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Quelle: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit. Der Kreis Böblingen im Rückblick vor 100 Jahren. Röhm Verlag Sindelfingen 1999 | ||||
Die Vertriebenen, die in den ersten Nachkriegsjahren in den Kreis Böblingen kommen, werden zunächst im Durchgangslager Unterjettingen untergebracht. Sieben Baracken einer ehemaligen Munitionsanstalt, ohne Kanalisation, die Fenster ohne Glas, kalter Zementboden: Insgesamt 19.000 Vertriebene werden durch diese dürftige Notunterkunft geschleust.
Bild: Zwischenstation für Tausende von Vertriebenen: Das Durchgangslager für den Kreis Böblingen in Unterjettingen (Bild: Das 20. Jahrhundert im Spiegel der Zeit, Sindelfingen 1999) - klicken Sie in das Bild, um es zu vergrößern Für die mehr als zwölf Millionen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat in den deutschen Ostgebieten, Polen und der Tschechoslowakei vertrieben werden, bedeutet der 8. Mai 1945 nicht die Befreiung: "Wir wurden nur von unserer Heimat und unserem Eigentum befreit", antworten Heimatvertriebene unisono, wenn sie auf dieses Datum angesprochen werden.Schon vor Kriegsende kommen 65.000 Menschen aus dem Osten des Deutschen Reiches nach Baden-Württemberg auf der Flucht vor der vorrückenden Roten Armee. Ende 1945 beginnt dann die wilde Vertreibung. Hunderttausende kommen dabei ums Leben - durch Gewalttaten, Hunger, Erschöpfung und Krankheiten. Bis 1958 gelangen auch in den Landkreis Böblingen 34.671 Heimatvertriebene, knapp ein Drittel der gesamten Bevölkerung. Der Kreis Böblingen muss damit, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Flüchtlinge aufnehmen wie kein anderer Landkreis in Baden-Württemberg. Durchgangslager in Unterjettingen Schon im Sommer 1945 rollen die ersten Züge mit Vertriebenen in den Bahnhöfen von Sindelfingen, Böblingen, Herrenberg und Waldenbuch ein. Um die Mittel- und Obdachlosen schnell unterzubringen, wird am 31. Oktober eine Flüchtlingsleitstelle für den Landkreis eingerichtet. Im Januar 1946 werden die ersten Vertriebenen im Unterjettinger Durchgangslager aufgenommen. Alte und Bettlägrige kommen ins Schloss Dätzingen. Die meisten Flüchtlinge stammen aus dem Sudetenland in der Tschechoslowakei. Auch aus Jugoslawien, Ungarn, den deutschen Ostgebieten und den Karpaten verschlägt es größere Gruppen nach Böblingen und Umgebung. Die Vertriebenen haben in ihrer Heimat nahezu alles zurücklassen müssen. Viele erreichen den Landkreis Böblingen mit nicht mehr als dem, was sie am Leib tragen. Die Hoffnung, dass sich die Vertreibung als Missverständnis herausstellen wird, haben die meisten inzwischen aufgegeben. Vier Ausschüsse zur Wohnungsbeschaffung werden im Kreis Böblingen gebildet. Sie haben die Aufgabe, so schnell wie möglich private Unterkünfte für die Neuankömmlinge zu finden, da das Durchgangslager ständig überbelegt ist. Eine große Herausforderung, denn Wohnungen sind ohnehin schon knapp, insbesondere in den Gemeinden, die während des Krieges durch Luftangriffe zum Teil zerstört wurden. Auflösung der Massenquartiere Der amerikanischen Militärregierung geht es jedoch nicht schnell genug. Sie drängt schon bald auf die Unterbringung in Privatquartieren. Am 13. November 1946 wird die sofortige Auflösung der Massenquartiere angeordnet. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich im Kreis Böblingen noch 2.756 Flüchtlinge in den Lagern. Die Gemeinden sind darauf nur mangelhaft vorbereitet - vor allem im Hinblick auf den kommenden Winter. Es fehlt an Öfen, Ofenrohren, Herden und Strohsäcken. Der Winter 1946/47 wird noch einmal zu einer gewaltigen Belastungsprobe. Umsiedlung bringt neuen Zustrom In der Folgezeit wird der Zuzug in die amerikanische Besatzungszone erschwert. Der Weg nach Württemberg-Baden1* führt nur noch über das große Durchgangslager in Kornwestheim. Im Mai 1951 beginnt dann die Umsiedlung innerhalb der Bundesrepublik. Damit wird Vertriebenen, die in ihrem Aufnahmeland keine Arbeit gefunden haben, die Chance gegeben, in Länder mit besseren Beschäftigungsaussichten zu übersiedeln. Der Kreis Böblingen mit seinen Industrie-Zugpferden Daimler-Benz und IBM verzeichnet noch einmal einen Zustrom von Heimatvertriebenen.
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Literaturhinweis: Bund der Vertriebenen u.a. (Hrsg.): Die Vertriebenen im Kreis Böblingen Redaktion Benno Kubin. Röhm-Verlag Sindelfingen, 1992 Mit freundlicher Genehmigung der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung Diese Seite drucken |
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