zeitreise bb
Sindelfingen>>Geschichte>>Jakob Heinrich Gussmann

Stolz, Kleiderpracht und Üppigkeit - Jakob Heinrich Gussmann (1717-1782)

Ein Sonderfall in der Sindelfinger Geschichte

Quelle: Sindelfinger Jahrbuch 1988

Autor: Eugen Schempp

Foto: Das Haus Stumpengasse 1 kurz vor dem Abriss im Jahre 1975 (Bild: Archiv Sindelfingen)

Bevor sich auch in Sindelfingen die Wertschätzung des alten Stadtkerns durchsetzen konnte, wurden von dem Anwesen Stumpengasse 1 im Jahr 1975 die Scheuer und zwei Jahre später das Wohnhaus abgebrochen. Dieses Anwesen mit einer vermutlich aus dem 16. Jahrhundert stammenden Scheuer und einem auf 1435 datierten Wohnhaus war baugeschichtlich eines der bemerkenswertesten der Sindelfinger Altstadt. ... Der geschlossene Innenhof, dessen nördlichen Abschluss ein malerischer Zwischenbau mit einer Holzgalerie im Oberstock bildetet, war in Sindelfingen ohne Beispiel...

Eine große Zeit kam für das Anwesen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 1749 wird es zur einen, sechs Jahre später auch zur anderen Hälfte von Jakob Heinrich Gußmann erworben; und es bleibt bis 1822 in Gußmann'schen Besitz. Von Gussmanns Vater Christoph Ulrich (1687-1763) ist bekannt, dass er in Sindelfingen Maurer und Zinkenist1* Mägdlein- und Knabenschulmeister war. Der Sohn Jakob Heinrich war Schreinergeselle und dann bis etwa 1749 Proviantkommissar beim Proviantamt des Schwäbischen Kreises. Von 1750 bis 1779 übte er in seiner Heimatstadt Sindelfingen das Amt eines Bürgermeisters aus. Anders als heute entsprach das damals dem des späteren Stadtpflegers und heutigen Kämmerers. Und anders als heute gab es damals zwei Bürgermeister, die jährlich in der Ausübung des Amtes wechselten.

Bild: Portrait des Jakob Heinrich Gussmann (1717-1782) im Sindelfinger Stadtmuseum (Bild: Archiv Sindelfingen)

In dem genannten Zeitraum amtierte also Gussmann 14 Jahr lang; seine Amtsführung gab aber öfter Anlass zur Kritik. Im März 1756 beschwerte sich eine Abordnung von 21 Bürgern über ihn. Darauf gaben Bürgermeister Dinkelacker und der Magistrat in ihrer Beurteilung zu Protokoll, das Gussmann zwar von Natur aus eine gute Vernunft habe, "selbige aber zu allerhand listigen und gottlosen Ränken und Schwänken missbrauche, und zwar zu überhandnehmender Eigennützigkeit und höchst schädlicher Parteilichkeit in allen Amtsverrichtungen. ... zu übermäßigem Stolz, weit über seinen Stand gehender Kleiderpracht, höchst ärgerlicher Üppigkeit in Essen und Trinken ..., zu allerdings unerträglicher Gewalttätigkeit .... so, dass er allen weltlichen und geistlichen Beamten hier und dort, ja fast allen Bürgern bisher zur schweren Last gewesen und deshalb jedermann seiner längst gerne los gewesen wäre".

1774 beschwerte sich der Magistrat darüber, dass Gussmann geäußert habe, 22 vom Magistrat gäben nicht einen halben Bürgermeister, wie er einer sei, und die meisten vom Magistrat seien Esel.

Gußmann war ein "Sonderfall" im damaligen Sindelfingen. Er scheint ein begabter, selbstbewusster, lebenslustiger und in geschäftlichen Dingen geübter Mann gewesen zu sein, der auch zahlreiche Beziehungen nach auswärts unterhielt. Seine Mitbürger bestanden aber überwiegend aus Bauern und kleinen Handwerkern, der Sindelfinger Alltag im großen und ganzen aus körperlicher Arbeit und aus Sparsamkeit. Da musste einer auffallen, der zu Paten seiner Kinder die Regierungsrätin Johanna Katharina Klotz aus Stuttgart und den Oberamtmann Johann Tobias Bloß aus Böblingen bestellte. Noch ungewöhnlicher war es, dass er seine zweite Frau 1777 porträtieren ließ...

Bild: Detail aus der "Gußmann'schen Stube" im Waldenburger Museum für Volkskultur (Aus: Museen im Landkreis Böblingen, Böblingen 1998)

Ein besonders aufwendiges Unternehmen war schließlich der Einbau einer in blauen Tönen bemalten Wandvertäfelung in der etwa 5 x 5,5 Meter großen Stube im Oberstock. Dargestellt sind Personen und verschiedene Szenen, teilweise derben Inhalts. Die Stube befindet sich seit 1989 im Besitz des Waldenbucher Museums für Volkskultur. Bis jetzt liegt kein direkter Beweis vor, dass Gussmann Auftraggeber für diese Stube war. Aber wer sollte es anders sein, nachdem sie nachweislich aus seinem Haus stammt und ihre Datierung um 1760 in Gußmann'sche Besitzzeit fällt. Der Sonderfall einer solchen Stube in Sindelfingen kann nur zum "Sonderfall Gußmann" gehören. ...

1

Stadtpfeiffer. Der Zink(en) war ein vom Mittelalter bis ins 18. Jh. gebräuchliches Blasinstrument

Der Text wurde gekürzt

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Familie Schempp und der Stadt Sindelfingen

Diese Seite drucken
Zum Seitenanfang

www.zeitreise-bb.de