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Das Haslacher Sühnekreuz

Steinernes Zeugnis mittelalterlicher Rechtspraxis

Quelle: Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser ... - Kleindenkmale in Baden-Württemberg. Herausgegeben vom Schwäbischen Heimatbund, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2000, S. 107 – 110

Autoren: Dieter Kapff/Reinhard Wolf

Bild: Tief im Boden versunken und mit Gras bewachsen - das rund 500 Jahre alte Sühnekreuz am Haslacher Weg bei Herrenberg. (Aus: Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser ... - Kleindenkmale in Baden-Württemberg. Stuttgart 2000, S. 107)

Am Haslacher Weg, an der alten Markungsgrenze zwischen Herrenberg und Haslach, stößt der Spaziergänger auf ein steinernes Kreuz, das tief in der Erde steckt. Es ist noch einen halber Meter hoch und hat knapp 30 Zentimeter lange Arme. Ein Grabkreuz? Liegt hier jemand beerdigt? Nein, es ist eine Sühnekreuz, das schon rund 500 Jahre auf dem Buckel hat.

Das schon deutlich verwitterte Kleindenkmal erinnert an Lebensumstände, die uns heute fremd sind. Es ist Ausdruck von Vorurteilen und Problemen und lässt erkennen, wie Streitfälle damals nicht juristisch, sondern pragmatisch gelöst wurden. Hier, an der Gemarkungsgrenze, sollen sich, volkstümlicher Überlieferung zufolge, zwei Schäfer um Weideland für ihre Herden gestritten haben. Der Streit wurde so heftig geführt, dass am Ende beide tot auf der Strecke blieben.

Schäfer waren in der bäuerlich-handwerklich geprägten Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit gesellschaftliche Außenseiter. Sie lebten unstet und draußen in der Natur und fühlten sich an die Verhaltensnormen der Dörfler oder gar Städter nicht gebunden. Ob es freilich zwei Schäfer waren, die hier den Tod fanden, oder ganz andere Personen, von denen einer den anderen erschlagen hat, kann niemand sicher sagen. Nur dass dem Opfer ein Sühnestein gesetzt wurde, ist augenscheinlich.

Sühnevertrag statt Blutrache - Totschlagsühne im Spiegel von Herrenberger Archivalien
In Herrenberger Archivalien sind aus dem 15. Jahrhundert drei Fälle von Totschlagsühne überliefert. Wenn einer einen Mitmenschen getötet hatte, so kam es meist zu Blutrache und privater Vergeltung des Unrechts durch die Hinterbliebenen des Opfers. Im Mittelalter herrschte das Faustrecht. Das führte dann zu endlosen Familienfehden, denn die staatliche Strafverfolgung war entweder unwirksam oder gar unerwünscht. Um den für die Dorfgemeinschaft nötigen Rechtsfrieden wiederherzustellen, unterstützte die Kirche den Abschluss eines Frieden stiftenden Sühnevertrages, den beide Parteien miteinander aushandelten. Solch ein Sühnevertrag sah eine finanzielle Entschädigung der Hinterbliebenen vor, der Täter musste auch Gebühren an weltliche und kirchliche Vermittler entrichten. Zu den Sühneleistungen gehörte auch das Seelgerät, also Opfer und Stiftungen für das Seelenheil des Getöteten. So mussten regelmäßig mehrere Messen gelesen werden, für die der Täter ebenso aufzukommen hatte wie für umfangreiche Wachsspenden. Er bezahlte ferner die Aufstellung eines steinernen Sühnekreuzes in der Nähe des Tatorts, zu dem dann Opfer- und Täterfamilie versöhnlich in feierlicher Bußprozession zogen. Der Kirche ging es also nicht nur um die seelsorgerische Belange, sie war an der sühnevertraglichen Friedenstiftung auch aus materiellen Gründen interessiert. In einem erhaltenen Sühnevertrag von 1474 aus Herrenberg ist festgelegt, dass der Übeltäter „zu trost und Heyl des erslagen sele in der Marck Heremberg ... ein steinin Crutz“ setzen muss. Wegen der besseren Öffentlichkeitswirkung „verlegt“ man den Ort des Verbrechens gern an einen Weg oder eine Straße, wo die Vorüberkommenden das Sühnekreuz besser sehen und sich an die Geschichte erinnern konnten.

Bild: Sühnekreuz mit Pflugschar – eingelassen in die Mauer des alten Friedhofes in Waldenbuch.

Sühnekreuze als Orientierungspunkte
Eine Inschrift auf dem Kreuz war nicht erforderlich, denn die einfache Bevölkerung hätte sie damals gar nicht lesen können. Allenfalls sind religiöse Symbole oder Ornamente in den Stein eingeritzt. Vor allem aber findet man typisches Gerät, das wohl auf den Beruf des Opfers hinweisen soll.

Doch nur ein Drittel der Sühnekreuze trägt solche Symbole, ein Fünftel gar nur eine Jahreszahl, und noch seltener sind Inschriften. Die Steinkreuze nahm man gerne als Orientierungspunkte und nannte die Flur danach: Beim Kreuz, Kreuzstein, Kreuzäcker. Die hohe Zeit, Sühnekreuze zu setzen, war das 15. und 16. Jahrhundert, als dieser Brauch gängig, ja alltäglich war. Die ältesten Kreuze für Mord und Totschlag dürften aber schon 300 Jahre früher errichtet worden sein .Die Datierung ist freilich schwierig und unsicher. Gewisse stilistische Kriterien werden dazu herangezogen, denn offenbar gab es Formvorschriften („Landesbrauch“), die sich von Zeit zu Zeit änderten.

Neuzeitliches Rechtsverständnis und Ende des Sühnekreuz-Brauches
Das Schließen eines Sühnevertrags und das Setzen eines steinernen Kreuzes, das altem germanischem Rechtsdenken eher entsprach als dem zeitgenössischen moderneren römischen Recht, ist von den Beteiligten einem obrigkeitlichen Gerichtsverfahren oftmals vorgezogen worden. Erst allmählich hat sich das römische Recht, das von gelehrten Juristen angewandt wurde, gegenüber dem althergebrachten germanischen durchgesetzt. Die Constitutio Criminalis Carolina Kaiser Karls V. von 1532 betonte den Strafanspruch des Staates gegenüber dem traditionellen Sühnevertragsverfahren. Doch war dieses in Württemberg noch nach 1621 zulässig.

Auch die Reformation drängte das Sühneverfahren zurück. Die ausgefeilten katholischen Sühnezeremonien wurden verworfen. Doch der Brauch, Sühnekreuze zu setzen, blieb auch in protestantischen Gegenden lebendig.

Bild: Der Forstknechtstein im Wald von Kuppingen erinnert an den gewaltsamen Tod des Jakob Seibold. Der Forstknecht ist in den 20er Jahren des 17. Jahrhunderts an einem 2. August von einem Wilderer angeschossen worden - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Der Dreißigjährige Krieg, der die Bevölkerung dezimierte, ließ die Erinnerung schwinden. Der Grund für das Sühnekreuz und die Tatumstände gerieten vielfach in Vergessenheit. Man sah in dem Steinkreuz nun oftmals das Grabkreuz eines Soldaten aus dem Dreißigjährigen Krieg. In Oberschwaben verbanden sich die schlimmen Erinnerungen an den verheerenden Krieg besonders mit den Soldaten des Schwedenkönigs. Dort hießen die alten Sühnesteine daher „Schwedenkreuz“. In Baden findet man das „Franzosenkreuz“ und das „Russenkreuz“. Entsprechende Sagen knüpfen sich an die Steine.

Im 17. bis 19. Jahrhundert, als der Staat die Rechtspflege besser in die Hand nahm, sind keine Sühnekreuze mehr gestiftet worden. Nunmehr setzte man Gedenkkreuze, die an einen tödlichen Unfall oder an einen Totschlag (wenn ein Wilderer einen Forstmann erschoss) erinnern sollten. Im Kuppinger Wald gibt es aus dem frühen 17. Jahrhundert solch einen „Forstknechtstein“. ...

Mit freundlicher Genehmigung der Autoren und der Konrad Theiss Verlag GmbH Stuttgart

Literaturhinweise:

Dieter Kapff/Reinhard Wolf
Steinkreuze, Grenzsteine, Wegweiser ...
Kleindenkmale in Baden-Württemberg
Herausgegeben vom Schwäbischen Heimatbund, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2000
176 Seiten mit ca. 200 meist farbigen Abbildungen ISBN 3 8062 1460 3

Walter Gerblich
1200 Jahre Haslach
Geschichte eines schwäbischen Dorfes im Oberen Gäu
Hrsg.: Stadtverwaltung Herrenberg, Herrenberg 1976
(Veröffentlichungen des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e.V., Band 12), S. 36-37.

Albrecht Schaefer
Sühnekreuze
In: Aus Schönbuch und Gäu, Beilage des Böblinger Boten, Nr. 12/1957

Zu diesem Thema finden Sie in zeitreise bb auch den Artikel: "Altes Sühnekreuz restauriert - laut Sage hat ein Steinenbronner vor 500 Jahren einen Mönch erschlagen" - um diesen Artikel aufzurufen klicken Sie bitte hier.

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