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2. Brief aus Paris nach Sindelfingen (ca. 1835)

Autor: Klaus Phillippscheck



Hast du bebend auf meinen ersten Brief aus Paris gewartet, Friedrich? Ich denke es war so; und es war mit vollem Recht so. Mein Bruder, ich bin eingetaucht in eine Welt, die mir 24 Stunden am Tag den Kopf schwirren lässt. Entrez, petit Monsieur de Sindelfingen, en un nouveau cosmos des idées. Und also hier mein Rat: Lerne brav weiter dein Englisch und Französisch, du wirst es noch brauchen, ich sage dir dies mit allem Nachdruck voraus. Denn du kannst nicht wissen, wohin dich der Wind der neuen Entwicklungen wehen wird – doch aber wohl hinaus aus dem kleinen Sindelfingen, so wie es mich hinausgeweht hatte.

Ach, kleiner Bruder, wenn ich dir Paris doch einmal zeigen könnte. Die Welt ist hier noch einmal anders, als ich es dir letzthin aus London geschrieben habe. Hier brodelt noch immer alles, aber nicht dumpf, sondern heiß und hell – denn immer noch kocht die Juli-Revolution von 1830 mit ihren Straßenbarricaden in den Köpfen; ich muß dir einen Druck vom Bild „Die Freiheit auf den Barricaden“ von diesem unglaublichen Eugène Delacroix zuschicken, dann weißt du auch, was der deutschen Malerei im Augenblick fehlt. Übrigens treffen hier dauernd Flüchtlinge ein - auch aus Deutschland, auch viele wackere Schwaben; Tausende deutscher Wandergesellen treffen sich hier, voller Stolz und Zorn diskutieren sie abends und nachts in den Localen - und den Nebenzimmern der Locale, wenn ihre Themen politisch gar zu heikel werden. "Bund der Geächteten" nennt sich voller Herausforderung ein Geheimbund.

Es beginnt eine neue Zeit, jeder spürt das hier. Die aus England kommenden Theorien von der Nothwendigkeit einer völlig freien Concurrenzgesellschaft müssen und können überwunden werden. Auch hier in Frankreich, das sich in seinen brutalen Geschäftsmethoden immer mehr den Engländern anzupassen scheint! Also ist die freie Association das Zauberwort der Zukunft, darum wird täglich gerungen.

Und überall, Friedrich, überall trifft man sie beim Debattieren: die ganz Großen, die Genies der socialen und politischen Analysen und der neuen Literatur; ich habe sie alle schon gesehen und gehört, mit eigenen Augen und Ohren, manch einen gar gesprochen; aber Heinrich Heine und Ludwig Börne habe ich noch nicht anzusprechen gewagt, sie sind mir auch fast zu scharf und böß in ihren Urteilen. Getroffen habe ich hier aber Saint-Simon, Blanc, Proudhon und vor allem Charles Fourier, Fourier, Fourier in seiner Rue Jacob 54, wo ich mich jetzt so häufig aufhalte und voller Staunen entdecke...




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