landesmedienzentrum BW/Stuttgart) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern ...In den Jahren 1848 bis 1850 wüteten in Schönaich die Pocken. Dabei hatte das Jahrhundert hoffnungsvoll begonnen. Im Juni 1818 wurde erstmals eine Impfung vollzogen1*. ...Trotzdem waren im Jahre 1848 die Pocken wieder da. Die Seuche brach auch in anderen Gemeinden des Oberamtsbezirks, ja in ganz Württemberg aus. ... Seit Einführung der Kuhpockenimpfung war eine solche Häufigkeit der Menschenpocken im Lande nicht mehr aufgetreten. In dem kleinen, damals knapp 2000 Einwohner zählenden Dorf erkrankten gleich anfangs 67 Personen. ...In Schönaich traten die Pocken wie überall entweder als "Varioloiden-Krankheit", das heißt als mildere Erkrankung bei Geimpften oder als "natürliche Menschenpocken" bei Ungeimpften auf. Die Epidemie war nicht leicht. Das kgl. Medizinalkollegium in Stuttgart erwähnte in einem Erlass an das Oberamt Böblingen auch die "... verhältnismäßig vielen Sterbefälle". Insgesamt starben sechs Personen. Begünstigt wurde die Seuche durch die Verhältnisse jener Zeit. Im Wirrwarr der Revolution von 1848 hatte man "die sonst zur Verhütung der Ansteckung wirksamen Maaßregeln ... nur unvollständig" durchgeführt. Das enge Zusammenwohnen und die wirtschaftliche Not trugen das ihrige bei. ... Als 1850 im Hause des J. Adam Rebmann in Schönaich die "Varioloiden" ausbrachen, wohnten hier sieben Familien mit insgesamt 19 Seelen. ...Die Pocken traten denn auch zuerst im Armenhaus auf. Ferner ging den Bürgern das Gefühl für den Ernst der Stunde ab. Im März 1850 tauchte "die Vermutung von weiteren bis jetzt nicht zur Anzeige gebrachten Krankheitsfällen" auf. ...Der Wundarzt und ein Mitglied des Gemeinderats wurden beauftragt, "eine Untersuchung von Haus zu Haus vorzunehmen". Es fehlte auch an geschultem Personal und den notwendigen Räumlichkeiten, um der Seuche wirksam begegnen zu können. Es gab hier einen Wundarzt, - zugleich Impfarzt, Leichenbeschauer und Armenarzt - , zwei Hebammen und zwei Fleisch- und Brotschätzer für das örtliche Gesundheitswesen, über das der Oberamtsarzt die Oberaufsicht führte. ...Die damaligen Wundärzte (sog. Chirurgen) waren nicht akademisch vorgebildet, sie beherrschten lediglich die notwendigen Handgriffe bei der Behandlung von Wunden und Knochenbrüchen. Die Kranken blieben wo sie waren, in ihren Wohnungen. Diese schloss man ab und stellte andere Bürger als Wächter und Besorger auf. Am 4. 2. 1850 berichtete Schultheiß Roller dem Oberamt, "dass das Haus des Philipp Mezger und die Wohnung des Joh. Adam Rebmann ... mit einer Schlempe und Anhängeschloss versehen worden seye, und dass bei letzterem ein Wächter aufgestellt wurde". Bisweilen genügte man sich mit der Anbringung eines Anhängeschlosses. ...Die solchermaßen in Quarantäne liegenden ärmeren Bewohner mussten, da sie von der Hand in den Mund lebten, auf Kosten der Gemeinde versorgt werden. ... Das Oberamt musste freilich feststellen, "dass die angeordnete Sperre durchaus nicht mit der erforderlichen Strenge gehandhabt" wurde. ...Nicht nur der Trotz der in ihren Häusern in Quarantäne lebenden Bürger, auch die Furcht ihrer Aufseher vor der Krankheit minderten die Wirksamkeit der Sperre. Der Schultheiß selbst gab ein unrühmliches Beispiel. In seinem Bericht an das Oberamt bemerkte er, ... er habe "vor der Pockenkrankheit einen solchen Respekt", dass er sich scheue, "in ein davon heimgesuchtes Haus zu gehen, obgleich ich mich vorheriges Jahr mit gutem Erfolg impfen ließ". ...Überhaupt hielt man es jetzt für ratsam, die Polizei zur Beaufsichtigung und Verstärkung der Zivilwächter heranzuziehen. Die Behörden untergruben jedoch ihr Werk selber. Das ärztliche Personal hatte Zutritt zu den Pockenkranken und konnte nach einer Reinigung die Häuser der Infizierten wieder verlassen. ...Voran Wundarzt Wolf, der als Arzt und Leichenbeschauer mit den Kranken in Berührung kam, sorgte dafür, dass die Seuche nicht erlosch. ... So war vieles, was die Seuche hätte eindämmen können, durch mangelhafte Besorgung wertlos. ...Erlasse des Oberamts Böblingen und des Medizinalkollegiums schärften der Gemeinde immer wieder die Vornahme der Wiederimpfung ("Revaccination") als "hauptsächliches Mittel gegen die Ansteckung" ein. So beruhte das Krankheitsgeschehen jener Jahre vor allem darauf, dass man nur einmal, nicht zweimal geimpft hatte. ...Die Kosten der Wiederimpfung wurden für die Dauer der Pockenepidemie "unter der Bedingung einer ausgedehnten Teilnahme ... auf die Staatskasse übernommen". Wundarzt Wolf impfte 1849 die Schuljugend nach. Gleichzeitig nahm man die Wiederimpfung unter den "Ortseinwohnern vom 14. - 48ten Lebensjahre" vor. Personen über 48 Jahren impfte man überhaupt nicht, da man sie für immun hielt. ... Die Gemeinde Schönaich hatte mit Ausnahme der Impfkosten sämtliche Auslagen anlässlich der Epidemie zu tragen. ...
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Der Text wurde gekürzt Mit freundlicher Genehmigung von Frau Heimberger und des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V. Diese Seite drucken |
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