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Utopische Gemeinschaften Nordamerikas und Griebs Reise nach New York

Autor: Matthias Kraus

Quelle: Seminarkurs „Christoph Friedrich Grieb“ am Stiftsgymnasium Sindelfingen, Schuljahr 2010/2011

Die berühmte Brook Farm

Bild:: Die berühmte Brook Farm (Abbildung: Wikipedia) - Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern.

Inhaltsverzeichnis der Seminararbeit
  1. Einleitung
    1.1. Eigene Motivation
    1.2.Einführung Christoph Friedrich Grieb
  2. Geschichtlicher Zusammenhang
    2.1. Frühsozialismus im 19. Jahrhundert
        2.1.1. Definitionsversuch Sozialismus
        2.1.2. Definition Frühsozialismus
        2.1.3. Vertreter des Frühsozialismus
    2.2. Charles Fourier
        2.2.1. Das Leben des Charles Fourier
        2.2.2. Die Ideen des Charles Fourier
  3. Was bedeutet Utopie?
    3.1. Definition heute
    3.2. Definition damals (19. Jahrhundert)
    3.3. Utopie und Poesie
  4. Modelle utopischer Gesellschaften
    4.1. Ausreise nach Nordamerika
    4.2. Johann Georg Rapp und „Harmony“
    4.3. Robert Owen und „New Harmony“
    4.4. Die Brook Farm: ein Versuch das Fouriersche Phalansterium umzusetzen
    4.5. Das Bettina-Experiment
    4.6. Die Amana
    4.7. Die Amish
  5. Grieb und Amerika
  6. Persönliche Schlussstellungnahme
  7. Literaturverzeichnis
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3


Auszüge aus dem Text von Matthias Kraus:



4. Modelle utopischer Gesellschaften
Bereits in den alten Religionen Persiens, Chinas und Palästinas gab es die Sehnsucht nach einer vollkommenen Gesellschaft, in der die Güter gerecht verteilt und allen gleichermaßen zugänglich sind. Soziale Unterschiede würden dadurch aufgehoben und niemandem würde etwas mangeln. So verkündet der Prophet Amos im alten Israel: "Das Recht ströme wie Wasser, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach." Im Mittelalter beriefen sich die Bettelorden und Martin Luther auf die utopische Rede Jesu in der Bergpredigt (Matthäus 5). Der junge Luther, die aufrührerischen Bauern im 16. Jahrhundert und radikale Reformatoren wie Thomas Müntzer redeten nicht anders. Die daran anschließenden Bauernaufstände wurden niedergeschlagen, so dass die ersten sozialistischen Massenbewegungen im Boden versunken (www.br-online.de).

Durch die Parolen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der französischen Revolution konnten utopische Ideen in der Gesellschaft im 19. Jahrhundert verstärkt Fuß fassen und rückten in realisierbare Nähe.

4.1. Ausreise nach Nordamerika
Die Verwirklichung idealer Gesellschaften fand v.a. in Nordamerika statt, dem „Land der Freiheit“, das mehr geistigen und auch tatsächlichen Raum für Neues bot. Besonders das als fruchtbar gerühmte Texas mit günstigem Klima war zur damaligen Zeit noch nicht erschlossen und bot sich dafür an. Dazu kamen die religiöse Unfreiheit und v.a. die sehr schwierigen materiellen Lebensbedingungen in Deutschland, die viele Menschen zur Ausreise drängten: „die Verdrängung der Handarbeit durch das Maschinenwesen, die großen, fast periodischen Unfaelle, die den Handel heimsuchen, die zunehmende Verarmung, eine Folge der Uebervoelkerung und des Mangels an Arbeit“ (aus „The History of the German Settlements in Texas“, S. 239). Es wurde 1844 sogar ein Verein gegründet (Verein zum Schutze deutscher Auswanderer in Texas), der die Auswanderer nach Texas in vielfältiger Weise unterstützte.

Im Folgenden gehe ich auf einen begrenzten Teil der Ausreisenden ein, die in Nordamerika ihre utopischen Ideen in konkrete Lebensformen umsetzen wollten und nicht auf die viel zahlreicheren, die ein einfach besseres Leben in einer neuen Heimat anstrebten.

4.2. Johann Georg Rapp und „Harmony“
Der radikal-pietistische ehemalige Leinenweber Johann Georg Rapp aus Iptingen (Württemberg) wanderte 1803 nach Pennsylvania aus. Im Jahr 1804/05 folgten ihm mehrere hundert Anhänger und es entstand die erste Siedlung „Harmony“. Die Harmony Society, die Rapp gegründet hatte und deren Vermögen ausschließlich auf seine Familie eingetragen war, galt als offizieller Bauherr. Dieser Verein gehörte zur Inspirationsbewegung, einer aus dem radikalen Pietismus hervorgegangenen christlichen Freikirche, die neben der Bibel auch vom Heiligen Geist eingegebene Reden als göttliches Wort anerkennt. Die Anhänger lebten in der nahen Erwartung des Tausendjährigen Reiches nach der Wiederkunft Christi (Chiliasmus). Durch mehrere Erdbeben kurz vor der Gründung der Stadt „Harmony“ wurde dieser Glaube stark gefördert und Johann Georg Rapp sagte den Weltuntergang für das Jahr 1836 voraus.

Bis 1814 bestand diese erste Siedlung, als sie für $100.000 an eine lokale Bank verkauft wurde. Johann Georg Rapp zog anschließend mit seinen Anhängern nach Indiana an den Fluss Wabash, wo sie mehr Land bekamen und gründete dort eine neue, größere Siedlung, die ebenso „Harmony“ genannt wurde. Auch diese Stadt wirtschaftete vorbildlich, erbrachte hohe Profite und war am Aufbau des Staates Indiana beteiligt. Weitere 10 Jahre später verkaufte Rapp die Siedlung an den englischen Frühsozialist Robert Owen, der hier seine sozialistische Gesellschaftsvorstellungen Gestalt annehmen lassen wollte (s.u.). Rapp und seine Anhänger siedelten ein weiteres Mal um, zurück nach Pennsylvania, wo sie in der Nähe des ersten Dorfes, ein neues Dorf mit dem Namen „Economy“ gründeten. Dieses besteht heute noch unter dem Namen Ambridge, 18 Meilen nördlich von Pittsburgh.



4.4. Die Brook Farm: ein Versuch das Fouriersche Phalansterium umzusetzen
Im Jahre 1841 startete ein neues sozialutopisches Experiment unter dem Namen Brook Farm (englisch brook = Bach) in Roxbury (heute ein Stadtteil von Boston) in Massachusetts. Die Brook Farm, sie hieß auch „Brook Farm Institute of Agriculture and Education“, wurde als Aktiengesellschaft von George Ripley zusammen mit seiner Frau Sophia und zehn weiteren Mitgliedern gegründet. Es lebten zeitweise bis zu dreißig Menschen auf der Farm und versuchten die Ideen einer idealen säkularen (also offiziell nicht-religiösen) Gemeinschaft zu verwirklichen. Ripley war ursprünglich Prediger der Unitarier und Transzendentalist und wollte in selbstbestimmter, bewusster und natürlicher Lebensführung körperliche mit intellektueller Arbeit stärker verbinden. Jeder sollte sich seine Arbeit seinen Fähigkeiten gemäß aussuchen können und erhielt den gleichen Lohn (auch die Frauen!). Alle wichtigen Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen.

Nach einem arbeitsreichen Tag von acht Stunden im Winter bzw. zehn Stunden im Sommer fanden lebhafte Freizeitvergnügungen wie Musik, Tanz, Scharaden, Diskussionen, dramatischen Lesungen, Schauspielen, Kostümfesten, Picknicks, usw. statt. Der wichtigste und symbolhafteste Brauch war das sogenannte „Symbol of Universal Unity“ (Symbol der universellen Einheit). Dieses Ritual wurde von allen Mitgliedern durchgeführt, indem sie sich an den Händen fassten, diese hoben und dabei den Zielen Gottes und der Menschheit Wahrheit gelobten („vowing truth to the cause of God and Humanity“).

…Neben der Landwirtschaft wurden auch Schulen betrieben, Kleidung hergestellt und eine Zeitung herausgegeben. Dafür übergab Albert Brisbane (1809-1890), dessen Buch „The Social destiny of Man“ (1840) für Ripley eine Offenbarung gewesen war, seine Zeitschrift „The Phalanx“ an die Brook Farm zur Veröffentlichung, ebenso wie John Allen seinen The Social Reformer. Beide Zeitschriften fusionierten 1845 zu The Harbinger (Der Vorbote). „The Harbiger“ wurde zu einem inoffiziellen Magazin der Fourieristen in den USA und Ripley selbst ein bekannter und glühender Verfechter der Ideen von Charles Fourier im Osten Nordamerikas.

Angeregt von Greeley, entschied die Gemeinschaft 1844 sich den Ideen des bekannten Frühsozialist Charles Fourier stärker anzunähern, ihre Gemeinschaft daraufhin umzustrukturieren und ein Phalansterium für vierzehn Familien und auch Einzelpersonen (geplant mit 53 x 12 m) zu bauen. Leider wurden die aufwändigen Gebäude, die nicht versichert gewesen waren, von einem Brand 1846 zerstört. Von diesem finanziellen Schlag konnte sich die Brook Farm nicht mehr erholen. Das Experiment bestand also für lediglich fünf Jahre, heute findet man nur noch Ruinen (Mauerreste) aus der damaligen Zeit.

4.5. Das Bettina-Experiment
Im Jahre 1847 bekam eine Gruppe von vierzig jungen Männern („Die Vierziger“) unter der Leitung von Dr. Ferdinand von Herff die Erlaubnis am Nordufer des Llano Rivers in Texas eine eigenständige, politisch freie, auf den Idealen des jungen Kommunismus basierende Siedlung zu errichten. Es waren mehrheitlich Studenten der Universitäten Heidelberg und Gießen und der Gewerbeschule Darmstadt, die dort nach den Grundsätzen Freundschaft, Freiheit und Gleichheit leben wollten. Sie nannten sich „Bettina“ nach der in den 1840ger Jahren populären liberalen Schriftstellerin Bettina von Arnim (1785-1859). Die meisten der Intellektuellen hatten jedoch nie gelernt zu arbeiten, sondern gingen lieber auf die Jagd oder führten langatmige philosophische Diskussionen, so dass diese utopische Siedlung nur wenige Monate Bestand hatte. Die Siedlung zerfiel und ist heute eine Geisterstadt und Denkmal in Texas. (The History of the German Settlements in Texas, S. 154-157)



5. Grieb und Amerika
Grieb hat früh erkannt, dass die schnellen Veränderungen der Lebenswelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur sozialen Katastrophe zu werden drohten: die industrielle Revolution führte zu verstärkter Armut bei den Arbeitern und Handwerkern, dazu kamen mangelnde Arbeitsmöglichkeiten aufgrund des zunehmenden Bevölkerungswachstums. Vermutlich nach Ende seiner Lehrerausbildung reiste er nach Belgien, England und 1837 nach Frankreich. Uns ist sein Reisepass vom Mai 1837 erhalten, der ihm vom württembergischen Botschafter in Paris ausgestellt wurde.

In Paris, wo in einem intellektuellen Klima des Aufbruchs neue Gesellschaftsmodelle diskutiert wurden, kam er mit den führenden Frühsozialisten in Kontakt, hörte von den Phalansterien, die Charles Fourier als freie Lebens- und Arbeitssiedlungen verwirklichen wollte (entgegen der englischen Ideen der freien Konkurrenz) und war sofort begeistert. Die Idee der freien Liebe und Leidenschaften spielte für ihn keine zentrale Rolle, hingegen schwärmte er für die politische Dimension. Er wird in die „freie Welt“ nach Nordamerika gesandt, um dort eine Phalansterium-Gründung für 50 Familien voranzutreiben und Fouriers Ideen zu propagieren. So schifft er sich 1838 nach New York ein. Dort begegnet er dem Fourieristen Albert Brisbane, der für die Gründung der Brook-Farm (s.o. 4.4.) eine entscheidende Rolle spielte und in dem er sofort einen Verbündeten fand.

Grieb … verhandelte mit dem texanischen Präsidenten. Dabei wurde dieser von Theodore Frontin um landwirtschaftlich bewirtschaftbares Land für etwa 150 Personen angefragt. Da auch Fabriken und Handel aufgebaut werden sollten, sollte das Land an einer Flussmündung liegen (Rio Grande, Nueces oder Colorado). Frontin fragte auch, wie viel Land jedem Siedler gegeben würde und welche Kosten entstünden, um dieses zu überwachen… Diese Anfrage wurde vom texanischen Präsidenten nicht beantwortet. Im Mai 1939 kehrte Grieb unverrichteter Dinge wieder nach Europa zurück und das Projekt verlief im Sand. (The History of the German Settlements in Texas, S. 33-34)

6. Persönliche Schlussstellungnahme
Die intensive Beschäftigung mit der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, seinen Ideen und Wunschvorstellungen, sowie mit Utopien im Allgemeinen, empfand ich als überaus bereichernd und interessant.

Die meisten sozialutopischen Modellvorstellungen, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts versucht wurden in Nordamerika umzusetzen, waren insgesamt von wenig Erfolg gekrönt. Dies lag meines Erachtens v.a. an der geringen ökonomischen Ausrichtung der Projekte und der fehlenden Tatkraft der (meist intellektuellen) Mitglieder, die zwar oft enthusiastisch begannen, an der täglichen Mühe der ungewohnten Arbeit allerdings oftmals scheiterten. Sie schufen aber die Basis für heute noch aktuelle Lebensformen wie die Kommunebewegung.

Interessant fand ich, dass die meisten der stark religiös ausgerichteten Gemeinschaften, die damals begannen, sich behaupteten und bis heute bestehen. Vielleicht lag dies an den starken bindenden Strukturen, die durch die Glaubensgemeinschaften vorgegeben waren.

Für mich persönlich war es auch sehr spannend den Werdegang Griebs zu verfolgen, v.a. den Aspekt, dass er sich aus niedrigsten Verhältnissen einer Kleinstadt wie der meinen durch seinen Wissensdrang und Unbeirrbarkeit in die höheren Bildungsschichten hocharbeitete. Durch seine vielen Reisen kam er in Kontakt mit den führenden Köpfen seiner Zeit, erkannte die Bedeutung deren Vorstellungen und konnte auf gleicher Augenhöhe mitreden. Als Realutopist hat er sich nicht - wie viele seiner Zeitgenossen – darauf beschränkt lediglich theoretische Wunschvorstellungen zu erarbeiten, sondern hat in seinem Bereich der Gesellschaftspolitik stets versucht die aktuellen Ideen praktisch umzusetzen. Dabei ist er zeitlebens seinem Glauben treu geblieben, den er in sein Gedankenmodell eingebaut hatte. Auch wenn er letztendlich nicht sehr erfolgreich in der Umsetzung der Fourier´schen Vorstellungen in Texas gewesen ist, hat er doch immer an dem Ort, an dem er sich befand, versucht den Unterdrückten eine Stimme zu geben. Insofern ist er auch für mich zum Vorbild geworden.
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