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Das Geologische Fenster an der Sindelfinger Pfarrwiesenallee

Einblick in die erdgeschichtliche Vergangenheit

Quelle: Jahrbuch der Stadt Sindelfingen 1985

Autor: Dr. Friedrich Wurm, Geologisches Landesamt Baden-Württemberg - Zweigstelle Stuttgart
Sindelfingens erdgeschichtliche Vergangenheit begann vor mindestens 235 Millionen Jahren als im Muschelkalkmeer Kalkstein gebildet wurde, aus dem heute ein Teil des Sindelfinger Trinkwassers kommt und der in Dagersheim und Darmsheim zu Schotter gebrochen wurde bzw. heute noch gebrochen wird.

Foto: Das geologische Fenster in der Sindelfinger Pfarrwiesenallee (Foto: N. Frick) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Blick in die erdgeschichtliche Vergangenheit
Mit dem Beginn der Keuperzeit vor 220 Millionen Jahren wurde das Meer flacher. Die Verbindung zum Weltmeer war zeitweise unterbrochen, der Salzgehalt stieg. Statt Kalk wurde nun Ton und Sand abgelagert und nur gelegentlich bildeten sich Kalk- und Gipslagen. An ihren bunten Farben sind die Keupergesteine leicht zu erkennen und so verrät bereits der erste Blick in das Geologische Fenster das Alter des Gesteins. Ungezählte Baugruben und Böschungen sind in den letzten 40 Jahren im Gebiet der Kernstadt geöffnet worden und die meisten haben die bunten Keupergesteine angeschnitten, doch keine blieb geöffnet oder wurde nicht wieder begrünt! Warum bleibt nun gerade mitten im grünen Eichholzwald ein Fenster in die Erde offen? Des Rätsels Lösung liefert vielleicht der zweite, etwas genauere Blick auf das Geologische Fenster: Wir sind es gewohnt, dass Gesteinsschichten horizontal liegen, so wie sie entstanden sind. Das ist hier offensichtlich nicht mehr der Fall. Sie steigen deutlich auf und ab, bilden große Wellen oder Sättel und Mulden, als wäre es ein Stapel Tücher, den jemand zusammengeschoben hat.

Der "Sindelfinger Graben"
Zur Erklärung der für Südwestdeutschland in dieser Form noch nicht beobachteten Lagerungsverhältnisse ist es notwendig, etwas auszuholen: Ein Blick auf die geologische Karte von Sindelfingen ... zeigt, dass das Stadtgebiet von einer Nordwest - Südost verlaufenden Zone durchschnitten wird, in der jüngere Gesteine (Stubensandstein, Bunte Mergel) neben älteren (Gipskeuper) liegen. Sie sind entlang einer oder mehrerer Bruchlinien (Verwerfungen) grabenartig eingesunken. Besonders deutlich kann man dies am Goldberg, Schlossberg und im Eichholz erkennen. Dort liegt jeweils der jüngere Stubensandstein neben dem älteren Schilfsandstein oder Gipskeuper. Dieser Bereich hat daher der von Waldenbuch bis Heimsheim ziehenden geologischen Struktur die Bezeichnung "Sindelfinger Graben" gegeben.

Der bis zu zehn Meter tiefe Einschnitt der Pfarrwiesenallee im Eichholzwald hat zwar viele Bäume gekostet, aber er hat auch einen noch nie dagewesenen Einblick in den Bau des Sindelfingers Grabens geliefert.

Das typische Nebeneinander von Gesteinsschichten unterschiedlichen Alters zeigt jetzt nur noch der Geologische Schnitt: Älteres, der untere Teil des Gipskeupers mit der Bleiglanzbank, im Westen - jetzt durch den Tunnel weitgehend verdeckt - liegt neben Jüngerem, den Gesteinen des oberen Mittelkeupers vom Schilfsandstein bis hinauf zum Stubensandstein. Dem aufmerksamen Betrachter fällt aber vielleicht auf, dass die Stubensandsteinschichten nicht eigentlich neben dem Gipskeuper liegen, sondern auf fast 50 Meter Länge auf den Gipskeupergesteinen.

Bild: Entwicklung der geologischen Verhältnisse im Einschnitt Pfarrwiesenallee (Detail) Gesamtsicht

Der Verlauf dieser Grenze war die große Überraschung, weil er nur noch wenig mit dem Bild zu tun hatte, das man sich über die Verwerfungen in Südwestdeutschland gemacht hatte. Dabei ist das unterschiedliche Alter der Bewegungen wichtig: Vermutlich im jüngeren Tertiär vor ca. 10 Millionen Jahren ist der durch Dehnung der Erdkruste verursachte Sindelfinger Graben entstanden. Höchstens 150.000 Jahre zurück liegt die Aufschiebung von Stubensandstein auf Gipskeuper, bewirkt durch seitlichen Druck. Sie kann aber erst passiert sein, als durch die Abtragung schon weitgehend die heutige Geländeform erreicht war

Was ist noch im Geologischen Fenster zu sehen?
Die flach nach Westen ansteigende Überschiebungsfläche liegt unter Schutt verborgen. Sie taucht 25 Meter östlich des Tunnelportals unter die Straße ab, die ersten 15 Meter der Böschung östlich vom Tunnel lassen wenig Details erkennen, weil hier die Stubensandsteinschichten nur undeutlich geschichtet sind und einen hohen Gehalt an grünen Tonen aufweisen. Wir haben hier die Füllung einer durch strömendes Wasser ausgeräumten Rinne vor uns. Die östliche Grenze dieser Rinne steigt verhältnismäßig steil an. Dort lässt sich erkennen, dass durch diese Rinne die östlich angrenzende bunte Gesteinsfolge abgeschnitten wird. Diese Rinnenfüllung muss also nach der Ablagerung dieser bunten Folge entstanden sein.

Die Grenze zwischen Stubensandsteinschichten und Oberen Bunten Mergeln verläuft oberhalb der ersten gelbbraunen Dolomitbank, an der Untergrenze der ersten plattigen Sandsteinlage. Verfolgt man diese Grenze nach Osten, so ist ein deutliches Ansteigen zu erkennen. Der höchste Punkt wird etwa 60 Meter östlich des Tunnelportals erreicht, wo die gesamte Schichtenfolge eine auffallende Knickung zeigt, deren Form nur durch von Ost nach West gerichteten Druck erklärbar ist.

Bild: Auffallende Knickung in der Schichtenfolge östlich des Tunnelportals (Detail) Gesamtsicht

Dann sinkt die Untergrenze der Stubensandsteinschichten wieder ab. Sie verschwindet 100 Meter östlich des Tunnelportals unter dem Straßenplanum. Dieses nach Osten gerichtete Einfallen der Schichten reicht bis zum Steg. Dort wird wieder ein Wendepunkt erreicht. Die Grenze Stubensandstein/Obere Bunte Mergel liegt hier ca. 15 Meter unter der Straße.

Die jetzt nicht mehr erkennbare Fortsetzung des Aufschlusses zeigt wiederum der Geologische Schnitt: Ein erneutes Ansteigen der Schichten nach Osten bis zu einer Verwerfung, etwa 200 Meter östlich des Tunnelportals und 40 Meter östlich vom Steg. An dieser wurde die Grenze Stubensandstein/Obere Bunte Mergel um 8,5 Meter gegen Nordwesten gehoben. Es handelt sich also um eine tektonische Aufschiebung, die wiederum auf einengende Kräfte hinweist.

Musterfall für süddeutsche Verwerfungszonen
Durch diesen Aufschluss können die Geologen viel über die Bewegungsvorgänge an unseren süddeutschen Verwerfungszonen hinzulernen. Die neuen Erkenntnisse werden auch woanders angewendet werden. Der Sindelfinger Gemeinderat hat die Bemühungen, den Aufschluss als Geologisches Fenster zu erhalten, unterstützt. Damit hat er, zusammen mit der Darstellung im Sindelfinger Jahrbuch 1985, dazu beigetragen, dass dieser Aufschluss nicht in Vergessenheit geraten und verschwinden wird, wie ein ähnlicher im Jahr 1964 an der Zufahrtstraße zum Kreiskrankenhaus Böblingen ... .

Das Geologische Fenster bietet allen Interessierten die nur sehr selten gegebene Möglichkeit, das komplizierte Innenleben einer Verwerfungszone auf Dauer studieren zu können. ...
Der Text wurde gekürzt

Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Sindelfingen, des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg, der Familie Wurm und des Sindelfinger Fotografen Norbert Frick

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