Sindelfingen>>Persönlichkeiten>>Christoph Friedrich Grieb

1. Erinnerung an Sindelfingen (Brief von Stuttgart nach Amerika, ca. 1855)

Autor: Klaus Phillippscheck



...Und dann fragst du mich in deinem Brief nach Sindelfingen, Heinrich, nach unserm alten Städtchen.

Ich dachte doch, du bist längst Amerikaner geworden in deinem schönen, lebendigen, aufregenden New York - und nun diese Frage nach Sindelfingen.

Natürlich ist mir das Städtchen nicht aus dem Kopf gegangen, nie. Und immer noch kommen diese Träume: Hinaus aus dem brüchigen oberen Stadtthor, entlang der langen Clostermauer und den Wiesen, hinüber zum Landgraben, am Sommerhofenbach, im frühen Nebel. Vor uns die im Dunst aufgehende Sonne über unserer Wiese - fast schon an der Winterhalde; im schönsten Wiesengrunde. Unser Sindelfinger Dichter Wilhelm Ganzhorn - kannst du dich an ihn noch erinnern? - hat ein gar schönes Liedchen dazu geschrieben, das hier jetzt sehr bekannt geworden ist und viel gesungen wird.

Ach, für mich ist das alles immer auch die Erinnerung an das Lächeln unserer gütigen Sindelfinger Großmutter gewesen. Du hast sie nicht mehr kennen gelernt, schade.

Ich sehe es noch vor mir, wie sie unserem Onkel Friedrich, einem der ganz armen Sindelfinger Weber, immer etwas zugesteckt hat. Und ich werde es nicht vergessen, mit welch demütigem Lächeln er die wenigen Heller entgegengenommen hat - ein braver, rechtschaffen und unendlich fleißig arbeitender Mann, aber immer bettelarm. Welch tiefe Ungerechtigkeit - die so nicht mehr bleiben darf! Wir müssen endlich durch unseren Glauben und unsere Kraft ein der menschlichen Natur angemesseneres Gesellschaftsprinzip erzwingen – in Europa, wie aber auch in Amerika.

Ich denke es mir jedenfalls noch gut, wie um seinen uralten Webstuhl herum die Hühner gelaufen sind, die Schwalben huschten, wie sich die Katze sonnte. Schöne - aber traurige Bilder. Unser trautes Sindelfingen, fast so schön wie auf einem Bild des Carl Spitzweg, den du auch kennst; fast so schön; aber, Heinrich, die Thore, die Türme, die Mauern sind abgebrochen und - wunderst du dich, wenn ich das schreibe? - längst weht der eisige Wind der internationalen Concurrenz auch den braven Sindelfingern ins Gesicht; gerade eben ist die große Seidenmanufaktur, dort hinten am Klostergarten, in der 50 Meister gearbeitet haben, in Concurs gegangen; wie man mir erzählt hat.

Ach ja - lass uns die kleine, bescheidene Stadt auch aus der nahen und weiten Ferne weiterhin lieben und ihr Wohlergehen wünschen, sie und ihre einfachen Menschen haben es verdient und wir hoffen wohl...






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