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"Lebendige" Zeugen

Im 17. und 18. Jahrhundert gab es auch "lebendige Zeugen". Bei der Setzung neuer Steine wurden Knaben mitgenommen, die sich die Standorte der Steine merken sollten. Um dies zu erreichen, konnten sie an den Haaren gezogen oder unsanft angefaßt werden und mußten vielleicht sogar leichte Schläge hinnehmen. Gelegentlich stieß man einen der Knaben auch in die für den Stein ausgehobene Grube, bevor er vielleicht ein Geldstück daraus aufheben durfte. Bei Florinus [2] heißt es hierzu: "Man leget auch wohl ein Stücklein Geldes in die Grube, dahin der Marck kommen soll, und überläßt es einem Jungen, dafem er es mit dem Mund aufhebt. Im aufheben aber stößt man ihm das Maul leidentlich auf die Erde."

Dabei sollten die Jungen noch Merksprüche lernen und aufsagen. Einer dieser Sprüche lautete:
"Was ich anjetzt als klein gesehen /
Dabey will ich im Alter stehen /
Und alle Wahrheit zeigen an /
Wann dieser Stein nicht reden kann."
Bei den einmal an vielen Orten üblichen Grenzumgängen gab es ähnliche Bräuche. Die Dorfjugend sollte sich bei den feierlichen Prozessionen entlang der Gemarkungsgrenzen die Standorte der Marksteine einprägen. Das Gedächtnis der jungen Leute mußte dabei nach altem Brauch mit Ohrfeigen, Rippenstößen und anderen unsanften Handlungen gefestigt werden. Die im Anschluß verteilten Brezeln und Würste dürften die Merkfähigkeit dann nochmals verbessert haben.

In der neueren Literatur wird immer wieder behauptet, daß die Untergänger nur ehrenamtlich, also unentgeltlich arbeiteten. Ihrem Ehrenamt entsprechend habe man ihnen das als Auszeichnung anzusehende Essen und den Trunk gereicht. In einer Reihe früherer Vorschriften sind jedoch klare und genaue Angaben über ihre Bezahlung enthalten. So mußten nach der Badischen Landesordnung aus dem Jahre 1715 die Gemeinden den "geschworenen" Untergängern oder Märkern den ortsüblichen Lohn bezahlen.

Aus: Karl-Heinz Hentschel, Grenzzeichen, Untergänger und Geheime Zeugen.


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