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Zentrum an der alten Römerstraße

Spuren der mittelalterlichen Siedlung Altingen an der Sindelfinger Neckarstraße

Quelle: Sindelfinger Zeitung, Dienstag, 16. Oktober 2001

Autor: Hansjörg Jung

Bild: Rekonstruktion eines Grubenhauses mit Webstuhl (Bild:z) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Bis zu den Schultern steht Reinhard Rademacher in dem Graben, der sich von der Neckarstraße bis zum künftigen Sindelfinger Ableger einer amerikanischen Schnell-Ess-Kette zieht. Es sind die dunklen Flecken im Erdreich, die das Interesse des Archäologen fesseln. Was aussieht wie der Querschnitt einer großen Badewanne, sind die Überreste von Grubenhäusern, in denen die Bewohner des Dorfes Altingen ihre Werkstätten untergebracht hatten.

Die Funde kommen für den Archäologen nicht überraschend: Schon lange wissen die Frühgeschichtler, dass das Gelände zwischen dem Goldbach und der Neckarstraße, zwischen Ikea und der Gottlieb-Daimler-Schule zunächst von den Römern und danach von den Alamannen besiedelt wurde und erst im Mittelalter endgültig verlassen und damit zur Wüstung wurde.

Die frühesten alamannischen Spuren fanden sich am Goldbachufer, dort wo heute das Verlagshaus der SZ/BZ steht, und sie stammen aus dem 4. Jahrhundert. Nachdem die Römer Mitte des 3. Jahrhunderts Südwestdeutschland verließen, bemächtigten sich die Alamannen des Landes und der römischen Infrastruktur. Straßen und Brunnen beispielsweise wurden von den germanischen Siedlern weiter genutzt - allein mit den steinernen Gebäuden der Römer konnten sie sich nicht anfreunden.

Die Siedlungen an den römischen Straßenkreuzungen entwickelten sich, nachdem die Alamannen von den Franken geschlagen wurden, zu kleinen Zentren, in denen Regionalfürsten für den merowingischen König die Kontrolle über die Verkehrswege ausübten. So ist es für Reinhard Rademacher "nicht verwunderlich", dass sich auch an der Kreuzung der Römerstraße am Goldbach mit Altingen ein Zentrum entwickelte, das seine Bedeutung wohl noch während der Herrschaft der Merowinger an die Nachbarsiedlung verlor - an das Dorf Sindelfingen. Wie lange das Dorf Altingen existierte, weiß niemand. Die jüngsten Keramikfunde lassen sich auf das 11. und 12. Jahrhundert datieren. Bis ins 16. Jahrhundert sollen dort, so Quellenberichte, vereinzelt noch Menschen gewohnt haben. Dort wo heute die Gottlieb-Daimler-Schule steht, wurde im Jahr 1550 das letzte Stück Altingen abgerissen: die Heilig-Kreuz-Kapelle.

Schon 1992, als an der Neckarstraße ein Bürohaus gebaut wurde, kamen die Reste von Grubenhäusern zu Tage. Grubenhäuser, das waren einfache Bauten, bei denen über einer Grube, die mit Brettern verschalt war oder später auch ausgemauert sein konnte, ein Dach gesetzt wurde. Grubenhäuser waren Wirtschaftsgebäude, in denen beispielsweise ein Webstuhl stand (siehe Grafik). Webgewichte, welche die Kettfäden spannten, wurden 1992 ausgegraben. Trotz des Daches war die Weberei im Winter keine angenehme Arbeit - und deshalb wohl auch den Frauen vorbehalten.

Insgesamt sechs Grubenhäuser wurden nun bei den Bauarbeiten angeschnitten. Dabei erzählt das schwarze Erdreich dem Fachmann interessante Geschichten: So lässt sich aus der verkohlten Sohle einer Grube schließen, dass das Haus abgebrannt, die Grube einplaniert und für ein anderes Haus erneut ausgehoben wurde. Die handwerklichen Tätigkeiten beschränkten sich auch nicht nur auf die Weberei: Ein Stück Schlacke, das Reinhard Rademacher aus der Erde kratzte, lässt den Schluss auf einen metallverarbeitenden Betrieb, vermutlich eine Schmiede, zu. Dass nicht mehr Metall zu finden war, liegt auf der Hand: "Metall wurde in der Regel abgeräumt, weil es erstens recht teuer war und immer wieder eingeschmolzen werden konnte," sagt Reinhard Rademacher.

Hochwertige Gebrauchskeramik
Neben dem Schmelzklumpen kamen noch Tierknochen und Getreidekörner zum Vorschein, die nach Hohenheim zur Analyse geschickt wurden. Auch eine Menge Keramikscherben kamen zu Tage. "Gelbtonige Drehscheibenware aus dem 9. Jahrhundert," sagt Rademacher mit Kennerblick. Die bauchigen Gefäße - mal mit Henkeln, mal mit Gießtülle, mit oder ohne Deckel - waren hochwertige Gebrauchskeramik.

Mit den jüngsten Funden kam ein weiterer Mosaikstein zum Gesamtbild der alten Siedlung Altingen. Gerne hätte Reinhard Rademacher in der Fläche weitergegraben. Doch dies bleibt, vermutlich, späteren Generationen vorbehalten. Nachdem die Fundstellen vermessen und kartographiert wurden, werden die mittelalterlichen Reste unter dem künftigen Parkplatz verschwinden.

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung

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