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Von den vaterländischen Ideen über den Nationalismus zum Chauvinismus – was fühlt unser Kosmopolit Christoph Friedrich Grieb?

Autor: Dominik Schramm

Quelle: Seminarkurs „Christoph Friedrich Grieb“ am Stiftsgymnasium Sindelfingen, Schuljahr 2010/2011

Inhaltsverzeichnis der Seminararbeit
  1. Vorwort
  2. „Von den vaterländischen Ideen zum Nationalismus und Chauvinismus…“
    2.1. Begriff „Vaterland“
        2.1.1. „Des Deutschen Vaterland“ – E.M.Arndt (1813)
        2.1.2. Begriffserklärung „Vaterland“ heute
    2.2. Begriff „Chauvinismus“
    2.3. Begriff „Nationalismus“
        2.3.1. Historische Entwicklung
        2.3.2. Abschließende Begriffserklärung
    2.4. Deutsch-französische Beziehungen im Zusammenhang mit dem Nationalismus
        2.4.1. Historischer Hintergrund
        2.4.2. „De l’Allemagne“- Madame de Staël
        2.4.3. Meinung der Zeitung „La Phalange“
        2.4.4. Heutige Beziehung
    2.5. Fazit der historischen Hintergründe
  3. ...was fühlt unser Kosmopolit Christoph Friedrich Grieb?“
    3.1. Begriff „Kosmopolit“
        3.1.1. Begriffserklärung
        3.1.2. Warum ist Grieb ein Kosmopolit? – Kurzüberblick über Griebs Leben
    3.2. Griebs Meinung
        3.2.1. Griebs Privatbriefe
        3.2.2. „Abbruch und Neubau“
        3.2.3. „Populäre Gesellschaftsökonomie“
        3.2.4. Vorwort „John Brown“
        3.2.5. Fazit
  4. Schlusswort
  5. Literatur- und Quellenverzeichnis
    5.1. Primärliteratur
    5.2. Sekundärliteratur
  6. Anhang


Auszüge aus dem Text von Dominik Schramm:


2.4.1 Historischer Hintergrund der deutsch-französischen Beziehungen im Zusammenhang mit dem Nationalismus
…Zu Zeiten Ludwigs XIV allerdings wurde Frankreich in Deutschland noch als Vorbild bewundert. Doch seit der Napoleonischen Besatzung begann sich das Feindbild Frankreich in den Köpfen festzusetzen (vgl. 2.3.1. Historische Entwicklung).

In Frankreich wurde Deutschland dagegen eher positiv gesehen, was an dem von Mme. de Staël vermittelten Deutschlandbild (vgl. 2.4.2.) lag. Nach dem Wiener Kongress entwickelte sich zunehmend eine deutsche Identität, die sich unter anderem auch auf einen Frankreichhass stützte (vgl. Prinzip „Partizipation und Aggression“). Mit der Rheinkrise 1840 wurde die Stimmung zunehmend aggressiv, doch nur in den deutschen Staaten kam es zu einem regelrechten Ausbruch an Hass gegenüber dem Nachbarn, in Frankreich wurde lediglich das positive Deutschlandbild korrigiert und man nahm Deutschland nun als „Land mit zwei Gesichtern“ wahr: Zum einen die nationalistische Seite, die bei einer Bedrohung (z.B. Rheinkrise) sehr empfindlich reagiert, zum anderen aber eben immer noch die kulturelle Vielfalt in Deutschland. Der deutsch-französische Krieg brannte das Bild vom „Erbfeind“ in die Köpfe, das dort bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bleiben sollte. Die Diplomatie zwischen Preußen und Frankreich vor dem Krieg 1870/71 beruhte auf gegenseitiger Ablehnung, was es möglich machte, dass ein geringfügiges Ereignis einen Krieg auslöste, der die Feindschaft zwischen den beiden Staaten endgültig besiegelte…

Titelseite des 3. Bands von Madame Staels Buch „De l´Allemagne

Bild: Titelseite des 3. Bands von Madame Staels Buch „De l´Allemagne“ (Abbildung bei Google Books) - Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern.

2.4.2 „De l’Allemagne“- Madame de Staël
1810 stellte die französische Schriftstellerin ihr Buch „De l’Allemagne“ fertig, welches sie nach einer Deutschlandreise mit vielen Begegnungen mit deutschen Dichtern angefertigt hatte. Darin beschreibt sie Deutschland sehr positiv und schafft einen Kontrast zum Frankreich unter Napoleon, das ihrer Meinung nach aufgrund des Zentralismus sehr eintönig ist. Daraufhin ließ dieser das Buch verbieten. Es konnte 1813 allerdings in London erscheinen und kam nach der Regentschaft Napoleons auch nach Frankreich. Mme de Staël stellt Deutschland als vielfältiges, kunstinteressiertes und romantisches Land dar, das sehr an Frieden interessiert ist. Dieses Bild von Deutschland als antimilitaristisches „Land der Dichter und Denker“ prägte das Deutschlandbild der Franzosen für Jahrzehnte.

2.4.3 Meinung der Zeitung „La Phalange“
Die französische Zeitung „La Phalange“, bei der unser Protagonist Christoph Friedrich Grieb Mitarbeiter war, hatte einen sehr großen Einfluss auf die französischen Intellektuellen. Sie war eher international ausgerichtet und nicht allzu sehr dem auch in Frankreich aufkommenden Nationalismus verbunden.

Nach der Rheinkrise von 1840 (vgl. 2.3.1.2.) rechnet die Zeitung mit dem damaligen Regierungschef Thiers ab und klagt über den jämmerlichen Zustand Frankreichs. In der Orientkrise hätten sich die französischen Politiker falsch verhalten, was zu einer Isolation Frankreichs geführt habe („Der Egoismus und die Schwerfälligkeit unserer großen Politiker haben uns aus dem Konzert von Europa ausgeschlossen“). Den Versuch der liberalen und der radikalen Partei, den gekränkten Nationalstolz wieder aufzurichten, indem man nun den Rhein als Westgrenze fordert, bezeichnet die Zeitung als „widersprüchlich“ zu deren eigentlichen Idealen, da sie „nach innen die Freiheit und Brüderlichkeit predigen und Unterwerfung und Absolutismus nach außen“…

2.4.4. Heutige Beziehung
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Alliierten bemüht, die Bundesrepublik Deutschland relativ schnell wieder in die internationale Staatengemeinschaft zu integrieren. Dafür war eine deutsch-französische Aussöhnung essentiell. Bereits 1950 kam der französische Außenminister mit dem Vorschlag zur Gründung der Montanunion auf die Deutschen zu. Richtigen Aufschwung erhielten die Beziehungen mit der Wahl von Charles de Gaulle 1958. Er und der deutsche Bundeskanzler Adenauer verstanden sich sehr gut, sodass 1963 im Pariser Elysee-Palast der Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit unterzeichnet wurde. Dieser beinhaltete regelmäßige Treffen von hochrangigen Vertretern, eine Abstimmung in außenpolitische Fragen sowie die Förderung des Kulturaustauschs zwischen den beiden Ländern. Im darauffolgenden Jahr wird das deutsch-französische Jugendwerk gegründet, eine Organisation, die Schüleraustausche, Sprachreisen oder ähnliches unterstützt. Gerade zwischen den Jugendlichen war ein reger Austausch gewünscht, deswegen hat heutzutage nahezu jedes Gymnasium in den an Frankreich grenzenden Bundesländern eine Partnerschule in Frankreich, mit der regelmäßig Austausche stattfinden. Auch Städtepartnerschaften wurden vermehrt gegründet, so hat zum Beispiel Sindelfingen, meine und Griebs Heimatstadt, seit 1961 eine Partnerschaft mit der französischen Stadt Corbeil-Essonnes. Man sieht, es wurde viel getan, um die Beziehungen zunächst zu normalisieren und vom Bild der „Erbfeindschaft“ loszukommen, sodass mittlerweile eine Freundschaft sowohl auf politischer Ebene, sichtbar an den häufigen Treffen zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, als auch zwischen den Bürgern an sich besteht.



3.1.2. Warum ist Grieb ein Kosmopolit? – Kurzüberblick über Griebs Leben
Christoph Friedrich Grieb kann sehr gut als Kosmopolit bezeichnet werden, zum einen da er in seinem Leben für damalige Verhältnisse wirklich in vielen Ländern gewesen ist, zum anderen weil er auch in internationalen Dimensionen gedacht hat, wie zum Beispiel seine Beteiligung an den utopischen Ideen des Charles Fourier (s. Arbeiten anderer Seminarkursteilnehmer). Ein weiterer Aspekt der „Internationalität“ Griebs ist die Zerstreuung seiner Familie: 3 seiner Brüder gingen nach Amerika, sein Sohn Theodor Friedrich wurde in Paris geboren und ging nach Neapel und ein anderer seiner Söhne, Heinrich Ludwig Oskar, wanderte zuerst nach Frankreich aus und zog dann weiter nach England.

Christoph Friedrich Grieb wurde 1811 in Sindelfingen geboren. Nachdem er ein Lehrerseminar besuchte, ging er um 1835 nach England, wo er sich mit den Lehren des Adam Smith auseinandersetzte. Anschließend zog er nach Paris um, wo er sich für die utopischen Ideen des Charles Fourier begeisterte, was ihn dazu brachte, 1838 nach New York zu reisen, um in Texas eine utopische Gemeinschaft zu gründen. Die 48er Revolution bekam er in Württemberg mit, denn er war spätestens seit 1842 wieder in Sindelfingen, da er seine Heirat aus Paris von 1836 auch in Württemberg legalisieren wollte. Er kandidierte erfolglos für den württembergischen Landtag und starb schließlich am 22. Oktober 1861 in Stuttgart.

...

3.2.1. Griebs Privatbriefe
In dem Brief an seinen Bruder Heinrich und in dem an seinen Sohn Theodor, beide vom 10. April 1859 wird die Einstellung Griebs zum Krieg, aber auch zum Thema Auswanderung deutlich. In den Briefen warnt er vor einem europäischen Krieg in Folge des italienischen Unabhängigkeitskriegs (vgl. S. 9.) und schreibt davon, dann in die USA auswandern zu wollen („Wird in Europa der Krieg ein allgemeiner, so komme ich auf jeden Fall mit meiner Familie nach Amerika“). Europa sieht er, eben aufgrund der vielen Kriege schon als verloren an (Ratschlag an seinen Bruder „werde Amerikaner und laß dich die alte Welt nicht mehr anfechten“.)

Die deutsche Kriegslust verurteilt er scharf und verachtet sie sogar. Falls die Deutschen in Frankreich einfallen wollen, so sollen sie „für (eine) solche Dummheit eine gute Lection“ erhalten. Deutschland bezeichnet er als „Herde ohne Hirt“, er denkt, sie sind unfähig Politik zu machen („Es gibt doch kein dümmeres Volk auf Erden als die Deutschen, sobald sie Politik treiben wollen“). An dieser Unfähigkeit leidet seiner Meinung nach immer nur das Volk. ([…]wenn auch die armen Bestien gehörig geschoren werden!!“). Seine Meinung zur nationalistischen Propaganda ist eindeutig: Er verachtet die „Zeitungslumpen“, die einen „Einfall in Frankreich wollen“ und will sie „französischen Kürassieren überantwortet wissen“…

Abbruch und Neubau

Bild: : „Abbruch und Neubau“ von Christoph Friedrich Grieb, erschienen 1846

3.2.2. „Abbruch und Neubau“
In seinem 1846 erschienen Buch „Abbruch und Neubau“ beschreibt Grieb seine wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Überzeugungen und Ideen. In den für die Fragestellung wichtigen Kapiteln 11 und 23 beschäftigt er sich mit der Frage nach einer deutschen Einheit und der europäischen Außenpolitik.

Zunächst zur Frage nach einer deutschen Einheit und wie sie seiner Meinung nach erreicht werden soll: Er erkennt den Wunsch nach einer deutschen Einheit an, er erachtet ihn sogar als so stark, dass „Nichts im Stande sein wird, ihm zu widerstehen“. Deutschland sei „in sich homogen“, was eine Einheit einfacher mache. Diese Einheit muss aber nicht gewaltsam geschaffen werden, man brauche „keinen gewaltsamen Umsturz, keine Guillotine“… Alles in allem ist er sehr zuversichtlich, was eine Einheit angeht und bringt seine optimistische Haltung mit seinem „Wahlspruch“ zum Ausdruck: „Das goldene Zeitalter liegt vor, nicht hinter uns“.

In Kapitel 23 wird vor allem deutlich, dass Grieb Demokratie will, was er als logische Konsequenz aus den vielen Kriegen, die er abstoßend findet, erachtet („so scheint es mir außer Zweifel, dass die Zukunft der europäischen Welt die Demokratie ist“). Die Regierungen fordert er zu Reformen auf, da deren Macht seiner Meinung nach nur eine „schwache Stütze“ hat, die aus „Kanonen und Bajonetten“ bestehe…Grieb scheint sehr begeistert von Deutschland zu sein, denn anschließend fantasiert er ein bisschen: „Nachdem er (der Deutsche) die inneren Angelegenheiten […] geordnet, nachdem er alle seine Brüder unter ein Banner geschaart haben wird, wird er […] mit Frankreich einen Bund beschließen und die Türkei kolonisiren[…].“ Man sieht, dass Grieb der internationale Frieden und die Verständigung zwischen den Völkern sehr wichtig ist, er aber durchaus auch seinen Nationalstolz für die Deutschen hat. Das neue Deutschland soll militärisch stark sein, aber – ganz in seiner Friedensideologie – niemals angreifen. Seinen Wunsch nach Frieden bekräftigt er mit dem „Wahlspruch“ des neuen Deutschland: „Friede unter allen Völkern! Alles für und durch den friedlichen Fortschritt! Freiheit und Gleichheit für Alle!“ Es ist klar zu erkennen, dass Grieb Chauvinismus gegenüber anderen europäischen Staaten ablehnt…

3.2.3. „Populäre Gesellschaftsökonomie“
In seinem 1848 erschienen Buch „Populäre Gesellschaftsökonomie“ erläutert Grieb seine wirtschaftspolitischen Thesen und Überzeugungen, kommt aber auch auf das Zusammenleben der verschiedenen Völker und auf seine Meinung zum Krieg zu sprechen.

Zum einen sprechen aus Griebs Sicht schon allein die wirtschaftlichen Aspekte gegen einen Krieg. So schreibt er: „Der Krieg kostet in Wirklichkeit immer weit mehr, als die Ausgaben, die er veranlaßt“(S. 235). Unter diese Kosten fallen seiner Meinung nach neben den „materiellen Verluste“ auch die „Verluste an Talenten und Tugenden“, die aus seiner Sicht „nicht trauriger vergeudet werden könnten“(S. 226). Dementsprechend kritisch und ablehnend ist Grieb auch den Soldaten gegenüber, die „die Gesellschaft mit keinem Producte“ bereichern und „auch ohne Nutzen für sich die Frucht fremder Arbeit“ zerstört. Im Folgenden kommt auch wieder die Internationalität Griebs zum Tragen, denn er schreibt, dass „das wahre Interesse einer Nation […] stets auch das aller andern“ ist. Ein Krieg ist mit diesem Grundsatz natürlich unmöglich, da auch das „Interesse der Regierten“ gegen einen Krieg spricht. Aus seiner Sicht gibt es auch keinerlei Rechtfertigung für einen Krieg, schon gar nicht eine nationalistische, denn er ist der Meinung, dass „so oft zwei christliche Nationen mit einander Krieg führen, haben sie beide Unrecht.“



3.2.5. Fazit
Alles in allem zeigt sich Griebs Haltung zu den Entwicklungen im 19. Jahrhundert sehr gut: Er ist gegen jegliche Form von Krieg und befürwortet ein friedliches Zusammenleben aller Völker. Seine Abneigung gegenüber dem Krieg begründet er mit dem wirtschaftlichen Schaden, den ein Land im Kriegsfall durch Zerstörungen und den Verlust an talentierten jungen Männern erleidet. Deswegen müssen die Regierungen der Staaten seiner Meinung nach für den Weltfrieden zusammenarbeiten und das Wohl aller Bürger berücksichtigen. Dabei ist es unerheblich, welche politische oder religiöse Einstellung diese haben, aus welchem Land sie stammen und welche Hautfarbe sie haben. Nationalistische und chauvinistische Bestrebungen widersprechen seinen politischen und gesellschaftlichen Prinzipien… Das Streben nach einem deutschen Nationalstaat teilt Grieb. Er sieht diesen als zwingend an und hat durchaus einen deutschen Nationalstolz. Dieser findet allerdings nicht auf einer nationalistischen Ebene statt.

4. Schlusswort
Da hinter dem jeweiligen Teil der Fragestellung bereits ein separates Fazit gezogen wurde, möchte ich hier nur kurz den Inhalt der Arbeit Revue passieren lassen: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert wird meiner Meinung nach durch die Fragestellung perfekt beschrieben und der Kontrast zu der Meinung unseres Sindelfingers kommt ebenso klar zum Vorschein. Vielmehr geht es mir in diesem Schlusswort darum, noch ein paar Worte über Grieb zu verlieren. Er war meiner Meinung nach ein sehr intelligenter, aufgeschlossener und vor allem weitsichtiger Mann. Er erkannte bereits früh die Gefahr eines Kriegs in Europa und versuchte durch seine Bücher dem entgegenzusteuern. Seine Aufrufe zu mehr Miteinander und auch zu mehr Gleichberechtigung sind zeitlos und demnach immer noch aktuell. Dementsprechend verwunderlich ist es, dass so eine Persönlichkeit sogar in seiner Heimatstadt vergessen wurde.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors
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