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Sindelfingens Weberei Dinkelaker

Quelle: Denkmale in der Nachbarschaft - gesehen und besucht im Kreis Böblingen. Röhm Verlag Sindelfingen 1990

Autor: Klaus Philippscheck

Foto: Das Haus Leonberger Straße 2 - ehemalige Weberei Dinkelaker

Viel Aufregung hatte in Sindelfingen die Entscheidung des Landesdenkmalamtes verursacht: Das Jugendhaus in der Leonberger Straße sei ein Denkmal - kein architektonisches zwar, aber ein kulturelles, das für die Wirtschaftsgeschichte Sindelfingens erhebliche Bedeutung habe. Aus diesem Grund lohnt es sich, der bewegten Geschichte dieses Hauses nachzugehen.

Sie beginnt 1832, zu einem Zeitpunkt, als Sindelfingen noch ein kleines, aber reges Handwerker- und Bauernstädtchen war. Die mühsame Leineweberei war hier stark vertreten: Ein paar erste Weber hatten mit der neuen Baumwollweberei begonnen, waren damit auch ganz erfolgreich. Dass zu diesem Zeitpunkt beschlossen worden war, die Türme und Mauern der Stadtbefestigung abzubrechen, passt ins Bild einer langsamen, aber deutlichen Veränderung.

Nutzloser Klotz
Genau in diesen Jahren grassierte die Cholera, und auch Sindelfingen musste ein Krankenhaus bauen. Eilig wurde im äußeren Klostergarten ein großes Gebäude aufgebaut, das der kleinen Stadt aber bald wie ein nutzloser Klotz am Bein hing - denn die Epidemie war ausgeblieben. So ging man auf die Suche nach einem Käufer, von dem man die Bausumme von 8500 Gulden fordern wollte, um wenigstens 8000 realisieren zu können. Das gelang zwar nicht, aber als Käufer gewann die Stadt zwei relativ junge, aber doch veritable Stuttgarter Fabrikanten.

Alfred Haid (dessen Familie wohl aus der Schweiz kam) und der aus einer begüterten Kaufmannsfamilie stammende Carl Spring wollten eine Seiden-Manufaktur gründen. Das wurde damals vom Königreich Württemberg massiv unterstützt, denn man wollte nicht so viel für den Import dieser teuren Ware ausgeben. Haid & Spring werden italienische Seide verarbeitet haben, um auf etwa 50 Handwebstühlen ihre Stoffe für Kleider und Schirmzeuge zu produzieren.

Feinere Muster
Das machten sie so erfolgreich, dass ihre Sindelfinger Manufaktur bald zu den größten und stabilen württembergischen "Seiden-Etablissements" gehörte. Schon sehr bald wurden bei ihnen auch die neuartigen, komplizierten Jacquard-Webstühle aufgestellt, mit denen feinere Muster schnell produziert werden konnten.

Für das kleine Sindelfingen muss diese Fabrik, die mit einer Reihe von auswärts gekommenen Spezialisten arbeitete und die keinen Zunftregeln unterworfen war, etwas ganz Aufsehenerregendes gewesen sein. Mit ihr war eine neue Zeit angebrochen - mit neuen Arbeitsweisen und neuen Regeln, mit neuen Märkten und einem neuen, guten Gewerbesteuerzahler.

Zwei große Websäle befanden sich im Erdgeschoss dieses Gebäudes, das nach außen nicht den Eindruck einer typischen Fabrik macht. Aber die Handwerberei verlangte keine so funktionell gestalteten Bauten wie die erst viel später nach Sindelfingen kommende mechanische Weberei.

Wieder Krankenhaus
1850 war zwar mittlerweile jeder achte hiesige Webstuhl ein Seidenwebstuhl, aber dies war auch die Zeit der großen wirtschaftlichen und politischen Krise Württembergs. Auch Haid & Spring kamen nach langer Prosperität in Schwierigkeiten. 1858 musste die Stadt das Gebäude gar zurückkaufen: Es wurde wieder als Krankenhaus reaktiviert. Das Haus war aber sehr groß, und so fanden sogar zwei "Irrenlokale" Platz. Und da immer noch Räume frei waren, vermietete man einige an Textil-Kleinfabrikanten.

Bald suchte man wieder einen neuen Käufer: Ein Piquéwaren-Fabrikant Gräßle war nach kurzer Zeit "entwichen" - unter Hinterlassenschaft von immerhin 42 Jacquard-Webstühlen und einer dänischen Dogge. Der ehemalige Werkführer von Haid & Spring, der Hanauer Conrad Dörr, hatte gekündigt, weil seine Seidenstoffe nicht verkäuflich seien, wenn die Kunden hörten, dass sie in einem Krankenhaus gewebt wären. So wurde das Haus wieder an zwei Auswärtige verkauft - zu einem bescheidenen Preis, denn die beiden drückten den Preis, indem sie drohten, sonst nach Böblingen zu gehen.

Wizemann und Schlegel heißen die beiden. Knaebel, Kazenwadel und Sandel sind weitere Namen von Textilfabrikanten, die in den 60er und 70er Jahren das Haus besaßen und so zeigen, dass die "wilden Zeiten" der Industrialisierung auch Sindelfingen erreicht hatten.

Bekannte Namen
Sandel prosperierte eine Weile, baute die Fabrik erheblich aus - und ging pleite. Als Käufer tauchte nun 1885 ein Name auf, den viele Sindelfinger im Zusammenhang mit dieser Fabrikanlage noch kennen: Wilhelm Christian Dinkelaker. Er kauft für 31 500 Mark alles auf - das Haus und seine Einrichtung. Das sind sechs Websäle mit 42 Jacquard-Webstühlen und eine "Belétage" mit zwölf Zimmern und zwei Küchen.

Bild: Von der Weberei Dinkelaker, wie sie in einer alten "Werbebroschüre" dargestellt wird, ist nur noch das rechte Gebäude erhalten geblieben (Archiv Sindelfingen) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Dinkelaker steuert das Unternehmen über die Krise von 1890, als die USA mit hohen Zöllen ihren Markt sperren, und beginnt bald zu mechanisieren. Denn die leinenen Tischdecken und die baumwollenen Tapisseriestoffe sind im In- und Ausland begehrt. Und während die meisten kleinen Sindelfinger Handweberei-Fabriken jetzt schließen, vergrößert der energiegeladene Dinkelaker weiter und bildet mit Zweigart & Sawitzki und IC Leibfried das berühmte Trio der Sindelfinger Jacquard-Weberei.

Die klassischen Fabrikgebäude im äußeren Klostergarten werden nach dem Verkauf des gesamten Areals an die Stadt 1961 abgerissen. Heute steht nur noch die "Keimzelle" dieser ersten Fabrik und erinnert an Sindelfingens große Weberzeit.
Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung und des Autors

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