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Kreis Böblingen: Vergeblich wehrte sich die Kirche

Hitlers Griff nach der Jugend

Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick von 100 Jahren. Röhm Verlag, Sindelfingen 1999, S. 84

Bild: Jugend in Uniform. Sindelfinger Jungvolkschar auf Pfingstfahrt im Jahre 1938. (Foto: Privat) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern

Schon früh suchten die nationalsozialistischen Machthaber den Einfluss auf die Jugend - oftmals zu Lasten der Kirche. Im Jahr 1935 war die Eingliederung der kirchlichen Jugendorganisation in HJ und BDM vollzogen. Nur der Kampf um die Kindergärten war in vielen Gemeinden im Kreis Böblingen noch in vollem Gange.

Bereits im Juni hatte Hitler Baldur von Schirach zum Jugendführer des Deutschen Reiches ernannt. Er wurde mit dem Aufbau der NS-Jugendorganisation beauftragt. Bereits im November '33 konnte er einen Erfolg verbuchen. Mit dem Reichsbischof Ludwig Müller wurde die Eingliederung der evangelischen Jugendvereine in Hitlerjugend (HJ) und Bund Deutscher Mädel (BDM) vereinbart. Nur wer in einer dieser Organisationen war, konnte noch Mitglied im Evangelischen Jugendwerk werden. Auch auf lokaler Ebene wurde diese Eingliederung zügig umgesetzt. So unterzeichnete in Renningen der Ortspfarrer am 18. März 1934 das Eingliederungsformular. In die selbe Zeit fällt die Eingliederung in Holzgerlingen. Dass zu diesem Zeitpunkt viele Pfarrer den Nationalsozialisten noch positiv gegenüberstanden, zeigen die Ausführungen des Holzgerlinger Pfarrers Karl Ulshöfer. Dieser bewunderte den „genialen Führer Adolf Hitler", dem der geistige, sittliche und wirtschaftliche Wiederaufbau Deutschland zu verdanken sei.

Bild: BdM (Bund deutscher Mädel) auf Fahrt. Die Mädchen trugen einen dunkelblauen Rock und eine weiße Bluse mit schwarzem Halstuch, das durch einen Lederknoten gezogen wurde. (Aus: Erwin Funk, Böblingen im 3. Reich, Bd. II, S. 85)

Marschieren in Uniform
In der Folgezeit wurden HJ und BDM für die 14- bis 18-Jährigen, Deutsches Jungvolk (DJ) und Jungmädel (JM) für die 10- bis 14-Jährigen zu den wichtigsten Instrumenten der nationalsozialistischen Jugendverführung, der sich kaum jemand entziehen konnte - spätestens nach dem 1. Dezember 1936, als die HJ „Staatsjugend" wurde. Die Kinder und Jugendlichen wurden in Uniformen gesteckt. Ob an Feiertagen, in der Schule oder bei Parteiveranstaltungen: Stets marschierten HJ und BDM mit. Die Mitglieder wurden zu Arbeitsdiensten und Ernteeinsätzen verpflichtet.

Viel Raum nahm bei der HJ die körperliche Ertüchtigung ein, die den Charakter einer vormilitärischen Ausbildung und wehrgeistigen Erziehung annahm. Trotzdem übten die NS-Jugendorganisationen eine große Anziehungskraft aus. Lagerleben und Ausflüge vermittelten eher den Eindruck von Abenteurertum als von weltanschaulicher Indoktrination. Zulauf fanden auch Untergliederungen wie zum Beispiel die Marine-HJ in Böblingen, die auf dem Oberen See schon einmal den Ernstfall übte.

In der Zwischenzeit hatte sich jedoch das Verhältnis von Kirche und Nationalsozialisten deutlich verschlechtert. Der Kirchenkampf hatte 1934 einen Höhepunkt erreicht, nachdem der württembergische Landesbischof Theophil Wurm abgesetzt worden war. Wurm hatte Anfang 1933 noch die Machtergreifung Hitlers begrüßt, war jedoch inzwischen auf Distanz gegangen.

Bild: Der abenteuerliche Charakter vieler HJ- und Jungvolktätigkeiten verschleierte den Blick auf die ideologische Indoktrination bei den NS-Jugendorganisationen. (Foto: STA Sindelfingen)

Konflikte wegen Sonntagsdiensten
Auch im Bezirk Böblingen war es in vielen Gemeinden zu einer Entfremdung zwischen Ortspfarrern und örtlichen Machthabern gekommen. Zu Konflikten führten zum Beispiel die Sonntagsdienste der NS-Jugendorganisationen, die dafür sorgten, dass immer mehr Jugendliche den Gottesdiensten fernblieben. So sah sich der Leonberger Dekan Mildenberger bereits im Mai 1934 dazu veranlasst, mit den NS-Jugendführern eine Übereinkunft zu treffen, an welchen Sonntagen die HJ- und BDM-Mitglieder freigestellt werden sollten.

Auch in anderen Bereichen kam es immer wieder zu Reibereien zwischen Kirche und Nationalsozialisten. So wurde in den Schulen der Weltanschauungsunterricht (WAU) eingeführt und zeitgleich damit begonnen, den Religionsunterricht massiv zu behindern. Besonders Pfarrern, die sich kritisch gegenüber den Nazi verhielten, wurde bald der Zugang zu den Klassenräumen verwehrt. Auch Versuche dieser Pfarrer, über die bürgerliche Gemeinde Räume für die Christenlehre zu bekommen, wurden sabotiert. Zu groß war der Einfluss der Partei auf die Gemeindeverwaltung. So erhielt der Nufringer Pfarrer Hermelink 1937 eine Absage, als er bei der Gemeinde um einen Raum für die Kleinkinderschule und die Christenlehre nachfragte. Weniger Probleme hatten da die NS-Organisationen. Der Einfluss der NSDAP-Ortsgruppe auf die Gemeindeverwaltung sorgte dafür, dass ihnen Räumlichkeiten wie Schullokale oder Turnhallen unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden. Auch mit Musikinstrumenten oder Sportgeräten wurde der NS-Nachwuchs großzügig ausgestattet, was einer kaum versteckten Finanzierung der Parteigliederungen durch die öffentlichen Haushalte gleichkam.

Kirchlich gesinnter Bürgermeister
In manchen Orten verliefen die Auseinandersetzungen weniger hart. So sorgte in Magstadt nicht zuletzt die Haltung von Bürgermeister Stumpf -„ein treuer Christ" - dafür, dass zum Beispiel der CVJM die NS-Zeit überstehen konnte. In Malmsheim blieb der konfessionell geführte Kindergarten bestehen, was sicherlich darauf zurückzuführen war, dass neben den führenden Parteigenossen im Ort auch Bürgermeister Feucht „kirchlich gesinnt" war und fleißig den Gottesdienst besuchte. Was den Kindergarten betrifft, war Malmsheim jedoch eher die Ausnahme. Schon früh hatten die Nationalsozialisten auch bei den Jüngsten versucht, ihren Einfluss zu sichern. In manchen Orten war dies schon 1934 gelungen. So wurde zum Beispiel in Waldenbuch im Juni 1934 ein Ernte-Kindergarten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (SNV) eröffnet - für die Mütter, die bei der Ernte halfen. Noch im selben Jahr wurde in Waldenbucher Schloss ein Dauerkindergarten der NSV eingerichtet.

In vielen Orten verhinderten jedoch der Widerstand der Kirche, aber auch Geld- und Personalmangel eine schnellere Überführung der Kindergärten unter die Fittiche der NSV. Erst nach Kriegsbeginn wurde diese Überführung vielerorts vollzogen. In Maichingen und Renningen wurden 1940 die Kindergärten von der NSV übernommen, in Magstadt und Böblingen 1941, in .Nufringen und Gärtringen 1942. Über Proteste von Müttern, wie in Gärtringen oder Magstadt, setzten sich die Machthaber hinweg.

Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung

Zu diesem Thema finden Sie in zeitreise-bb noch folgende Artikel:
Zwischen Kirche und NS-Ideologie - Der Konflikt um den Weltanschauungsunterricht in Dagersheim
Schwester Anna Grüninger verhindert die Gleichschaltung des „Kinderschüle“ in Weil im Schönbuch

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