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Sindelfingen: Alte Karten – neue Geo-Informationssysteme

Das Liegenschaftskataster zwischen Reißfeder und Mausklick

Quelle: Jahrbuch der Stadt Sindelfingen 1997

Autoren: Baurechts- und Vermessungsamt der Stadt Sindelfingen
Altlasten, Baulasten, Bebauungspläne, Grundschulbezirke, Grundstückswerte, Klimadaten, Landschaftsschutzgebiete, Leitungen, Wahlbezirke, Wasserschutzgebiete .... Es wird geschätzt, daß etwa 80% der kommunal bedeutsamen Daten auf den Grund und Boden bezogen sind, d.h. sie lassen sich einer Adresse, Flurstücksnummer, Baublockseite oder einer sonstigen geographischen Größe zuordnen. Diese Informationen, die bei verschiedenen Nutzern innerhalb der Stadtverwaltung verteilt sind, einen unterschiedlichen Aktualisierungsstand haben und insbesondere auf Papier, aber auch auf verschiedenen anderen Trägern stehen, stellen ein erhebliches Kapital der Stadt Sindelfingen dar. Im Vordergrund steht die Optimierung von Geschäftsabläufen wenn heute praktisch alle Kommunen dabei sind, ihre bisher analog, d.h. in Papierform vorgehaltenen Informationen in eine computergerechte digitale Form zu bringen. Dadurch wird eine völlig neue Qualität der Informationsbeschaffung, Kommunikation und Entscheidungsfindung ermöglicht. Insbesondere ist in Geoinformationssystemen (GIS) eine gemeinsame Verarbeitung von Geometriedaten und Sachdaten möglich.

 „Urkarte

Bild: „Urkarte" von Sindelfingen aus dem Jahr 1831. (Bild: Stadtarchiv Sindelfingen) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Die Urform des Liegenschaftskatasters als der Raumbezugsbasis für Sindelfingen, auf der letztlich die heutigen Informationen fußen, wurde durch die sogenannte „Landesvermessung“ geschaffen. König Wilhelm I. ordnete 1818 im neugeschaffenen Königreich Württemberg als Voraussetzung für eine gerechte Besteuerung, aber auch schon im Hinblick auf die Sicherung der Eigentumsgrenzen, eine vollständige Grunderfassung an. Zuvor gab es in diesem Gebiet 78 kleine Landesherrschaften mit vielfach eigenen Maßeinheiten und eigener Steuerpraxis. Zug um Zug wurde ganz Württemberg mit seinen etwa fünf Millionen Flurstücken vermessen und in über 15.000 Flurkarten festgehalten.

Die Vermessung des heutigen Stadtgebiets von Sindelfingen wurde 1827 begonnen und erfolgte nach den durch die Flurkarteneinteilung vorgegebenen quadratischen Flächen mit einer Seitenlänge von jeweils 4.000 x 4.000 württ. Fuß (1,31 km²). In Sindelfingen waren insgesamt 23 Geometer für die Vermessung, Kartierung und Flächenberechnung eingesetzt. Die Ergebnisse sind im Primärkataster in Buchform sowie in 64 Flurkarten im Maßstab von 1:2500 dargestellt. Seit diesem Zeitpunkt hat das Liegenschaftskataster grundsätzliche Bedeutung für alle Rechtsgeschäfte an Grundstücken. Es enthält als einziges vollständiges Verzeichnis aller Flurstücke den lückenlosen Nachweis der Veränderungen seit der Landesvermessung. Das bebaute Gebiet Sindelfingens, Maichingens und Darmsheims zusammen umfaßte damals rund 33 Hektar, heute sind über 1000 Hektar überbaut. Die Gesamtfläche Sindelfingens beträgt 5085 Hektar.

Historische Vermessungsgeräte

Bild: Historische Vermessungsgeräte, ausgestellt im Sindelfinger Rathaus. (Foto: Klaus Philippscheck) - Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Rechenschieber und Logarithmentafel waren die ersten Hilfsmittel im Vermessungswesen. Erste Fortschritte gab es nach dem Einsatz der Handkurbelmaschinen; das Aufschlagen von Winkelfunktionen und Logarithmen in den Tabellen war aber weiterhin sehr zeitraubend. Geometer waren und sind daher gegenüber neuen Technologien immer aufgeschlossen. Es war das Vermessungsamt, das 1964 eine Vorreiterrolle übernahm und für umfangreiche Vermessungen die EDV nutzte, damals noch beim IBM-Rechenzentrum. Die Daten wurden auf Lochkarten erfaßt. Klar, daß zwischen dem Aufstellen der Rechenabläufe bis zum endgültigen Ergebnis viel Zeit verging. Heute arbeitet das Vermessungsamt mit einem Server mit 64 Megabyte Hauptspeicher und 2 Gigabyte Festplatte an insgesamt 8 grafischen Arbeitsplätzen. Hinzu kommen noch 3 Arbeitsplätze in anderen Ämtern.

Für die vorbeugende unterirdische Sicherung der Grenzen gab es früher die sogenannten „Untergänger“, eine gemeinderätliche Kommission, die aus besonders vertrauenswürdigen und auf Stillschweigen vereidigten Personen bestand. Beim Setzen der Grenzsteine wurden in die ausgehobene Grube nach geheimem Ritual „stumme Zeugen“, nämlich unverwesliche Beigaben, wie etwa Münzen, zerschlagene Ziegelbrocken, Kohlen oder Glasscherben gelegt. Mit Hilfe dieser Zeichen konnte das „Untergangsgericht" bei späteren Grenzstreitigkeiten den ursprünglichen Standort des Steins rekonstruieren und Recht sprechen. Es ist überliefert, daß auf Fälschung von Grundstücksgrenzen einmal die Todesstrafe stand. Die Verzeugung von Grenzsteinen war im ganzen süddeutschen Raum und darüber hinaus üblich. Später traten an die Stelle der genannten Merkzeichen extra angefertigte Zeugen aus Ton oder Lehm mit Inschrift oder Wappen.

Tönerne Zeugen

Bild: Tönerne "Zeugen" in Dreieck- und Kegelform: Darmsheim, Ehningen, Sindelfingen (Foto: Böttiger/Philippscheck) - Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Heute werden Grenzpunkte durch verprobte Einmessung - in der Regel mit selbstregistrierenden elektrooptischen Meßinstrumenten - immer auf sogenannte Vermessungspunkte bezogen. Die Maßzahlen und Koordinaten sind im Liegenschaftskataster dokumentiert. Kommen Zweifel an der richtigen Lage eines vorhandenen Grenzzeichens auf, oder wurde ein solches entfernt, so kann es aufgrund dieser Maßzahlen geprüft oder wiederhergestellt werden. Alle Meßdaten werden weitestgehend digital erfaßt, so daß der Datenfluß von der Aufnahme bis zur Kartierung bzw. Übernahme in ein raumbezogenes Informationssystem realisiert ist.

Beim Baurechts- und Vermessungsamt ist zur Zeit das sogenannte integrierte Liegenschaftskataster im Testbetrieb. Das seit 170 Jahren analog geführte Kataster wird in digitale Form überführt und bildet damit als „Raumbezugsbasis“ die Grundlage für sämtliche Kommunaldaten mit Raumbezug. Es besteht aus dem automatisierten Liegenschaftsbuch und der digitalen Liegenschaftskarte. Das Liegenschaftsbuch enthält Flurstücksdaten und Bestandsdaten mit Eigentümerangaben; der erhebliche Datenumfang über die rund 21.000 Grundstücke im gesamten Stadtgebiet wurde in den Jahren 1988 bis 1991 erfaßt. Die digitale Liegenschaftskarte wird beim Vermessungsamt seit 1995 aufgestellt; bisher (Stand Ende 1997) ist rund die Hälfte des Stadtgebiets erfaßt. Innerhalb eines Jahres wird allein das Liegenschaftsbuch rund 8.000 mal abgefragt.

Das anspruchsvolle Ziel ist, den verschiedenen Nutzern innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung über ein Geoinformationssystem als multifunktionale Datenbasis einen schnellen Zugriff auf aktuelle Daten zu verschaffen um damit die eingangs erwähnte neue Qualität bei der jeweiligen Aufgabenstellung zu realisieren. Dabei sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt, denn die mit Geometriedaten zu verknüpfenden „Sachdaten“ können selbstverständlich auch abgescannte Dokumente oder Bilder, Diagramme, Videosequenzen oder sogar Sounddateien sein. Konkretes Beispiel: Durch Mausklick auf sogenannte „points of interest“ (öffentliche Einrichtungen, Sehenswürdigkeiten usw.) in einem Stadtplan könnten - evtl. über Internet - beliebige Informationen abgefragt werden wie zum Beispiel Öffnungszeiten,Veranstaltungsprogramm, Eintrittspreise und noch vieles mehr.

Mit freundlicher Genehmigung des Baurechts- und Vermessungsamts der Stadt Sindelfingen

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