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Jeremias Friedrich Gülich in Sindelfingen

Ein schwäbischer Pionier der Färbe-Technik und seine Beziehung zu Goethe

Quelle: "Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten" 3/1954

Autor: Helmuth Maier

Bild: Goethe - Schattenriss aus dem Jahre 1774 (Bild: Landesmedienzentrum BW/Stuttgart)

In seinen "Materialien zur Geschichte der Farbenlehre" schreibt Goethe über Jeremias Gülich:

"Dieser Mann, welcher zu Sindelfingen bei Stuttgart ansässig und zuletzt im Badenischen angestellt war, dessen Lebensgang wohl mehr verdiente bekannt zu sein, war in seinem Handwerk, in seiner Halbkunst, wie man es nennen will, soviel wir ihn beurteilen können, wohl zu Hause. Alle Erfordernisse bei der Färberei, sowohl insofern sie vorbereitend als ausführend und vollendend gedacht werden, lagen ihm zur Hand, sowie die verschiedensten Anwendungen, welche man von Farben technisch auf alle Arten von Zeugen und Stoffen nach und nach ersonnen hat. Bei der großen Breite, bei dem genauen Detail seiner Kenntnisse, sah er sich nach einem Leitfaden um, an welchem er sich durch das Labyrinth der Natur- und Kunsterscheinungen durchwinden könnte. Da er aber weder gelehrte noch philosophische noch literarische Bildung hatte, so wurde es seinem übrigens tüchtigen Charakter sehr schwer, wo nicht unmöglich, sich überall zurechtzufinden.

Er sah wohl ein, dass bei allem Verfahren des Färbers nur sehr einfache Maximen zum Grunde lagen, die sich aber unter einem Wust von einzelnen Rezepten und zufälligen Behandlungen verbargen und kaum gefasst werden konnten.

Dass mit einer klugen Anwendung von Säuren und Alkalien viel, ja beinah alles getan sei, ward ihm klar, und bei dem Drange zum Allgemeinen, den er in sich fühlte, wollte er dem Material seines Geschäfts und dessen Anwendung nicht allein, sondern zugleich der ganzen Natur einen ebenso einfachen Gegensatz zum Grunde legen. Deshalb wurden ihm Feuer und Wasser die zwei Hauptelemente. Jenem gesellte er die Säuren, diesem die Alkalien zu. In jenem wollte er zugleich die hochrote, in diesem die blaue Farbe finden, und hiermit war seine Theorie abgeschlossen; das übrige sollte sich hieraus entwickeln und ergeben.

Da die eminentesten und beständigsten Farben aus den Metallen hervorzubringen waren, so schenkte er auch diesen vorzügliche Aufmerksamkeit und eine besondere Ehrfurcht. Dem Feuer, den Säuren, dem Hochroten soll Gold und Eisen dem Wasser, den Alkalien, dem Blauen soll vorzüglich Kupfer antworten und gemäß sein; und überall, wo man diese Farben Ende, soll etwas, wo nicht gerade wirklich Metallisches, doch dem Metallischen nahe Verwandtes und Analoges angetroffen werden.

Man sieht leicht, dass diese Vorstellungsart sehr beschränkt ist und bei der Anwendung oft genug unbequem werden muss. Weil jedoch seine Erfahrung sehr sicher und stet, seine Kunstbehandlung meisterhaft ist, so kommen bei dieser seltsamen Terminologie Verhältnisse zur Sprache, an die man sonst nicht gedacht hätte, und er muss die Phänomene selbst recht deutlich machen, damit sie vielseitig werden und er ihnen durch seine wunderliche Theorie etwas abgewinnen kann. Uns wenigstens hat es geschienen, dass eine Umarbeitung dieses Buchs, nach einer freiern theoretischen Ansicht, von mannigfaltigem Nutzen sein müsste.

Da, wie der Titel seines Buches ausweist, die erste Sorge des Färbers, die Farblosigkeit und Reinigkeit der Stoffe, auf welche er wirken will, ihm niemals aus den Augen gekommen; da er die Mittel sorgfältig angibt, wie solchen Stoffen alle Farbe und Unreinigkeit zu entziehen: so muss ihm freilich der Newtonische siebenfarbige Schmutz, so wie bei seiner einfachern Ansicht, die siebenfache Gesellschaft der Grundfarben höchst zuwider sein; deswegen er sich auch gegen die Newtonische Lehre sehr verdrießlich und unfreundlich gebärdet.

Mit den Chemikern seiner Zeit, Meyer, Justi und andern, verträgt er sich mehr oder weniger. Das acidum pingue des ersten ist ihm nicht ganz zuwider; mit dem zweiten steht er in mancherlei Differenz. So ist er auch in dem, was zu seiner Zeit über die Färbekunst geschrieben worden und was man sonst über die Farbenlehre geäußert, nicht unbekannt.

Soviel sei genug, das Andenken eines Mannes aufzufrischen, der ein laborioses und ernstes Leben geführt und dem es nicht allein darum zu tun war, für sich und die Seinigen zu wirken und zu schaffen, sondern der auch dasjenige, was er erfahren, und wie er sich's zurecht gelegt, andern zu Nutz und Bequemlichkeit emsig mitteilen wollte."

Bild: Titelseite des 1. Bandes von Jeremias Friedrich Gülichs „Vollständigem Färbe- und Bleichbuch“. (Foto: Landesbibliothek Stuttgart) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

In einem Brief an seinen Verleger Cotta vom 4. Januar 1810 bat Goethe diesen, ihm möglichst rasch Nachricht über den Lebensgang des Verfassers des "Vollständigen Färbe- und Bleichbuches"1* zu senden, "dieses bedeutenden Technikers, dessen ich im historischen Teil meiner chromatischen Arbeit (Farbenlehre) rühmlich zu erwähnen habe." Cotta hat damals nichts näheres über Gülich in Erfahrung bringen können. Dass Goethe selbst Kenntnis von Gülich und seinem Wirken bekam, mag wohl damit zusammenhängen, dass er im Winter 1779 der Hohen Carlsschule auf der Solitude bei einer Preisverleihung seinen Besuch abgestattet hatte.

Wer war der Verfasser dieses von Goethe so eingehend besprochenen und günstig beurteilen Werkes?
Gülich ist 1733 in Cannstatt als Sohn des Chirurgen Georg Marx Gülich geboren. Sein Großvater war zunächst Regimentsfeldscher2*, dann Hirschwirt in Uhingen; die weitere Herkunft der Familie liegt noch im Dunkeln. Über Jeremias Gülich ist bezüglich seiner Jugend- und Lehrjahre nichts Sicheres bekannt; er scheint in verschiedenen Färbereien, so in Cannstatt, Heilbronn und um 1776 Neuenbürg, sich die ersten praktischern Kenntnisse verschafft zu haben, die ihn dazu bewogen, seine Gedanken und Verbesserungsvorschläge über die Färbetechnik in dem erwähnten Buche niederzulegen. Das umfangreiche sechsbändige Werk ist in Sindelfingen wohl in den Jahre 1776-78 niedergeschrieben worden und ab 1779 in Ulm im Druck erschienen.

Nach Sindelfingen hatte Gülich sich im Mai 1776 verheiratet mit der Kronenwirtstochter Christina Hübner aus Schwaigern; ein Sohn, Heinrich Gottlieb, ist im November 1778 hier geboren. Seine schriftstellerische Leistung dürfte der Anlass für Herzog Karl Eugen gewesen sein, Gülich als Web- und Färbermeister an sein 1779 gegründetes Militärwaisenhaus nach Ludwigsburg zu berufen, in dem die Jungen in ihren Freistunden mit Spinnen von Baumwolle, die Mädchen mit Stricken und Spinnen von Baumwolle und Flachs beschäftigt wurden. Baumwollene Hals- und Taschentücher, sowie feine Strümpfe waren die Erzeugnisse dieser jungen Industrie, die bei anfänglich guten Erfolgen nach des Herzogs Wunsch schließlich das ganze Waisenhaus von der herzoglichen Schatulle unabhängig machen sollte!

Diese Hoffnung erfüllte sich freilich nicht und die ganze Anstalt wurde 1792 wieder aufgehoben. Inzwischen hatte Gülich aber 1785 eine eigene Baumwollspinnerei eröffnet, doch schon im folgenden Jahr siedelte er nach Pforzheim über als Faktor und offenbar später auch Teilhaber der dortigen Tuchfabrik. Hier veröffentlichte er 1786 eine Anweisung zur Färberei auf Schafwolle und 1800 eine "Genau Anweisung zur Manchaster- Pique-, Mousselin- und Cashmir-Druckerei". 1807 ist sein Gesamtwerk über Farbentechnik in zweiter Auflage erschienen. Seine Vielseitigkeit als Schriftsteller zeigt Gülich durch zwei weitere Veröffentlichungen aus dem Jahre 1777, nämlich eine Abhandlung über Ebbe und Flut und eine technische Studie über "das Mittelding zwischen Einfach und Zusammengesetzt", beides in Haugs Schwäbischem Magazin.

Die "Privilegierte Woll- und Tuchfabrik" Pforzheim, die bisher Zeuge3* und Strümpfe hergestellt hatte, ging 1801 auf Gülichs gleichnamigen Sohn über, der sich mit Samuel L. Finkenstein assoziierte und sich nun ausschließlich auf Tuche für das großherzogliche Militär, sowie feine Tuche und Cashmirstoffe verlegte, daneben aber auch einen Handel mit Wolle, Salpeter und Schießpulver betrieb. Der Vater Gülich aber scheint seinen Lebensabend in Augsburg verbracht zu haben, wo er wohl an der dortigen Tuchfabrik zumindest finanziell beteiligt war. Im September 1803 ist er gestorben.

Waren nun in Gülichs reichbewegtem Leben die Jahre, die ihn mit Sindelfingen verbanden, auch nur kurz, so waren es doch die entscheidenden und für die Entwicklung der Färberei bedeutsamsten Jahre, die ihn in geistige Verbindung mit einem Goethe gebracht haben. Schon diese Tatsache mag es rechtfertigen, dass wir uns heute mit diesem Mitbürger Sindelfingens befassen.

1

Jeremias Friedrich Gülich: Vollständiges Färbe- und Blaichbuch etc. etc. Sechs Bände. Ulm, 1779 bis 1793

2

Militärarzt

3

Zeuge/Zeuglen: einfache, bäuerliche Baumwollstoffe, manchmal auch als Gemisch mit Wolle

Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V.

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