zeitreise bb
Merklingen>>Karl Gangloff

Das kurze Leben des Zeichners Karl Gangloff

Quelle: Berichte und Mitteilungen des Heimatvereins Weil der Stadt, Nr. 1, 1984

Autor: Wolfgang Schütz
Karl Gangloff

Bild: „Bildnis Carl Wilhelm Gangloff mit Eichenlaubkranz“ von Carl Wagner (Bild: Staatsgalerie Stuttgart/Graphische Sammlung)

Auf Neujahr 1810 war der neue Amtsschreiber Friedrich Karl Gangloff in Merklingen „aufgezogen" und hatte sich mit seiner Frau Jakobine Wilhelmine und dem zwanzigjährigen Sohn in der Amtsschreiberei eingerichtet. Das alte Haus in der Kirchgrabenstraße steht heute noch, mitten in einem verwilderten Garten, später hatte es als Brauerei gedient. Bei der großen staatlichen Flurbereinigung von Napoleons Gnaden hatte man drei Jahre zuvor das Kameralamt Merklingen errichtet, zu dessen Schreiber Gangloff ernannt worden war. (...)

Der Sohn ging dem Vater als Gehilfe zur Hand. Das Beamtentum hatte Tradition in der Familie. Man hörte es ihnen gleich an, dass sie nicht von hier waren. Ihr Schwäbisch klang anders. Der Sohn vor allem redete wie ein waschechter Allgäuer. Am 17. Mai 1790 war er in der Reichsstadt Leutkirch zur Welt gekommen ... . Hier wuchs der Knabe Karl heran, „durch Grämlichkeit oder Pedanterey unverhindert", ging zur Schule im evangelischen Schulhaus. (...)

Naturtalent mit Phantasie
Irgendwann muss es aufgefallen sein, dass er ganz allerliebst mit dem Zeichenstift umzugehen verstand. In der Registratur gab es genug Papier und allerlei Schreibgerät. Angeleitet hatte ihn keiner aus der Familie, das war einfach Natur. Man verwunderte sich, wie treffend er da so allerlei Zeug und Leut abzeichnete. Eine Phantasie hatte das Büble! Kaum war eine Figur aufs Papier geworfen, die letzten Striche fehlten noch, da begann er schon mit einer neuen und griff schon zu den Farben, um die unvollendeten Bildchen zu kolorieren, was „ihm nicht lebhaft und bunt genug werden konnte". Schon damals, so erzählte er später selbst, habe eine Ahnung der Herrlichkeit der Kunst, und besonders „der Malerey, in seiner Seele" gelegen. Die Welt, die er sah, war bunt und sinnenfroh. Neue Eindrücke stürmten auf ihn ein, als die Familie Leutkirch verließ und zunächst ins „große lebens- und gestaltenreiche Augsburg" und bald darauf ins württembergische Unterland, nach Weinsberg zog. Der Vater war dort Amtspfleger geworden. (...)

Siegfrieds Leiche

Bild: Kriemhild und Hagen an Siegfrieds Leiche“, aus Gangloffs Illustrationen zum Nibelungenlied), 1812. (Bild: Museum im Bock/Leutkirch) – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Das Haus des Oheims1* wurde zum Nährboden und Sauerteig seines Talents. Nicht nur, dass der Geschäftsmann Mayer selbst, im Gegensatz zu Gangloffs Eltern, für alles Künstlerische aufgeschlossen war, er hatte auch drei kunstsinnige Söhne „von guten, lebhaften Gemüthern", mit denen Karl eine enge und treue Freundschaft schloss. Gemeinsames Zeichnen und Malen, gemeinsame Lektüre nahmen einen besonderen Platz in den Spielen der Knaben ein. Die damals üppig sprießenden schauerlich-schönen Ritterromane hatten es ihnen angetan: man spielte romantisches Mittelalter nach. (...)

Literatur als Inspirationsquelle
Gangloff ließ sich aber nicht den Schneid abkaufen, als ihn sein Vater zum Beruf eines Schreibers bestimmte. Neben seiner federfuchsenden und tintenklecksenden Tätigkeit blieb ihm nämlich Muße genug, sein Talent in der Stille weiterzubilden. Nicht vom vorgefundenen Bild, sondern von dem die Einbildungskraft lösenden Wort ließ er sich inspirieren. Er las Homer. Er zeichnete Homers Helden. Achill an der Leiche des Patroklus, Achill im Streit mit Agamemnon, Achill schleift die Leiche Hektors.

Karl Gangloff

Bild: „Bildnis Carl Wilhelm Gangloff“, 1813, Bleistiftzeichnung von Carl Wagner. (Bild: Staatsgalerie Stuttgart/Graphische Sammlung)

Er fühlt sich ein in die vergangenen Zeiten, er wählt nur Sujets, die das Gefühl ansprechen, er zeigt auch im Umgang mit den Freunden, wie er fühlt. Ein junger sympathischer Mann, eine „schlanke und interessante Gestalt", lässig bis nachlässig, am typischsten in der Pose des Beobachters, kein Kind von Traurigkeit. Er wird sicherer im Zeichnen. (...) Gangloff als Wanderer auf den schwäbischen Straßen: dort trifft er seine Modelle, die Soldaten, die Bauern, das Liebespaar, die wandernde Judenfamilie, und hält sie in seinem Skizzenheft fest. In Heilbronn, wo er seine Skribentenlehre fortsetzt, lernt er einen richtigen Künstler kennen, den Karikaturenzeichner Faber. Er bewundert ihn, er freut sich wie ein Schneekönig, als er von Faber zu öfteren Besuchen eingeladen wird.

Trübe Aussichten in Merklingen
Das Gefühl zerknirschen - das galt es wiederum, als der Vater die „ungleich besser und einträglicher" dotierte Amtsschreiberstelle in Merklingen annahm. Denn: „Daß wir aus der hiesigen Gegend kommen, ist mir nicht recht." Aber: „Merklingen ist nur 5 Stunden von Stuttgart entfernt." ... Nach sechs Wochen im neuen Wirkungskreis: trübe Aussichten! „Was meine jetzige Lage betrifft, ... so ist sie an Geistesgenuß und Nahrung verdammt seicht." Und was ihm besonders nahe geht: „Keine Lecture, keine Leute im ganzen Umkreis, die Sinn für Kunst hätten, und daher auch nichts zu sehen als Schattenrisse ...“. Er taxiert die Eingeborenen dann wenigstens nach ihrem künstlerischen Gebrauchswert und kommt zu dem Ergebnis: „Es giebt auch einige interessante Visagen hier und in der Gegend." Mit feinem Bleistift fügt er die Porträtskizzen - fast möchte man sagen: Karikaturen - von drei dieser „Visagen" in den Brief ein.

Brief - Detail

Bild: Ausschnitt aus dem Brief von Karl Gangloff an Louis Mayer, 1810 (Bild: Deutsches Literaturarchiv Marbach) - – Für den gesamten Ausschnitt klicken Sie bitte in das Bild

In der Merklinger Schreibstuben Luft wächst seine Sehnsucht, ganz der Kunst zu leben. Die Freunde (darunter Uhland), werden es seinen lebhaften Briefen entnommen haben, und auch ihnen lag es am Herzen, den Begabten zu fördern. ... "Wie sehr wünschte ich, seine neuen Zeichnungen zu sehen!" Uhlands Wunsch ist umso begreiflicher, wenn man weiß, dass Gangloff daran ging, das Nibelungenlied zu illustrieren. Fast eine groteske Vorstellung: im bäuerlichen Merklingen von 1812 sitzt ein junger Mensch in seiner Kammer und liest im Nibelungenlied, zu Tränen gerührt, wie beim ersten Vorlesen der Szene, wo Volker von Alzey am Hunnenhofe seine Herren mit der Fiedel in den letzten Schlaf spielt. Wie soll man es nennen? Rückzug aus den „zwangvollen, widerwärtigen Lagen und Verhältnisse" der Gegenwart. Eine unter vielen Stimmen aus dem deutschen Bürgertum, das sich die Sehnsucht nach politischer Tat für das Gemeinwohl in seinen poetischen Träumen, im rückwärtsgewandten Mythos, in der düsteren Schönheit der alten Heroenwelt ersatzweise erfüllt.

Erste künstlerische Erfolge
Die Freunde bereiten ihm den Weg in die Öffentlichkeit. Auf der Stuttgarter Kunstausstellung ist er mit einer Arbeit vertreten. Wieder ist der Tod sein Thema, die Totenfeier des Patroklus. Hier sieht er auch zum ersten Mal Gemälde von alten und neuen Meistern. Zwar wird er in Cottas Morgenblatt für gebildete Stände lobend erwähnt, König Friedrich geruht, günstig gestimmt zu sein, aber der Erfolg bleibt aus. Erste Versuche, von der bloßen Umrisszeichnung wegzukommen und mit Schattierungen zu arbeiten, gehen auf das Stuttgarter Kunsterlebnis zurück.

Dann kommt die romantische Spätsommerreise mit Karl Mayer und dem Heilbronner Medailleur und Silberwarenfabrikanten Peter Bruckmann. Sie reisen nach Heidelberg, ins Heidelberg der Romantiker. Vielleicht mehr noch als Schloss und Landschaft hat die drei Kunstfreunde die Gemäldesammlung der Brüder Boisserée2* angezogen. Die beiden jungen Kölner waren die ersten großen Sammler der altdeutschen und altniederländischen Malerei des Mittelalters. Die junge romantische Bewegung entdeckte hier die Kunst der Gotik für sich. ... Aber Gangloff hat auch eigene Arbeiten im Reisegepäck, die man nun den großen Kunstkennern vorlegt. Sie sind beeindruckt und spüren sein Talent. Ihr Urteil hat Gewicht. Die Freunde sind überzeugter denn je von der Notwendigkeit, den „traurigen Aussichten" seiner Berufsmisere ein Ende zu machen und ihm eine solide Kunstausbildung zukommen zu lassen. Die Boisserées geben zu verstehen, sie würden Gangloff aus eigenen Mitteln unterstützen. (...)

Jetzt kommt es zunächst einmal darauf an, für den jungen Mann Kost und Logis zu finden, und Boisserée denkt da vor allem an Dannecker3* in Stuttgart. ... Ein Gesuch an den König verfehlte zwar seine Wirkung. Die Majestät ließ sich nur zu einem aufmunternden Weiter-so! bewegen. Dann trat einer auf den Plan, dessen Großmut schon manches Mal in die Bresche gesprungen war: der Verleger Cotta in Tübingen. Er hatte beschlossen, den jungen Künstler zu unterstützen. Und so brach Gangloff im Februar 1813 nach der dreijährigen Merklinger Episode nach Stuttgart auf, um bei Dannecker das Kunststudium zu beginnen.

Kunststudium bei Dannecker
Der Schluss ist schnell erzählt. Betrachtet man den frischen Duktus der Porträtminiaturen in jenem Brief an Louis Mayer, wie er mit wenigen Strichen die dargestellten „Visagen" charakterisiert, so nimmt es einen nicht wunder, dass Gangloff schon bald unter Danneckers Lehrmethoden zu leiden beginnt. Er will nach der Natur zeichnen. Aber Dannecker nimmt ihn an die klassizistische Kandare und lässt ihn in seinem Haus Gipsabgüsse antiker Statuen kopieren. Der Meister untersagt ihm, eigene Kompositionen zu zeichnen. Gangloff hält es nicht mehr aus und gibt den Unterricht bei Dannecker auf. Freunde stehen ihm Modell. Er wirft sich auf die großen Kompositionen: die Olympischen Spiele, figurenreich, nackte Körper. Die Geldzuwendungen der Gönner hören auf. Wieder fühlt er das Widersprechende seiner Existenz, den Freiheitsdrang, dem eigenen Genius zu folgen, bedrängt durch Selbstvorwürfe, das Vertrauen Danneckers und seiner Freunde missbraucht zu haben. Er findet Gleichgesinnte in Stuttgart, talentiert wie er. Er findet wohl auch ein Mädchen, aber er findet keine Ruhe.

Im Oktober 1813 wird Napoleon in der Leipziger Völkerschlacht besiegt. Jemand inspiriert Gangloff, eine Hermannsschlacht zu zeichnen, Symbol des romantischen Patriotismus. Ineinander verkeilte Körper, sterbende Krieger entstehen auf den Skizzenblättern, großformatig, oft mehrere Entwurfschichten übereinander. Schließlich nochmals ein biblisches Thema: Abraham, das Land der Verheißung erblickend, als letztes Werk Gangloffs wie geschaffen für symbolschwere Ausdeutungen. (...)

Früher Tod und dichterisches Nachleben
Das Ende kennen wir. Die Mutter holt den Kranken heim in die Merklinger Amtsschreiberei. Nervöses Fieber, Alteration des Gemüts, so nannte man das. An einem Sonntagabend im Mai 1814 ist er gestorben. Die Freunde drängte es, das Andenken Gangloffs zu bewahren, jeder auf seine Art. Einige Blätter wurden in London lithographiert. Uhland schrieb an Karl Mayer: „Wenn es mir möglich wäre, Gangloffs überall zerstreute, zum Theil fruchtlos verschleuderte Zeichnungen wieder zu sammeln !" Die Graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart bewahrt fünfzig Blätter von Gangloff auf. Die einzigen öffentlich ausgestellten Werke befinden sich im Leutkircher Heimatmuseum. (...)

Die Dichterfreunde Kerner und Uhland griffen zur Feder. Mayer schrieb einen Nekrolog, der aber erst 1822 in Cottas Kunstblatt erschien. Unmittelbar unter dem Eindruck von Gangloffs Tod schrieb Ludwig Uhland drei Sonette. Es fällt uns heute schwer, Uhlands Gedankengängen von Heldentod und „schönem Sterben", von mystisch-mythischem Todeslocken ohne Widerstreben zu folgen. ... Auch aus Justinus Kerners „Totenopfer für Karl Gangloff" klingt die patriotische Aufgeregtheit der Befreiungskriege unüberhörbar.

"Kein schwererer Schlag hätte die schwäbische Kunst zu Anfang dieses Jahrhunderts treffen können, als der frühzeitige Tod von Karl Gangloff.". So urteilte einige Jahrzehnte später August Wintterlin in seinem Buch über die württembergischen Maler. Der frühe Tod großer Talente verleitet einen immer wieder zu jenen spekulativen Gedankenspielen, in denen man sich Alternativen zum realen Lauf der Geschichte ausmalt. Was wäre aus ihm geworden?

Der alte Gangloff und seine Frau verließen schon zwei Jahre nach dem Tod ihres letzten Kindes Merklingen. Das war im Hungerjahr 1816. Im Kirchenbuch ist es vermerkt: "weggezogen nach Weil der Stadt." Aber dort verliert sich die Spur der Familie. In Merklingen hat man den Namen Gangloff längst vergessen. Karl Gangloffs Grab ist verschwunden unterm Grasgespinst des alten Friedhofs. (...)

1

Altertümliche Bezeichnung für Onkel

2

Sulpiz (1783-1854) und Melchior (1786-1851) Boisserée. Die Gemäldesammlung der Brüder wurde von 1810-1819 im Heidelberger Palais Sickingen ausgestellt.

3

Johann Heinrich von Dannecker (1758 – 1841) schwäbischer Bildhauer, bedeutender Vertreter des Klassizismus in Deutschland.

Der Text wurde gekürzt.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Heimatvereins Weil der Stadt.

Für die Abbildungen bedanken wir uns bei der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und dem „Museum im Bock“, Leutkirch.

Das Heft 1/1984 der Berichte und Mitteilungen des Heimatvereins Weil der Stadt mit dem ungekürzten Text von Wolfgang Schütz kann im Stadtarchiv Weil der Stadt eingesehen und erworben werden.

Literaturhinweis:
Margarete Rustige, „Zur Lebensgeschichte des Malers Karl Gangloff“, in: Württ. Vierteljahreshefte für Landesgeschichte, 3. und 4. Heft, 1931.

Auf Karl Gangloffs Tod - Gedicht von Ludwig Uhland

Diese Seite drucken
Zum Seitenanfang

www.zeitreise-bb.de