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Quelle: Berichte und Mitteilungen des Heimatvereins Weil der Stadt, 47. Jahrgang 1998, S. 2-3 Autor: Wolfgang Schütz | ||||
Bild: Darstellung des Stadtbrandes von 1648 im Stadtmuseum von Weil der Stadt (Aus: Museen im Landkreis Böblingen, Böblingen 1998) Vielleicht war es Pater Friedrich von Lichtenstein gewesen, dem an jenem Frühherbsttag des Jahres 1648 als erstem das laute Gezwitscher auffiel. Ein ganzes Geschwader völlig unbekannter Vögel, buntscheckig und taubengroß, war im Kapuzinergarten gelandet. Viele hatten es genau gesehen: Urplötzlich waren die seltsamen Vögel aufgetaucht, hatten zuerst das Augustinerkloster, dann die kleine Holzbehausung der Kapuzinermönche umrundet, bevor sie sich singend und schwatzend in deren Garten niederließen, um sich bald darauf wieder in die Lüfte zu erheben und auf Nimmerwiedersehen in herbstlichen Weiten zu verschwinden.Eigentlich hätten die Bedachtsameren in Weil das böse Omen erkennen müssen. Hieß es denn nicht: Fremde Vögel sind Vorboten fremden Kriegsvolks! Aber wen konnten fremde Soldaten noch beeindrucken? Waren sie nicht, seit der lange Krieg schließlich auch den deutschen Südwesten in seinen Würgegriff genommen hatte, Jahr für Jahr im Bannkreis der Stadt erschienen? Zuerst die Schweden, dann die Kaiserlichen, die Franzosen unter Turenne hatten die Stadt beschossen, mussten aber wieder unverrichteter Dinge abziehen. Die Kroaten hatten Heimsheim gebrandschatzt. Die marodierende internationale Soldateska hatte das Leonberger Oberamt jahrelang bis aufs Blut ausgesaugt. Aus dem Religionskrieg war längst ein Machtkrieg geworden. Katholiken schlugen auf Katholiken ein. Protestanten plünderten Protestanten aus. Seuchen und Hunger hatten die Dörfer entvölkert. Im einst 600 Seelen großen Merklingen lebten gerade noch 150 Menschen. 1635 hatte in Weil einen Sommer lang die Pest gewütet und ein gutes Drittel der Einwohner war wie die Fliegen dahingerafft worden. War es da verwunderlich, dass niemand die rätselhaften Vögel als Vorzeichen eines noch größeren Unheils deutete? Der Friede, der keiner war Im Mai hatte es bei Zusmarshausen im Augsburgischen noch ein größeres Gefecht gegeben, das letzte des Krieges. In unserer Gegend waren wieder einmal französische Truppen gesichtet worden, deren Ziel es war, Kriegsgelder einzutreiben, und vor ein paar Wochen hatten kaiserliche Reiter einen schwedischen Kornett samt vier Reitern aus dem Gasthof Krone geholt. Sonst war es aber in letzter Zeit verhältnismäßig ruhig gewesen. Der Krieg, der nun schon ins dreißigste Jahr gekommen war, stand, so hörte man, unmittelbar vor dem Ende. Bereits seit vier Jahren verhandelten die kaiserlichen Gesandten mit den Franzosen zu Münster in Westfalen und in Osnabrück mit den Schweden. Seit Ende September war der Friede praktisch unter Dach und Fach. Die endgültige Unterzeichnung verzögerte sich allerdings noch, weil die kaiserliche Kanzlei das schriftliche Einverständnis des Kaisers verschlüsselt nach Münster geschickt hatte und dem kaiserlichen Deputierten der Code der Depesche nicht bekannt war. Eine Verzögerung, die für Weil fatale Folgen haben sollte. Diese aufregenden Neuigkeiten waren bei den schlechten Kommunikationsmöglichkeiten der damaligen Zeit natürlich nicht bis zu den noch unter Waffen stehenden Heeren durchgedrungen und erst recht nicht bis nach Weil. Hier hatten die Bürger der katholischen Reichsstadt wieder einmal, wie schon so oft in diesem Krieg, die ihnen abverlangten Gelder zusammengekratzt, um die Kontributionsforderungen der katholischen Franzosen erfüllen zu können. Aber die kaiserliche Besatzung, die in der Stadt lag, bestehend aus einer Reitereskadron und einem Infanterieregiment, setzte wohl alles daran zu verhindern, dass die Weiler Bürger das ganze schöne Geld den Franzosen jetzt noch schnell in den Rachen werfen, wo man es sich doch ohnehin nach dem Friedensschluss selbst würde unter den Nagel reißen können. Wir wissen nicht, ob und wie lange gefeilscht und geschachert wurde. Jedenfalls scheint den Franzosen der Geduldsfaden bald gerissen zu sein, und so erschienen sie am 11. Oktober - von ihren Garnisonen zu Heilbronn, Philippsburg und Speyer kommend - vor Weil, um die Stadt zu belagern. Der Versuch schlug jedoch fehl und so zogen sie wieder ab. Bild: Ansichten von Weil der Stadt vor dem Stadtbrand sind leider keine bekannt. Dieser Stich entstand um 1740 und erschien bei J. Chr. Leopold in Augsburg. Ein Exemplar befindet sich im Stadtmuseum Weil der Stadt. (Foto: Wolfgang Schütz) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern Der schwärzeste Tag in Weils GeschichteEine Woche später, am 18. Oktober, kreuzten sie erneut auf und dieses Mal mit schwerem Geschütz. Befehlshaber der Truppen war der Kommandant von Heilbronn, Louis de Marens, Comte de Varennes, Oberstleutnant des 37. Infanterieregiments, der schon 1644 als Regimentskommandeur an der Schlacht um Freiburg teilgenommen hatte. Die Weiler hatten ja bislang alle Belagerungen, Eroberungen und Einquartierungen leidlich gut überstanden und hofften nun wohl, auch dieses Mal wieder ihre Haut retten zu können. Man entschloss sich daher zur Verteidigung. Der Kapuzinerchronist ist sich nicht ganz sicher, ob die kaiserliche Truppe von den Bürgern zur Verteidigung "bewogen oder gezwungen" wurde. Varennes stellte seine "Stück und Feuermörsel" am Hang des Waldenbergs auf und begann am 19. Oktober mit dem Beschuss der Stadtmauer. Als eine Bresche in die Mauer geschossen war, rüsteten sich die französischen Füsiliere mit ihren modernen Steinschlossgewehren zum Sturm. Gleichzeitig ließ Varennes zahlreiche feurige Geschosse aus den Mörsern in die Stadt schleudern. Eines fiel in einen Stall. Das dort gelagerte Heu und Stroh fing sofort Feuer. In Windeseile breiteten sich die Flammen aus. Die Bürger sahen, dass sie der Situation nicht mehr gewachsen waren, und begannen mit den Franzosen zu verhandeln. Man versuchte eine Abmachung zu treffen, so viele Franzosen einzulassen, wie den Brand löschen könnten. Während man verhandelte, griff das Feuer auf immer mehr Häuser der Stadt über. Die Feinde hatten inzwischen Leitern herbeigeschafft und drangen auf der anderen Seite, beim Wendelstor, in die Stadt ein. Jeder Bewaffnete, der ihnen in die Quere kam, wurde erschlagen. Bald stand die gesamte Kernstadt mit Ausnahme der Renninger Vorstadt in Flammen. Wahrscheinlich durch den Herbstwind angefacht, entwickelte sich ein regelrechter Feuersturm, der auch die Pfarrkirche und das Rathaus zerstörte. So stark war die Hitze, dass die Kirchenglocken schmolzen. Einmal abgesehen von den stattlichen Bürgerhäusern, den Kunstschätzen und der reichen Pfarrbibliothek, die an diesem Schicksalstag untergingen, schmerzt uns heute vor allem auch der Verlust des Stadtarchivs, mit dem gewissermaßen das Gedächtnis der Stadt ausgelöscht wurde. Fast das ganze Wissen über das reichsstädtische Leben in den bewegten Jahrhunderten vor dem Stadtbrand ist damit unwiderbringlich verloren gegangen. Nach Aussage des Stadtschreibers Schwarz seien einzelne Aktenstücke, die der Sturm emporgewirbelt hatte, im schwarzen Rauch davongeflogen und zwischen Althengstett und Calw aufgefunden worden. Marodeure und Mirakel Den Eroberern lag nichts ferner als beim Löschen zu helfen, sie dachten ausschließlich ans Beutemachen. So schildert die Kapuzinerchronik das schreckliche Szenario: "Sie ziehen sogar noch Bürger, die halbnackt zwischen Waffen und Feuer eingeschlossen sind, vollends aus. Was das Feuer nicht wegraffte, nahmen die Franzosen, und was die Elenden dem Feuer entrissen hatten, entrissen ihnen nun die Franzosen," Nach dem Zeugnis der Augustinerchronik soll die Plünderung vier Stunden gedauert haben. "Auch unserm Kloster ist nit ein Bröcklein Brod und Schmalz übrig geblieben. Die württembergischen Bauern haben den größten Schadten gethan. Dieser Brandt ist so erbermlich und erschröcklich, ja auch tirannisch und unchristlich gewesen: wenn die Türken dazumal dabei gewesen, sie hätten nit ärger und unchristlicher handeln können." Alles Vieh wurde weggetrieben. Die kaiserliche Besatzung wurde in den feindlichen Kriegsdienst gezwungen, was den Betroffenen jedoch keine allzu großen patriotischen Gewissensnöte bereitet haben dürfte, da die Heere ja bunt zusammengewürfelte Haufen von Söldnern waren. Was mögen dagegen die beiden Bürgermeister Hans Michael Grein und Sebastian Lutz an Angst ausgestanden haben, als Varennes sie als Geiseln nach Heilbronn verschleppte! Gegen ein fettes Lösegeld von 160 Gulden setzte man sie später wieder auf freien Fuß.
Bild: Diese Marienstatue ist der Überlieferung nach die "weinende Madonna" aus dem Kapuzinerkloster. Sie befindet sich in Weil der Städter Privatbesitz. Die folgende Nacht - der Chronist bezeichnet sie als "die allertrauervollste" in der Stadtgeschichte - verbrachten die Bürger unter freiem Himmel auf dem Friedhof vor der Stadt. Als der neue Tag anbrach, bot sich ihnen ein Bild des Jammers: rauchende Trümmer, verkohltes Gebälk, über allem der beizende Brandgeruch. Viele der Obdachlosen verließen die trostlose Stätte und suchten Zuflucht in Sindelfingen und anderswo. Ein Ende mit Schrecken Vier Tage später wurde - Ironie der Geschichte - der Westfälische Friede feierlich unterzeichnet. In Münster schossen 70 Kanonen Salut, und die Glocken läuteten den "güldnen Frieden" ein. Die Glocken von Weil waren jedoch verstummt. Die unmittelbaren Folgen des Unglücks waren unabsehbar. Alles in allem hatte der Dreißigjährige Krieg die kleine Reichsstadt nicht weniger als eine halbe Million Gulden gekostet. Um die in Münster vereinbarten Zahlungen für die Abdankung der schwedischen Armee leisten zu können, musste die Stadt den Ihinger Hof für läppische 5500 Gulden an einen württembergischen Adligen verschleudern. Zu allem Übel kamen schließlich noch die Merklinger und forderten die Zahlung von 5400 Gulden rückständiger Grundsteuer, welche die Weiler für ihre Güter auf Merklinger Markung nicht bezahlt hatten. Der daraus entstandene Rechtsstreit, der in die Lokalgeschichte eingegangene "Merklinger Kollektationsstreit", dauerte sage und schreibe 85 Jahre! So lange durfte keine Weiler Kuh mehr Merklinger Gras fressen, und 1735 wurden die Weiler schließlich doch zur Kasse gebeten. Die vordringlichste Aufgabe war natürlich der Wiederaufbau der öffentlichen und privaten Gebäude, der sich jedoch über Jahrzehnte hinzog. Erst nach 17 Jahren konnte das Rathaus wieder bezogen werden, der neue Hochaltar der Pfarrkirche wurde erst 52 Jahre nach dem Brand geweiht. Viele Wohnhäuser waren noch um 1800 nur notdürftig ausgebaut. Die Bevölkerung war verarmt. Zwei Bürger zogen für die Stadt mit einem privilegierten Bettelbrief durch die Lande. Der einst im Würmtal so beliebte Spottvers "Bettelsack von Weil der Stadt hat kein' Bröckel Brot im Sack" hat wohl seine Wurzeln in dieser Zeit. Erst 1689 bekam das vom Reichstag zur "ruinierten und depauperierten" Stadt erklärte Weil wieder eine Stadtverfassung - gerade rechtzeitig zum Beginn des Pfälzer Kriegs (Mélac lässt grüßen!) mit seinen neuen Einquartierungen, Schutzgeldforderungen und Plünderungen. Schrecken ohne Ende? Der Stadtbrand und die Furcht vor den Franzosen saß den Weil der Städtern noch lange in den Knochen. Ängstlich schickte man zwecks Früherkennung feindlicher Truppenbewegungen immer wieder Kundschafter an den Rhein oder machte nach der Revolution von 1789 den französisch sprechenden Straßburger Notar Johann Baptist Reifsteck zum Bürgermeister. Übrigens wäre es wohl nur ein kleiner Trost für die Weil der Städter gewesen, wenn sie erfahren hätten, dass auch der Übeltäter Varennes zehn Jahre nach der Weiler Katastrophe seine pulvergeschwärzte Seele in der Dünenschlacht bei Dünkirchen aushauchen musste. Erst 1945 fanden manche in Weil wieder ihren Glauben an die ausgleichende Gerechtigkeit der Geschichte, als der französische Offizier François de Chasteigner durch sein humanitäres Engagement die Stadt Keplers vor einem zweiten Untergang bewahrte. Heute wären wir natürlich dank CNN und Internet rechtzeitig vom Friedensschluss in Münster teleinformiert worden, die Merklinger hätten beim Löschen geholfen, die Friedensgelder hätte man in Euro bezahlt und der Bürgermeister wäre samt Ratskollegium zum Friedensbankett mit choucroute, Spickling und ökumenischem Tischgebet in die Partnerstadt Riquewihr gereist. Wenn wir aber einen nachdenklichen Seitenblick auf den Kosovo, auf Nordirland oder die Westbank werfen, so rücken der Oktober 1648 und der Oktober 1998 nach wie vor erschreckend eng zusammen. Marlene Dietrichs Frage ist immer noch unbeantwortet: When will they ever learn? | ||||
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Heimatverein Weil der Stadt Stadt Weil der Stadt Diese Seite drucken |
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