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Samuel Urlsperger kämpfte gegen die Fürsten-Willkür

Wegen zu mutiger Predigt zum Tode verurteilt

Quelle: Gäubote - Tageszeitung im Kreis Böblingen für Herrenberg und das Gäu, 10. Juli 2004

Autor: Hans-Dieter Frauer
Pietisten gelten einem alten Spottwort zufolge als "die Stillen im Lande", die kaum auffallen, tüchtig und zuverlässig sind und eigentlich zurückgezogen leben. Das mag nun stimmen oder nicht, Tatsache ist, dass sie zumindest am Anfang ganz und gar nicht pflegeleicht waren und etwa mutig ihre Stimme gegen Fehlentwicklungen erhoben. Ein Beispiel dafür ist der einstige Herrenberger Dekan Samuel Urlsperger (1685 bis 1772), dem sein mannhaftes Einstehen gegen Fürsten-Willkür sogar das Todesurteil eintrug.

Weil sich aber im ganzen Land niemand fand, der die bereits vom Herzog unterschriebene Vollstreckungsanordnung gegenzeichnen mochte, blieb er gegen den Willen des Herzogs am Leben, kam frei und wurde 1723 für drei Jahre Superintendent (Dekan) in Herrenberg.

Der Pietismus kam schon früh auf die von andersgläubigen Gebieten umgebene evangelische Insel (Alt-)Württemberg und hatte hier eine durchaus eigene Entwicklung. So war er rasch in allen Gesellschaftsschichten verbreitet und fand seine Anhänger unter Theologen ebenso wie unter Nicht-Theologen. Männer wie Johann Albrecht Bengel und Friedrich Christoph Oetinger gaben ihm im 18. Jahrhundert seine betont biblische Ausrichtung und führten ihn auf die Höhe der Wissenschaft ihrer Zeit.

Samuel Urlsperger lebte eine Generation vor ihnen, gilt aber schon als "von der württembergischen Erweckungsfrömmigkeit geprägt". Der aus Kirchheim/Teck stammende Sohn evangelischer Glaubensflüchtlinge aus der Steiermark durchlief die übliche Theologenausbildung mit Klosterschulen und Tübinger Stift. Bei einer der damals üblichen Disputationen (Streitgespräche) fiel er dem württembergischen Herzog Eberhard Ludwig (1693-1733) so angenehm auf, dass der ihm eine ausgedehnte Studienreise finanzierte. Dabei kam Urlsperger auch zu August Hermann Francke, der Halle zu einem wichtigen Zentrum des frühen Pietismus gemacht hatte. Mit ihm blieb er zeitlebens befreundet. Nach über einem Jahr kehrte er heim und wurde 1713 Gemeindepfarrer in Stetten/Remstal und 1714 Hofprediger bei Herzog Eberhard Ludwig und damit auch Mitglied des Konsistoriums, der Kirchenleitung.

Sein einflussreiches Amt gab ihm die Möglichkeit, für die Weltmission zu wirken (die es bis dahin in den evangelischen Kirchen praktisch nicht gegeben hatte), und Urlsperger ist es mit zuzuschreiben, dass Württemberg eines der missionsfreudigen Länder überhaupt geworden ist. Ende September 1715 verfasste er den ersten Opferaufruf für die weltweite Mission, der sogar dank eines "General-Rescripts" des Herzogs von allen Kanzeln in Württemberg abgekündigt wurde. Dabei kam die für damalige Verhältnisse riesige Summe von 6 000 Gulden zusammen, damit wurde die soeben begonnene Missionsarbeit in Südostindien unterstützt.

Das Verhältnis des Hofpredigers zu seinem Herzog trübte sich aber bald ein. Der Barockfürst war längst in den Fängen seiner Mätresse Christiane Wilhelmine von Grävenitz, die im ganzen Land als "Landverderberin" inbrünstig verhasst war. Mit ihr führte er ein sogar für damalige Zeiten verschwenderisches Leben. Alle Macht lag in den Händen seiner Mätresse, sie plünderte das Land aus und schob ihren Kreaturen die gut bezahlten Pöstchen zu. Die Ehefrau des Herzogs vertrauerte ihr Leben im Alten Schloss in Stuttgart. Eberhard Ludwig führte an ihrer Seite ein mehr als lockeres Leben: Das Volk zahlte es ja. Gewissensbisse scheinen ihn nicht angefochten zu haben: Wenn ihm mutige Hofprediger zu sehr ins Gewissen sprachen, erhielten sie die Kündigung. So verschliss der Herzog nicht weniger als 14 Hofprediger.

Einer von ihnen war Urlsperger. Ihn führte sein Weg vom Zimmer des Herzogs sogar in die Todeszelle, weil er, von Francke dazu nachdrücklich ermutigt, den Herzog in seinen Predigten daran erinnerte, dass ein Fürst auch im persönlichen Leben ein Vorbild sein sollte. Das brachte den Herzog, der ja eben dies nicht war, zur Weißglut und Urlsperger in die Todeszelle. Er sollte hingerichtet werden, wenn er nicht öffentlich widerrufe. Als dieser Widerruf ausblieb, steckte sich der Herzog hinter Urlspergers Frau Sophie. Die ließ ihm aber ausrichten, sie wolle lieber die Witwe eines Märtyrers sein als mit einem Verräter Christi weiterzuleben. Darauf unterschrieb der Herzog die Vollstreckungsorder. Nach damaligem Recht bedurfte es aber der Gegenzeichnung eines dazu Berechtigten, doch selbst am nicht eben sittenstrengen Hof fand sich niemand, der die notwendige zweite Unterschrift leistete. Urlsperger blieb am Leben, wurde still und heimlich entlassen und mit Predigtverbot belegt. Nach zwei Jahren ernannte ihn der Herzog aber zum Dekan in Herrenberg. Hier hat Urlsperger nur drei Jahre gewirkt, dann wechselte er nach Augsburg; dort wirkte er bis zu seinem Tod im Jahr 1772.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Gäuboten.

Der Autor Hans-Dieter Frauer ist Journalist in Herrenberg, arbeitet für den Evangelischen Pressedienst Südwest und ist ein ausgewiesener Kenner der württembergischen Kirchengeschichte. Im Verlag der Liebenzeller Mission erschien sein Buch „Der breite und der schmale Weg – Pietismus in Personen“, Bad Liebenzell 2003, (ISBN 3-921113-64-4). Begleitend zur Ausstellung „Der breite und der schmale Weg – Pietismus auf Schwäbisch“, die vom 16. Juli – 3. Oktober 2004 in der Deckenpfronner Zehntscheuer zu sehen war, veröffentlichte er im „Gäuboten“ eine Serie über den „Pietismus im Gäu“.

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