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4. Brief aus Stuttgart nach Amerika (ca. 1860)

Autor: Klaus Phillippscheck



Aus meiner Amerikareise wird im Augenblick nichts, Friedrich. Zwar ist die Sorge um kriegerische Konsequenzen aus der europäischen Politik wahrlich nicht geringer geworden, vor allem wenn ich auf die Preußen schaue – aber im Augenblick ist es leider mein Gesundheitszustand, der mich abhält, dich zu besuchen, oder gar bei euch Brüdern in Amerika zu bleiben. Bitte, Friedrich, deshalb müßt ihr für mich weiter mit Weik in Philadelphia verhandeln. Ich stehe diesen grausamen Finanzproceß fast nicht mehr durch. Ich hoffe nur, daß ich den Kampf gegen meine tiefe Erschöpfung durchstehen kann, es wird hart genug werden.

Margarethe und ich sind jetzt ein wenig einsamer geworden hier in Stuttgart. Die Nachbarschaft unserer Heusteigstraße verwandelt sich täglich; nun ist auch der schöne Weiß´sche Biergarten zerstört und zur Straße gemacht. Theodor ist nach Neapel, also auf den unruhigen italienischen Stiefel abgereist, und wir hoffen, daß das italienische „botte da polvere“ nicht in die Luft fliegt. Würden doch nur die Oesterreicher endlich in Italien helfen – moralisch sind sie – wie wir Deutschen alle – dazu verpflichtet, daß endlich die Italiener aus ihren unverschuldeten, politisch reaktionären Umständen herauskommen, vor allem aus den Klauen der Jesuiten.

Ja, Friedrich, eigentlich schreit alles in Europa danach, endlich einer Einigung näher zu kommen. Denn die außergewöhnlichen, naturwissenschaftlichen Siege über die Materie lassen uns längst von der Möglichkeit einer höheren menschlichen Bildungsstufe träumen; der nimmer ruhende Geist des Menschen hat so viel Außerordentliches geleistet; bald wohl werden wir uns gar in die Luft erheben. Allerdings fragen sich alle Menschenfreunde immer drängender, warum überall die arbeitenden Classen immer noch zur Unwissenheit und Armuth verdammt sind.

Dies müssen wir in Europa überwinden, um in gerechten, sich wirklich christlich nennenden Gesellschaften leben zu können. Wir brauchen die Aufopferungsfähigkeit für Andere; es reicht nicht, in fruchtleerem Glauben in sich selbst zu ruhen. Die thätige Liebe, die offen hinaustritt ins Leben, muß in den Mittelpunkt gestellt werden. Sie muß sich verstehen als Spiegelung der in der Geistwelt ablaufenden göttlichen Processe; denn nur in der innigsten Vereinigung Aller zu einem harmonischen Ganzen liegt die echte Freiheit.

Ach, Friedrich, warum philosophiere ich hier, ich weiß es selbst nicht...




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