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Prophet im eigenen Land

Bartholomäus Eyselin - Pfarrer und Historiker

Quelle: 900 Jahre Hildrizhausen - Reise durch 900 Jahre lebendige Geschichte unserer Gemeinde. Hg.: Gemeinde Hildrizhausen, Text: Brigitte Popper, Redaktion: Marcello Lallo, Hildrizhausen 2015, S. 23 - 25.

Autorin: Brigitte Popper
Als Verfasser der Chronik von Hildrizhausen und Herrenberg sowie einer Geschichte der Württemberger hat sich Pfarrer Bartholomäus Eyselin (1576–1633) als Landeshistoriker einen Namen gemacht. In seinem Heimatort scheint man es ihm nicht gedankt zu haben, denn 1622 verlässt er tief verbittert Hildrizhausen. Eine Inschrift im Chor der Nikomedeskirche erinnert bis heute an ihn.

Bild: Südwand des gotischen Chores der Nikomedeskirche mit der Inschrift von Pfarrer Eyselin. Der Text wurde irgendwann übertüncht und um 1900 wieder freigelegt. Die fehlenden Stellen wurden 1996 von Michael Klein nach der Herrenberger Chronik von Gottlieb Friedrich Hess ergänzt. – Klicken Sie in das Bild, um die Inschrift zu vergrößern

„Über den Wegzug aus der Heimat am Jakobstag 1622. Seiner Heimat gibt folgendes zu bedenken: Schmerz war ihm Grund, eine andere Stätte zu suchen. Jesus sagt, kein Prophet gilt seinem Vaterland etwas, seine Heimat Nazareth verlassend. Wie sollt es seinem Jünger anders ergehen? Bereit, zu ziehen, wohin es den Himmlischen gefällt, ungewiss des Orts, der uns Verweilen gönnt, trachten wir nach der Heimat des Himmels. Einst kommt gnädig der Tag, da, wenn das Gerede verstummt ist, dem Verdienste die Krone zuteil wird. Cicero: Heimat ist da, wo es gut ist. M. Bartholomäus Eyselin, der 9 Jahre seiner Heimat diente und jetzt fortgeht.“

Diese lateinische Kircheninschrift, hier paraphrasiert wiedergegeben, ist an der südlichen Chorwand der Nikomedeskirche angebracht. Sie erinnert an den Pfarrer Magister Bartholomäus Eyselin. Er wirkte hier zwischen 1613 und 1622 und ist als ein früher Historiker in die Landesgeschichte eingegangen. Vor allem in Hildrizhausen verfasst er seine beiden bedeutenden Werke: das „Chronicon patriae Hildrizhusanae et Herrenbergiae“ – darin stellt Eyselin die Geschichte von Hildrizhausen und Herrenberg unter Berücksichtigung der Geschichte der Pfalzgrafen von Tübingen und späterer Ortsherrschaften dar – und als zweites großes Werk das „Promptuarium historicum Wirtembergiae sive tabellae chronologicae“. Darin zeichnet er die Geschichte der Württemberger von 750 bis 1621 nach. Chronologisch und in Tabellenform verfasst und aufgelockert mit eigenen Erlebnissen, wie z.B. einem schlimmen Hagelschlag 1605 in Tübingen oder Epidemien in Erligheim, wo er zwischen 1602 und 1611 Pfarrer war, werden die beiden Werke von späteren Historikern gerne als Quelle herangezogen. Sie schätzen zum einen die Originaltreue des Werks, das auf eigene Interpretationen verzichtet, und die exakten Abschriften zahlreicher Schriftstücke, Verträge und Urkunden, die im Original nicht mehr existieren. Beide Werke, das Chronicon wie das Promptuarium, sind heute noch als Abschriften verfügbar, Eyselins Originale sind verschollen oder vernichtet.

Dank wird ihm von seiner Heimatgemeinde nicht zuteil, Dank für seine ordentliche Führung der Kirchenbücher. Im Unterscheid zu seinen Vorgängern und Nachfolgern führt er die Kirchenbücher sehr gewissenhaft und ergänzt Taufen mit Angaben zu den Eltern und den Umständen der Geburt. Den Kirchenbüchern fügt er Chroniken hinzu, die später allerdings herausgerissen und nach Herrenberg abgegeben werden, wo sie heute leider nicht mehr auffindbar sind. Dank oder Anerkennung für seine Rechtschaffenheit, seinen Fleiß und seine Verdienste um die Landesgeschichte erfährt er in seinem Heimatort nicht. Im Gegenteil! Manch Hildrizhausener macht ihm das Leben schwer.

Dabei ist er in Hildrizhausen aufgewachsen. Bartholomäus Eyselin, auch Lederschneider oder Balderschneider genannt, wird am 15. Juli 1576 in Herrenberg getauft. Sein Vater Bartlin Eyselin wirkt dort als Mädchenschullehrer. Ein Jahr später wird er Schullehrer in Hildrizhausen und zieht mit seiner Familie um.

Bartholomäus genießt eine gute Ausbildung. Das Interesse an Geschichte wird wohl schon in Kindertagen vom Vater und vom damaligen Pfarrer geweckt. Nach Klosterschulen in Alpirsbach und Maulbronn sowie dem Pädagogium in Stuttgart beginnt er mit 19 Jahren sein Studium an der Tübinger Universität und beendet dies mit dem Studium der Theologie im Tübinger Stift. Seine erste Pfarrstelle tritt er 1602 in Erligheim an, wo er neun Jahre bleibt. 1611 wechselt er nach Schwabbach im Dekanat Weinsberg, bevor er 1613 nach Hildrizhausen zurückkehrt.

Mit der Rückkehr nach Hildrizhausen erbt wohl Bartholomäus Eyselin von seinem Vater Feindschaften. Denn Bartlin Eyselin (1536-1608) übte als Vertreter von Recht und Ordnung sein Amt des Schullehrers, und auch das des Dorfschreibers und Rechners ordentlich, gewissenhaft und unbestechlich aus. Das hat manchem Hildrizhausener nicht gefallen, besonders der Familie Marquardt, die ähnlich wie die Eyselins eine Aufsteigerfamilie ist und über mehrere Generationen Pfarrer und Schullehrer stellt. Sie üben Druck aus, der zu einer Versetzung Bartlins nach Öschelbronn führt. Nach wenigen Jahren holt man ihn jedoch wieder zurück. Ein Kirchenvisitator urteilt 1591, dass es auch dringend notwendig gewesen sei, dem Schlendrian und dem Übelhaushalten in Hildrizhausen ein Ende zu bereiten. Zudem ist es Bartlin gelungen, ein kleines Vermögen anzuhäufen, das sicher den Neid seiner Zeitgenossen hervorgerufen hat. Pflichtbewusstsein und Gewissenhaftigkeit haben dem Vater wohl nicht nur Freunde eingebracht. Vielleicht hat er den schmalen Grat zwischen Rechtmachenwollen und Rechthaberei verlassen?

Diese Feindschaften übertragen sich auf die beiden Söhne Bartholomäus und Johannes Eyselin. Vermutlich aus Sorge um fortgesetzte Konflikte interveniert die Gemeinde gegen deren Rückkehr, bei Johannes (1581-1635) als Schullehrer erfolgreich.

Bild: Drei Epitaphien an der Nordseite des Chores. Magister Johann Borth, gest. 1588, war der erste ev. Pfarrer in Hildrizhausen; daneben der Grabstein seiner Tochter Constantina und der ihres Gatten, des Pfarrers Johann Marquardt, 1596-1613 im Amt und damit Eyselins direkter Vorgänger. – Klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Kurze Zeit vor Bartholomäus‘ Aufzug als Pfarrer in Hildrizhausen ist der Schullehrer Jacob Marquardt wegen Trunkenheit strafversetzt worden. Mit seiner Rückkehr flammen wohl die alten Feindschaften zwischen Marquardt und Eyselin wieder auf. Jacob Marquardts Vater Johannes war Pfarrer und Eyselins Vorgänger im Amt. Der gleichnamige Großvater war Schullehrer und Amtsvorgänger von Eyselins Vater Bartlin. Jacob Marquardts Mutter ist eine Tochter des ersten Pfarrers Johann Borth. Jacob Marquardt entstammt also einer angesehenen Familie von Pfarrern und Schullehrern, die nun durch ihn einen sozialen Abstieg erleidet. Er wird 1630 verarmt sterben. Auf der einen Seite der gescheiterte Lehrer, auf der anderen Seite der erfolgreiche und gebildete Pfarrer. Daraus muss eine Dynamik entstehen, die zur Versetzung Eyselins nach Zuffenhausen und der bitteren Kircheninschrift führen. Vielleicht ist es eine Art von Wiedergutmachung der Kirchenleitung, Eyselin die reiche Pfarrei in Zuffenhausen zu übertragen und ihm zu erlauben, diese sehr persönliche Inschrift in der Kirche zu hinterlassen. Pikanterweise befindet sie sich gegenüber von drei Epitaphien der Familie Borth / Marquardt.

Eyselins Aufzeichnungen enden 1622 mit seinem Wegzug nach Zuffenhausen. Seine umfangreiche Bibliothek – er besitzt an die 100 Bücher – verkauft er der Familie seiner Ehefrau, einer geborenen Pregizer aus Tübingen. Der Verbindung zu dieser Familie ist es zu verdanken, dass Eyselins Werk erhalten geblieben ist. Aus ihr sind einige herausragende Theologen, Juristen und Historiker hervorgegangen, die sich teilweise auf die Schriften Eyselins bezogen. Die Sammlungen der Familie Pregizer und damit auch die Chroniken von Eyselin kommen Anfang des 18. Jahrhunderts in das Archiv der Herzöge von Württemberg und sind damit, zumindest in Abschriften in den Staatsarchiven erhalten. Aus dem näheren Umfeld steht später dem Herrenberger Vogt Gottlieb Friedrich Heß (1697-1761) Eyselins Chronik für seine Herrenberger Chronik zur Verfügung. Im 19. Jahrhundert wird es stiller um Eyselins Werk. Vorwiegend die Ortsgeschichtsforschung bezieht sich noch auf seine Schriften. So stützt sich der Text in der 1855 erschienenen Beschreibung des Oberamtes Herrenberg auch auf Eyselins Chronik.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Gemeinde Hildrizhausen

Literaturhinweise:
Michael Klein: Eine bittere Kircheninschrift. Leben und Werk des Bartolomäus Eiselin (1576-1633). In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte, 55. Jg. Stuttgart 1996, S.162.
Martin Fries: Die Chronik des Vogts Heß (1697-1761). In: Herrenberger Studien Bd. 1, 1997, S.11-18.

Eintrag zu Bartholomäus Eyselin in der Landesbibliographie-Datenbank Landesbibliographie Baden-Württemberg online

Zum 900jährigen Ortsjubiläum erschien 2015 die reich bebilderte Ortschronik „900 Jahre Hildrizhausen - Reise durch 900 Jahre lebendige Geschichte unserer Gemeinde“, Hg.: Gemeinde Hildrizhausen, Text: Brigitte Popper, Redaktion: Marcello Lallo (ISBN 978-3-00-047637-2)


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