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Sindelfingen: Nationalsozialisten benötigten nur wenige Wochen für die Ausschaltung der gesamten Opposition

Die Machtergreifung verlief reibungslos

Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von 100 Jahren. Röhm Verlag, Sindelfingen 1999, S. 80

Bild: Sindelfingen unterm Hakenkreuz. NS-Beflaggung in der Planie zum „Ja“-Wahl-Sonntag, 19. 8. 1934. (Foto: Privat)

„In dem ehemals so roten und ach so demokratischen Sindelfingen weht die Hakenkreuzfahne vom Rathaus...", formulierte ein nationalsozialistischer Verfasser in einem Artikel der Sindelfinger Zeitung vom 10. März 1933 mit unverhohlener Genugtuung. Der Vorgang zeigt, wie weit die Machtentfaltung der Nationalsozialisten fünf Wochen nach Hitlers Machtübernahme im Reich auch auf lokaler Ebene bereits fortgeschritten war.

Sindelfingen bildete hier keine Ausnahme, obwohl die Stadt bis in die dreißiger Jahre hinein als sozialdemokratische Hochburg gelten konnte. Im letzten frei gewählten Gemeinderat vom Dezember 1931 waren von den 18 Mitgliedern sechs Sozialdemokraten, fünf Demokraten, vier Vertreter der Freien Wählervereinigung, zwei Kommunisten und nur ein Nationalsozialist.

Auch bei den Reichstagswahlen vom 5. März, die die neuen Machthaber anberaumt hatten, schnitten die Nationalsozialisten in Sindelfingen schwach ab. Gegenüber 43,9 Prozent im Reichsdurchschnitt erreichte die NSDAP am Ort nur 33,6 Prozent. Dennoch vollzog sich auch hier die nationalsozialistische Machtübernahme schnell und reibungslos.

Bild: Vom KZ auf dem Heuberg gab es sogar eine Postkarte. (Aus: E. Kläger, Böblingen - Geschichte in Gestalten, Böblingen 2003, S. 451)

Kommunisten auf den Heuberg
Nach der bereits erwähnten Fahnenhissung vom 8. März erfolgten am 17. März die ersten Kommunistenverhaftungen. Insgesamt wurden im Frühjahr 1933 mindestens zwölf Personen aus Sindelfingen festgenommen und meistens im neu eingerichteten Konzentrationslager auf dem Heuberg bei Stetten zum Teil bis zum Herbst in Haft gehalten. Solche Verhaftungen gab es in jeder Gemeinde im Bezirk.

Ebenfalls im März erfolgte auf Erlass des württembergischen Innenministeriums der Ausschluss der kommunistischen Gemeinderäte aus dem Gremium. Dies war aber nur der erste Schritt zur völligen Zerschlagung des Gemeinderats. Mit dem „Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" vom 31. März 1933 wurden die bestehenden Gemeinderäte ebenso wie die Länderparlamente aufgelöst. Eine Neubildung sollte nach dem Wahlergebnis vom 5. März erfolgen, wobei die für die Kommunisten abgegebenen Stimmen keine Berücksichtigung mehr finden durften.

Die verbleibende Zeit bis zur Neukonstituierung des Gemeinderats nutzten die Nationalsozialisten, um ihre politischen Gegner endgültig auszuschalten. Nachdem im März bereits die kommunistischen Verbände und Vereine verboten worden waren, ereilte am 20. April die sozialdemokratischen Vereine das gleiche Schicksal. Damit war auch das Ende der örtlichen SPD vorgezeichnet. Als die Sozialdemokraten am 2I.April ordnungsgemäß eine Mitgliederversammlung anmelden wollten, auf der über Wahlvorschläge für den neuzubildenden Gemeinderat diskutiert werden sollte, teilte der Bürgermeister mit, dass nach Mitteilung des Oberamts Böblingen keinerlei SPD-Versammlungen mehr stattfinden dürften.

Dieses Verbot bedeutete faktisch den Ausschluss der Sozialdemokraten von der bevorstehenden Neubildung des Gemeinderats, so dass der Ortsverein offensichtlich keinerlei Perspektive mehr sah, und Bürgermeister Putzer am 25. April zu Protokoll nahm: „Es erscheint Karl Körner, Eisendreher hier, und bringt vor: Als bisheriger Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, Ortsgruppe Sindelfingen, zeige ich hiermit an, dass sich die Ortsgruppe Sindelfingen der S.P.D. Seit 24. April 1933 aufgelöst hat. Vermögen war bei der Auflösung nicht vorhanden."

Bild: Banalität des Bösen: Vier Zeilen in der SZ am 27. 4. 1933 über das Ende der demokratischen Parteien. (Aus: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von 100 Jahren, Sindelfingen 1999, S. 80)

Schutz der eigenen Mitglieder
Damit kapitulierte der traditionsreiche Sindelfinger Ortsverein bereits zwei Monate vor dem reichsweiten Verbot der Partei am 22. Juni. Die Vermutung liegt nahe, dass die örtliche SPD durch ihre Selbstauflösung ihre Mitglieder vor direkter Verfolgung, wie sie mittlerweile im ganzen Reich stattfand, zu bewahren versuchte. Auch die Demokraten reichten für die Neubildung des Gemeinderats im April keinen Wahlvorschlag mehr ein und waren seit den Märzwahlen auch nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Am 27. April 1933 waren die beiden bisher bestimmenden Parteien der Sindelfinger Kommunalpolitik gerade noch eine Vier-Zeilen-Meldung in der Sindelfinger Zeitung wert: „Wie uns mitgeteilt wird, hat sich die hiesige Sozialdemokratische Partei aufgelöst. Bei der Demokratischen Partei darf angenommen werden, dass diese hier von selbst der Auflösung verfallen ist." Auch von der Freien Wählervereinigung, im letzten Gemeinderat immerhin mit vier Sitzen vertreten, waren im Frühjahr 1933 keine Spuren mehr zu entdecken. Letztendlich wurden für die Neubildung des Gemeinderats nur noch zwei Wahlvorschläge abgegeben: Der gemeinsame Wahlvorschlag der NSDAP mit dem Christlich-Sozialen Volksdienst und der Deutschen Volkspartei, sowie der Wahlvorschlag der Deutschnationalen, die sich zum Zeichen der Abkehr vom Parteienstaat in „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot" umbenannt hatten und in Listenverbindung mit dem Bauern- und Weingärtnerbund kandidierten.

Entsprechend dem Wahlergebnis vom 5. März bekam der Wahlvorschlag der NSDAP im verkleinerten Sindelfinger Gemeinderat elf Sitze zugeteilt, die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot den verbleibenden zwölften. Nachdem auch der seit Mitte 1932 amtierende Bürgermeister Karl Pfitzer im Frühjahr 1933 der NSDAP beigetreten war, war die kommunalpolitische Macht nur drei Monate nach der Regierungsübernahme Hitlers auch im „roten und ach so demokratischen Sindelfingen" ohne nennenswerten Widerstand an die Nationalsozialisten übergegangen.

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

Originalquellen zur Machtergreifung aus dem Sindelfinger Stadtarchiv:
Verordnung zum Schutz von Volk und Staat, 15. 03. 1933
Vermögensbeschlagnahme Reichsbanner, 15. 03. 1933
SPD-Mitgliederversammlung, 21. 04. 1933
SPD-Selbstauflösung, 25. 04. 1933
Fackelzug NSDAP am 22. 3. 1933

Literaturhinweis:
Fritz Heimberger: Geschichte der politischen Parteien in Sindelfingen, Sindelfinger Jahrbuch 1974.
Die Macht-Ergreifung in Sindelfingen 1933, Röhm-Verlag, Sindelfingen 1983.

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