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Gelebte Glaubwürdigkeit

Der Weinbau im Gäu


Quelle: Aus Schönbuch und Gäu. Beilage des Böblinger Boten, 4/1949

Autor: Wilhelm Mönch
Kurz nach dem ersten Weltkrieg verfasste der 1947 verstorbene Lehrer und Heimatforscher Wilhelm Mönch eine größere Arbeit über den Weinbau im Gäu und im Ammertal, die hier in Auszügen wiedergegeben wird:

Bild: Vom Weinberg zur Obstbaumwiese - Schönbuchrand bei Kayh. Bis zum 30-jährigen Krieg war der ganze Hang von Tübingen bis Herrenberg mit Weinbergen bestückt.

"Wer Sorgen hat, hat auch Likör", sagt der Humorist. Die alten Schwaben hatten ihren Wein, in dem sie die Verdrießlichkeiten des Alltags ertränkten, so gut es ging. Der Wein war Volksgetränk; Bier gab es erst nach dem Dreißigjährigen Krieg, auch hatten nur die fünf Städte Stuttgart, Heidenheim, Blaubeuren, Calw und Urach das Privilegium, Bier brauen zu dürfen. Selbst das Herstellen des Obstmostes war teilweise verboten oder sehr beschränkt, um das Verfälschen des Weins zu verhindern. ...

Jedermann konnte sich ein Fässlein Wein leisten, denn zeitweise war der Wein so billig, dass man z. B. 1584 ein Maß1* um einen Pfennig bekam. ... Alles dies klingt märchenhaft, aber es war möglich, wenn man die große Kaufkraft des Geldes der damaligen Zeit, die kleine Bevölkerung und die große Anbaufläche in Betracht zieht. Bis zum Dreißigjährigen Krieg war der ganze Abhang des Schönbuchs von Tübingen bis Herrenberg hinaus nach Rohrau eine ununterbrochene Weinbergfläche; selbst in den Gäuorten wurde jede passend scheinende Halde mit Reben bestockt.

Am meisten Verdienste um den Weinbau erwarben sich die Klöster, besonders diejenigen, die die Pfalzgrafen von Tübingen stifteten. Doch waren ohne Zweifel die besseren Lagen schon vor der Zeit der Klostergründung bestockt; möglicherweise mögen dort schon die Römer ihren Vinum gezogen haben, bis sie im Jahre 368 ... den Alamannen die Gegend überließen. Jedenfalls ruhte nun der Weinbau 500 bis 600 Jahre, bis ihn die Franken wieder einführten.

Die älteste Nachricht über den Weinbau in unserer Gegend vermittelt uns die Hirsauer Urkunde vom Jahre 1057, in der Kaiser Heinrich IV. die dem Kloster geschenkten Güter bestätigt, unter welchen sich auch Weinberge in Gültstein befanden, die Graf Adalbert von Calw dem Kloster schenkte. Außer seinen eigenen Gütern bezog Hirsau von den meisten Gültsteiner Weinbergen noch Naturalsteuern. Ebenso bekam das Kloster für die Benützung der Kelter ein gewisses Quantum Wein. Hirsau besaß dort so viele Güter, dass es einen eigenen Pflegehof in Gültstein errichtete, zu dessen Bau und Unterhalt es von den Pfalzgrafen von Tübingen das Holzbezugsrecht aus dem Schönbuch gegen jährliche Abgabe "von einem Karren Wein" erhielt. Der Pfleghof wurde später in eine Wirtschaft, dann in ein Schulhaus verwandelt. Die Hirsauer gründeten in Mönchberg eine Kolonie, hauptsächlich um Weinberge anlegen zu lassen. Die verwöhnten Klosterbrüder werden zwar nicht allzu viel Mönchberger und Gültsteiner Wein getrunken haben (sie hatten auch Weinberge in Hessigheim und Heilbronn, am Rhein, in Hessen und im Elsaß. Zur Beförderung des Elsässers erbauten sie die Höhenstraße zwischen Enz und Nagold, "die alte Weinstraße"). Aber sie benötigten den Wein auch zur Bewirtung der Klosterbesucher und vorbeiziehenden Reisenden, für welche die Hirsauer einen eigenen Gasthof unterhielten.

Übrigens schien zu diesen Zeiten der Mönchberger kein schlechter Tropfen gewesen zu sein, der sich selbst am Hof in Stuttgart sehen lassen konnte. Im Verzeichnis der 1556 im Schloss in Stuttgart lagernden Weine werden auch 6 Fass dreijähriger Mönchberger angeführt. ... Bei einem Hoffest 1605 wurde u. a. Felmenwein aufgetischt, der an einer Halde über Haslach wuchs.

Unter den Klöstern hatte das benachbarte Bebenhausen den größten Weinbesitz, besonders in den Orten des Schönbuchhangs.

Bild: Alte Kelter in Kayh

In Entringen hatte Bebenhausen schon vor 1229 Weinberge. Ferner besaßen hier Weinberge das Kloster Alpirsbach, das Nonnenkloster Reuthin bei Wildberg und die Karthause Güterstein. Außer den Hirsauern hatten auch die Bebenhäuser und Blaubeurer Weingärten in Gültstein. In Haslach treffen wir Güterstein und Reuthin, in Breitenholz Ottobeuren und Bebenhausen, in Kayh Bebenhausen, Blaubeuren und Reuthin. ...

Herzog Ulrich führte die Reformation ein, hob die Klöster auf und ließ den Klosterbesitz nach und nach verkaufen. So kamen die Weinberge wieder in den Besitz der Bauern, aber die vielen Abgaben blieben. Unter Herzog Ulrich bekamen die Pfarrer noch ihre Pfründungsnutzungen, aber sein Sohn Christoph ließ die Pfründen einziehen und gründete damit den "gemeinen Kirchenkasten", aus dem die Pfarrer eine feststehende Besoldung erhielten, auch ein vom Ertrag unabhängiges Quantum Wein, oft 4 bis 6 Eimer.2* ...

1623 gab es im Bezirk folgende Keltern: 4 in Unterjesingen, eine in Reusten, dem Kloster Bebenhausen gehörende, 1760 infolge Aufgabe des Weinbaus überflüssig geworden und zur Dorfkirche umgewandelt, je eine in Herrenberg (jetzt Kasten oder Steinhaus genannt), Gültstein, Tailfingen, Rohrau und Pfäffingen, 2 in Mönchberg, beide dem Kloster Hirsau gehörend und 4 in Kayh, 2 der "Kellerei" (Kameralamt), 2 dem Kloster Bebenhausen gehörend. ...

In Herrenberg ist der Weinbau mittlerweile erloschen. In einer Handschrift vom Jahr 1771 wird berichtet, dass "noch ein kleines Häldlein von 10 bis 12 Morgen3* allhier gebaut werde, der Wein sei aber schon 30 Jahre nicht mehr geraten, daher die Inhaber verlegen und auf Pflanzung anderer nützlicher Gewächse verfallen seien". ...

Bild: Weinberge über Unterjesingen (ehemals Oberamt Herrenberg - heute Landkreis Tübingen)

Wie kam es nun, dass der einst so blühende Weinbau fast völlig aufhörte? Schuld war vor allem der Dreißigjährige Krieg, die hohen und vielen Steuern, das Aufkommen des Most- und Biertrinkens, die Vermehrung der Bevölkerung, die ein größeres Areal für den Frucht- und Futterbau verlangte, die Einfuhr fremder Weine mit zunehmender Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, fortgesetzter Misswachs infolge der Frühjahrsfröste, die Einführung schlechter Sorten und zuletzt der Anbau des Hopfens, der viel Zeit und Platz in Anspruch nimmt. In unserer Gegend wurden wohl die ersten Hopfen in Württemberg angebaut. Die Kriegsjahre führten zur Begünstigung der sog. "Elender" oder Putzscheren, die zwar Massenerträge lieferten, aber dem Absatz schadeten und den Weinhandel nach den napoleonischen Kriegen fast lahm legten. Der Elender ist nichts anderes als die berühmte Tokayertraube, die schwäbische Kolonisten aus Ungarn mitbrachten, nicht ahnend, dass die Rebe, die in ihrer Heimat den feurigen Wein erzeugt, infolge der ungünstigeren Daseinsbedingungen zum Rachenputzer herabsinken würde. ... Wohl erklärte ihnen die Regierung öfters den Krieg, so in scharfen Verordnungen 1791 und 1892, aber auszurotten war sie nicht.

... Im Jahre 1825 wurde in Württemberg eine "Gesellschaft für Verbesserung des Weinbaus" gegründet. Sie sorgte für Einführung besserer Sorten (Weißriesling, Traminer, Klevner und Gutedel). Doch nahm in unserer Gegend der Weinbau zusehends ab. Im Jahr 1855 waren noch 663 Morgen angepflanzt. lm Jahr 1900 war der Weinbau auf 282 Morgen zurückgegangen und hat seither noch Jahr um Jahr abgenommen. ..."

1

1 Maß = 4 Schoppen = 1,84 l

2

1 Eimer = 16 Imi = 293,90 l

3

1 Morgen = 31,54 Ar

Der Text wurde gekürzt

Mit freundlicher Genehmigung des Heimatgeschichtsvereins für Schönbuch und Gäu e. V.

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